"Tagebuch einer Sahara-Geisel"

Basel, 28.11.2009, akte/ Endlich wollte sich Reto Walther seinen lang gehegten Traum erfüllen und die Sahara bereisen. Im Februar 2003 macht er sich mit einem Sahara-Kenner aus der Schweiz auf den Weg. Mit dabei sind zwei junge Schweizerinnen. Doch die Gruppe kommt nicht weit: Nach nur drei Tagen auf der Gräberpiste im Süden Algeriens werden sie in der Nacht von bewaffneten Mudschaheddin gefangen genommen und in die Wüste verschleppt. Zusammen mit weiteren Geiseln aus Deutschland und einem Holländer haben die Mudschaheddin nun 15 Geiseln in ihrer Gewalt. Eine weitere Gruppe wird an einem anderen Ort festgehalten. Es folgt eine Zeit der Entbehrungen und der Ungewissheit. Zudem machen die Geiselnehmer nicht den Eindruck, als hätten sie viel Erfahrung im Entführen.
So dürfen die Geiseln beispielsweise Radio hören und Tagebuch schreiben. Das Schreiben wird für Reto Walther zur wichtigen Beschäftigung, mit der er seinen Tag strukturiert. Auch noch nach der Befreiung hilft ihm sein Tagebuch bei der Aufarbeitung der Geschehnisse. Jetzt liegt die überarbeitete Version im Basler Friedrich Reinhardt-Verlag vor. Darin bemüht sich Walther, den von den Medien nach der Befreiung vorgebrachten Vorwurf zu entkräften, er und seine Reisegenossen hätten sich fahrlässig in eine Gefahrenzone begeben: Der Reisehinweis des Departements für Auswärtige Angelegenheiten riet damals zwar von Touristenreisen nach Algerien ab, nahm den Süden jedoch von dieser Warnung aus. Die Schilderungen im Buch vom Reiseauto als Vorratskammer, über die Vorbereitungen mit unzähligen Karten, Satellitentelefon und GPS sollen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Reisenden wussten, was sie taten.
Reto Walther beschreibt sich als vorsichtigen Menschen, der am ersten Abend, beim ersten Aufenthalt in einem arabischen Land, das Hotelzimmer nicht mehr verlässt. Die Mudschaheddin scheinen laut seinen Schilderungen nach fahrtüchtigen Autos gesucht zu haben, nicht nach Touristen. Zudem tat sich Reto Walther mit einem erfahrenen Sahara-Reisenden zusammen, der die Gräberpiste gut kannte.
Doch was, wenn er sich nicht auf einen Schweizer, sondern auf einen einheimischen Führer verlassen hätte? Immerhin schreibt Walther, dass lokale Jäger von den "merkwürdigen bärtigen und bewaffneten Gestalten" wussten. Hätte, wäre, wenn – dafür ist es für den gefangenen Reto Walther zu spät. In der Wüste, zwischen Felsspalten und in Dünentrichtern, ist er damit beschäftigt, Schlangen, Skorpionen und Läusen aus dem Weg zu gehen und den Islamisten Informationen zu entlocken. Doch die sind so widersprüchlich, dass sie immer wieder Frust auslösen. Kommt dazu, dass nicht einmal die Geiselnehmer sich einig sind, ob die Gefangennahme überhaupt ihren religiösen Vorstellungen entspricht. Doch das prägendste Erlebnis ist für Reto Walther die Wasserknappheit. Durst wird zum ständigen Begleiter. Als dann auch noch eine Geisel an Dehydrierung stirbt und in der algerischen Wüste begraben werden muss, scheint der Tiefpunkt erreicht. Doch Walther klammert sich an seinen Optimismus und landet nach 177 Tagen als Geisel der Mudschaheddin wieder in der Schweiz.
Walthers Ausführungen fesseln, weil sie einen Einblick in das Leben der Geiseln und die Beziehungen zu den Entführern erlauben. Mit seinem Buch beantwortet der Autor viele Fragen, die Medienschaffende ihm nach seiner Ankunft immer wieder gestellt haben. Unklar bleibt jedoch nach wie vor, wie viel die Schweiz für die Freilassung der Geiseln zahlte.
Reto Walther: In der Gewalt der Mudschaheddin. Tagebuch einer Sahara-Geisel, Friedrich Reinhardt-Verlag, Basel 2009, 302 Seiten, CHF 35.-, Euro 23.-, ISBN 978-3-7245-1556-2, www.reinhardt.ch