Der Zustand der Welt verlange "Engagement, Handeln, Dringlichkeit und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft", so die Einleitung der Abschluss-Erklärung "Die Zukunft, die wir wollen". Was folgt, sind 50 Seiten ausformuliertes Versagen der Politik. Es zeigt, dass die Metaphern von der "Einen Welt", vom "globalen Dorf", vom "gleichen Boot, in dem wir alle sitzen" nichts als Leerformeln sind. Das Rio-Ergebnis ist Lichtjahre entfernt von dem, was die Menschheit und die Erde braucht; was dringlich getan werden müsste für den notwendigen Kurswechsel in Wirtschaft und Gesellschaft. Entscheidungen im Kampf gegen den Klimawandel, die Abholzung der Regenwälder, die Plünderung der Weltmeere und die Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen sind nicht einmal ansatzweise gelungen. Fossile Energien werden weiterhin staatlich subventioniert und gefördert. Nachhaltigkeitsziele wurden keine formuliert. Bis 2015 soll eine Arbeitsgruppe der UNO-Generalversammlung "verbindliche Ziele für die Nachhaltige Entwicklung" entwerfen. Die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) soll durch ein hochrangiges Forum für nachhaltige Entwicklung ersetzt werden. Zeit, Form und Mandat sind völlig offen. Wurde damit die Zivilgesellschaft beim Nachhaltigkeitsdiskurs, der vor 20 Jahren in der CSD etabliert wurde, wieder ausgeschlossen?
Mangelndes Verantwortungsbewusstsein
Vor der Konferenz hatte der UNO-Generalsekretär an die Verantwortlichen appelliert: "Wenn wir auf dem derzeitigen Pfad fortfahren, werden wir die materielle und ökologische Armut, und nicht Wohlstand, an unsere Kinder und Enkel weiterreichen. Unsere Ad-hoc-Lösungen reichen nicht länger aus. Nur nachhaltige Entwicklung kann eine dauerhafte Lösung für die Krise sein. Wir brauchen eine Revolution der Art wie wir leben, eine Revolution in unseren Beziehungen mit unserem Planeten".
Doch von den planetarischen Grenzen steht im Abschluss-Papier nichts, vielmehr wird das herrschende Entwicklungsparadigma vom endlosen Wachstum bekräftigt. Für mehr ökologische und soziale Gerechtigkeit gibt es keine verbindlichen Massnahmen, keine Instrumente, keine Zeitvorgaben und auch kein Geld, um den ärmsten Ländern einen zukunftsfähigen Entwicklungspfad zu ermöglichen. Für eine grüne Wirtschaft wurden keine Rahmenbedingungen gesetzt. Nach wie vor wird auf Freiwilligkeit gesetzt und die Privatwirtschaft zur Hauptakteurin für Nachhaltigkeit erklärt.
Aber Freiwilligkeit ist weder effektiv noch ethisch vertretbar. Freiwilligkeit ist Privatisierung der Nachhaltigkeit. Nachhaltige Entwicklung ist eine Sache der Polis, also eine öffentliche Aufgabe. Verantwortung ist ein Schlüsselbegriff, der jeden Rechtstaat verpflichtet zu Anerkennung und Schutz der menschlichen Würde und zur Existenzsicherung künftiger Generationen. Das wäre Nachhaltige Entwicklung. In Rio haben sich die PolitikerInnen in verantwortungsloser Weise ihrer Verpflichtung entzogen.
Desinteresse an zukunftsfähigen Beschlüssen
Trotzdem hat die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff den Gipfel als einen "historischen Schritt für eine gerechtere Welt" bezeichnet. Ein solcher Optimismus ist bei genauerer Betrachtung der Realität bestenfalls salopp und schlimmstenfalls was Arthur Schopenhauer "ruchlosen Optimismus" genannt hat.
Bereits 2 Tage vor Eintreffen der über 100 RegierungschefInnen war das Papier abgesegnet worden. Aussenminister Patriota sagte es unverblümt: "Die Erwartung war, einen Text oder keinen Text zu haben". Mit anderen Worten: Egal, was drin steht, Hauptsache, ein Text wird genehmigt. Zwar haben einige MinisterInnen das Papier als zu wenig ambitioniert und zu vage kritisiert oder zeigten sich mit dem Resultat unzufrieden. Aber alle haben sich dem Diktat der brasilianischen Konferenzleitung gebeugt (oder vielleicht nicht ungern unterzogen?). Jedenfalls verlangte niemand, das Papier auf höchster Stufe noch zu verhandeln und zu verbessern. War Europa vor 20 Jahren noch in der aktiven Vorreiterrolle, so glänzten diesmal die meisten Länder durch Abwesenheit. Die EU bildete kein Gegengewicht zu den Blockierern. Ein Rettungsschirm für den Euro und die maroden Banken war ihnen wichtiger als die Erarbeitung eines verbindlichen "Rettungsplans für den Planet Erde". Alles, was den "american way of life" hätte tangieren können, wurde von den USA abgeschmettert. Namentlich grosse Schwellenländer, wie China, Indien und Brasilien traten selbstsicher und fordernd auf. Ihr Wachstumspfad soll weiterhin die ressourcenintensiven Produktions- und Konsumsystemen des Nordens kopieren. VerliererInnen bei diesen neuen Machtverhältnissen sind die Menschen in den ärmsten Entwicklungsländern. Sie wurden in den Verhandlungen ebenfalls durch die G 77-Gruppe vertreten, deren Wortführer die Schwellenländer waren. Diese hatten kein Interesse an einer "politischen Grenzziehung" für den Ressourcenverschleiss oder den Ausstoss von Treibhausgas-Emissionen.
Post-Rio-Prozess in der Schweiz
Rio+20 ist gescheitert. Umso mehr muss die Zivilgesellschaft die Politik dazu drängen, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die dringend nötigen Lösungen durchzusetzen. Die Schweizer Regierung muss aufgefordert werden, im Rahmen der UNO eine "Vorreitergruppe" zu initiieren, die diese Aufgabe rasch an die Hand nimmt. Und sie muss darauf bestehen, dass sie bei der Ausarbeitung der Schweizer Position zu den Nachhaltigkeitszielen aktiv einbezogen wird. "Wir müssen menschliche Grundbedürfnisse befriedigen, den Lebensstandard aller Menschen verbessern und die Ökosysteme wirkungsvoll schützen und verwalten." So steht es in der Agenda 21 von Rio 1992. Darauf müssten wir bestehen.


*Rosmarie Bär amtierte von 1987 bsi 1995 als Nationalrätin der Grünen, von 1996 bis 2010 betreute sie bei Alliance Sud das Dossier Nachhaltige Entwicklung. Seit dem Erdgipfel 1992 war sie ohne Unterbruch als Vertreterin der Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Mitglied der bundesrätlichen Delegation an den jährlichen Umsetzungs- und Bilanzkonferenzen der UNO-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD). Zurzeit betreut sie für Women in Development Europe WIDE das Dossier Rio+20 und nahm in dieser Charge auch an den Rio+20-Vorbereitungssitzungen des Bundesamtes für Umwelt teil.