Basel, 20.06.2012, akte/

Welche Erwartungen hast du an die Konferenz Rio+20?

Die Vorbereitungen für Rio+20 waren von harten Auseinandersetzungen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern geprägt. Bis zur letzten Vorverhandlung waren die Positionen so umstritten, dass der Ausgang der Gipfelkonferenz ungewiss bleibt. Sicher ist bloss: Die Euphorie von Rio 1992 ist verflogen. Damals packte man zum ersten Mal die Grossbaustellen Bedrohung der Umwelt und Nord-Süd-Konflikt gemeinsam an. Das mündete in die grundlegende Erklärung von Rio mit ihren Prinzipien zur nachhaltigen Entwicklung, die Agenda 21 und völkerrechtlich verbindliche Abkommen zum Klima oder zur Biodiversität. Doch die Bilanz von 20 Jahren "nachhaltiger Entwicklung" ist mehr als ernüchternd. Die Erwärmung des Klimas und der Verlust der Artenvielfalt nehmen rasant zu. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich im Zuge der Liberalisierungen und in den letzten Jahren der Wirtschaftskrise weiter vertieft: Das unterste Fünftel der Weltbevölkerung verfügt gerade einmal über zwei Prozent des globalen Einkommens, und noch immer sind 25 Prozent der Weltbevölkerung für drei Viertel der Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich, auch wenn die Schwellenländer aufgeholt haben. Die Industriestaaten haben ihre Versprechen von Rio nicht gehalten.
Doch der Rio-Prozess hat zumindest einen Verhandlungsrahmen geschaffen. Und Rio+20 muss als Chance gepackt werden, die dringend nötige Wende für eine gerechtere zukunftsfähige Entwicklung einzuleiten. Dazu braucht es ein verbindliches Abkommen, das die Rio-Prinzipien von 1992 bekräftigt und, gestützt auf die Menschenrechte, Regierungen und Unternehmen in die Verantwortung nimmt. Weiter ist wichtig, dass die mit dem Rio-Prozess betrauten UN-Gremien institutionell aufgewertet werden, um die Vorhaben der nachhaltigen Entwicklung auch wirklich umsetzen zu können. Eine neue Öffnung, die erst im Verlauf der Vorverhandlungen Gestalt angenommen hat, ist der Entwurf von globalen Nachhaltigkeitszielen, die nach 2015 die Millenniumsziele fortführen sollten. Wird jetzt in Rio ein umfassender Prozess für deren Erarbeitung angestossen, wäre dies wohl das positivste Ergebnis des Nachhaltigkeitsgipfels.

Aber Schwerpunkt der Konferenz und heiss umstritten ist doch vor allem die sogenannte "Green Economy"?

An sich ist gar nichts dagegen einzuwenden, dass im dritten Jahrzehnt des Rio-Prozesses die globale Ökonomie endlich resolut auf grünes Wirtschaften umgebaut wird. Doch die Konzentration der Bemühungen für eine global nachhaltige Entwicklung auf grünes Wirtschaftswachstum, wie sie das UN-Umweltprogramm (UNEP) in seinem 600-seitigen Bericht als zukunftsfähigen Weg aus der Finanz- und Wirtschaftskrise vorgezeichnet hat, erntete zu Recht geharnischte Kritik, insbesondere aus dem Süden. Die natürlichen Ressourcen dürfen nicht einfach als Handelswaren der Wirtschaftslogik privater Akteure unterworfen werden. Im Verlauf der Verhandlungen zur Rio+20-Schlusserklärung "The Future we want" wurde hart um den Stellenwert der "Green Economy" gerungen. Entscheidend ist, dass grünes Wirtschaften nicht als zentrales, sondern als ein Instrument von vielen für die nachhaltige Entwicklung gewertet und im Rahmen einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie verbindlich auf die Menschenrechte und Rio-Grundsätze der gemeinsamen aber geteilten Verantwortung und des Vorsorge- und Verursacherprinzips ausgerichtet wird.

Und der Tourismus? Obwohl einer der mächtigsten Wirtschaftszweige der Welt, scheint er – wenn überhaupt – eine völlig untergeordnete Rolle zu spielen.

Stimmt, aber das ist ja nicht neu. 1992 war der Tourismus trotz verschiedener Vorstösse — auch von unserer Seite — nicht auf die Tagesordnung des Erdgipfels zu bringen. Bereits damals zählte er zu den wichtigsten Wirtschaftsbereichen und hatte mit seinem boomenden Wachstum unübersehbare ökologische und soziale Folgen, gefährdete gar seine eigene Attraktivität und damit auch die Grundlage der Branche selbst. Ob Tourismus in der Abschlusserklärung von Rio+20 überhaupt erwähnt wird, ist noch offen. Er fand auch erst im Laufe der Vorbereitungen etwas willkürlich unter dem Aktionsplan Energie Eingang ins Dokument.

Dass er im Schlussdokument erwähnt wird, müsste dich doch freuen?

Die beiden Abschnittchen zum Tourismus aus den letzten Vorbereitungsrunden zur Schlusserklärung sind – wie übrigens bereits im Schlussdokument des Rio+10 Weltgipfels von Johannesburg vor zehn Jahren – nichts anderes als der übliche Werbespot der Welttourismusorganisation (UNWTO) und ihren Lobbygruppen aus der Wirtschaft für den "nachhaltigen Tourismus" als Motor für Arbeits- und Einkommensbeschaffung und damit zur Überwindung der Armut. Sofern er mit genügend Investitionen und "wo nötig" Regulierungen im Einklang mit nationalen Prioritäten und Gesetzten ausgestattet werde. Lokale und indigene Gemeinschaften kommen dabei nur noch als Begünstigte von Mikrokrediten vor. Kein Wort darüber, wie sie ihre Rechte und Interessen gegenüber der mächtigen Tourismuswirtschaft wahrnehmen können, um effektiv selbstbestimmt den Weg einer zukunftsfähigen Entwicklung – mit oder ohne Tourismus – einschlagen zu können.
Das ist nun meilenweit von dem Verständnis des Tourismus entfernt, das heute dringend nötig wäre. Tourismus hängt mit allen brennenden Herausforderungen der Nachhaltigkeitsagenda – Ernährungssicherheit und -souveränität, Schutz der Meere und Küsten, Erhalt der Artenvielfalt und natürlichen Ressourcen, Klimawandel – zusammen. Er kann die Nachhaltigkeitsziele in allen Bereichen unterlaufen. Oder erfüllen helfen, wenn er gezielt darauf ausgerichtet wird. Davon ist nicht die Rede. Es ist deshalb jetzt entscheidend, dass im Rio+20-Schlussdokument in erster Linie zu den global wichtigen Fragen die richtigen Weichen gestellt werden, die auch den Tourismus in Schranken weisen können.

Was in der Schlusserklärung von Rio+20 zum Tourismus entworfen wurde, titulierst du als "Werbespot". Kann – oder vielmehr muss – denn dieser wichtige Wirtschaftszweig nicht einen bedeutenden Beitrag zur Bekämpfung der Armut und für die global nachhaltige Entwicklung leisten?

Es ist unsere alte Forderung, dass die Einkommen aus dem Tourismus breiter verteilt werden müssen und die Einheimischen in den Zielgebieten fair daran teilhaben. Das Mantra der UNWTO, der Tourismus führe dank seines krisenresistenten Wachstums und seines Potenzials zur Schaffung von Arbeitsplätzen, neuen Einkommen und Devisen automatisch zur Armutsverminderung und zur nachhaltigen Entwicklung, ist aber völlig irreführend. Damit werden seit Jahren rund um den Globus enorme Hoffnungen geweckt und gewichtige Investitionen – private wie vor allem auch öffentliche – in den florierenden Sektor legitimiert. In Tat und Wahrheit profitieren aber gerade Armutsbetroffene kaum vom boomenden Fremdenverkehr, der ihre Situation im Gegenteil oft verschärft. Ganze Küstenstriche werden zubetoniert, wertvolles Land mit Megaresorts und Golfplätzen verbaut, indigene Völker – gerade unter "grünen" Naturschutzplänen – aus ihren angestammten Gebieten vertrieben, um Pärken Platz zu machen, die den Tourismus ankurbeln sollen. Damit werden Fischern und Bäuerinnen, lokalen und indigenen Gemeinschaften die Lebensgrundlagen entzogen. Angestellte im Tourismus werden zu prekärsten Bedingungen beschäftigt. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren machen etwa 10-15 Prozent dieses gewichtigen Arbeitsmarktes aus. Zwei Millionen Kinder werden jedes Jahr Opfer von sexueller Ausbeutung im Tourismus. Die Liste der gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Verbindung mit dem Tourismusgeschäft wächst praktisch im Gleichschritt mit dem Boom. Mehr noch: Der rasant wachsende Tourismus ist mit seiner Mobilität – bereits heute macht er siebzig Prozent des internationalen Flugverkehrs aus – auf dem besten Weg, zum Klimakiller Nummer eins zu werden. Mit wiederum einschneidenden Folgen für die Menschen in den Zielgebieten, die sich kaum Ferienreisen oder einen Flug leisten können. Aber auch für die Grundlagen des Tourismus selbst, man denke nur an die versinkenden Trauminseln.

Die UNWTO spricht aber seit Jahren von nachhaltigem, oder grünem oder Ökotourismus und führt positive Beispiele ins Feld?

Es gibt sehr wohl lokale Gemeinschaften, die eine Tourismusentwicklung nach ihren Bedürfnissen realisieren können. Die Bedingungen dafür sind hinlänglich bekannt, auch was die Tourismuswirtschaft dazu beitragen muss. Aber diese Leuchttürme dürfen den Blick nicht darauf verstellen, wie das reale Tourismusgeschäft heute im Normalfall läuft und wer dabei absahnt. Die UNWTO und die Spitzenverbände der Wirtschaft überwerfen sich mit Best-Practice-Beispielen, die meist zu wenig transparent ausgewiesen werden, um überzeugend zu sein. Es ist höchste Zeit, dass sie sich ernsthaft darum kümmern, die unnachhaltige und unverantwortliche Mainstream-Entwicklung im Tourismus zu stoppen.

Das soll ja mit dem Umbau auf grünes Wirtschaften eingelöst werden. Der "Green Economy Report" der UNEP widmet dem Tourismus immerhin ein spezielles Kapitel und zeichnet beachtliche Ressourceneinsparungen vor.

Interessant ist, dass der Tourismus gemäss dem UNEP-Bericht zu den so genannten "brown sectors" gehört, also zu den Wirtschaftszweigen, die einen besonderen Nachholbedarf für Energie- und Ressourceneffizienz aufweisen. Die UNWTO, die am 40-seitigen Kapitel "Tourism: Investing in Energy and Resource Efficiency" des UNEP-Berichtes deutlich Hand angelegt hat, wertet den Einbezug des Tourismus in den UNEP- Bericht aber in erster Linie als eine wichtige internationale Anerkennung des mächtigen Sektors und versteigt sich gar zur Behauptung, der Tourismus werde mit seinem krisenresistenten Wachstum zur Speerspitze der gesamten Green Economy.
Das Potenzial für Ressourceneffizienz ist im Tourismus zweifellos beträchtlich. Der UNEP-Bericht zeigt anhand von Modellrechnungen auf, dass jährliche Investitionen von 2011 bis 2050 in der Höhe von 0,2 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts spezifisch in Energie-, Müll- und Wassermanagement, Ausbildung von Angestellten sowie Biodiversitätsschutz dem Tourismus ermöglichen würden, stetig weiter zu wachsen, dabei mehr zur globalen Wirtschaftsleistung beizutragen und gleichzeitig die Nachhaltigkeit zu verstärken. Dabei sollten Einsparungen von 18 Prozent des Wasserverbrauchs, 44 Prozent des Energieverbrauchs und 52 Prozent des CO2-Ausstosses gegenüber dem "Business as usual"-Szenario erzielt werden. Es werden auch interessante Vorschläge von Regulierungen, der gezielten Besteuerung umweltschädlicher Vorhaben und der Förderung von grünen Initiativen, sogar direkten Massnahmen für die Preisgestaltungen vorgebracht, die bislang in internationalen Programmen zur Nachhaltigkeit im Tourismus völlig tabu waren.

Das klingt, als würde die Trendwende zu einem Tourismus eingeläutet, der weniger Ressourcen verschleisst, das Klima nicht weiter anheizt und die Lebensgrundlagen der Einheimischen in den Zielgebieten nicht zerstört?

Genau das wird eben die "Green Economy"-Vorlage zum Tourismus nicht bewirken. Sie bringt zwar positive Ansätze und Forderungen aus dem reichen Arsenal der Tourismuskritik, bleibt dann aber so inkohärent und unverbindlich in ihren Vorschlägen, dass das Wachstum des Tourismus keinen Moment gefährdet werden könnte. So schweigt sie sich darüber aus, wie solch wichtige Regulierungen für Investoren und Tourismusunternehmen im Rahmen der bestehenden Handelsabkommen durchgesetzt werden können. Oder wie beispielsweise die bisherigen grosszügigen Steuererleichterungen und Anreize für ausländische Investoren, die für die Zielgebiete beachtliche Einkommenseinbussen bedeuten, durch konsequent umwelt- und sozialpolitische Steuermassnahmen ersetzt oder zumindest ergänzt werden.
Bezeichnend ist auch, dass bei den Energie-Effizienzmassnahmen des UNEP-Berichts keine der längst international geforderten verbindlichen Obergrenzen zum Ausstoss der Treibhausgase berücksichtigt werden. Die Effizienz soll allein mit technologischen Erneuerungen und erneuerbaren Energien, insbesondere dem Einsatz von Agrotreibstoffen, erreicht werden. Die Autoren der UNEP-Sektorvorlage zum Tourismus erheben noch nicht einmal den Anspruch, dass der zusätzliche Verbrauch, den das Wachstum produziert, gänzlich durch Effizienzsteigerung wettgemacht werden kann. Sie nehmen die noch stärkere Belastung der Umwelt in Kauf, weil das Wachstum bringt und Geld in die Kassen spült. Das dann wie durch Zauberhand zur bisher benachteiligten Bevölkerung hinuntertröpfelt, Armut beseitigt und zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt.
Die Zauberhand scheint auch andersweitig im Spiel zu sein: So setzen die Modellrechnungen zur grünen Wirtschaft im Tourismus auf die Veränderung des Konsumverhaltens hin zu längerer Aufenhaltsdauer bei weniger Reisen und den Umstieg auf erdgebundene Verkehrsmittel für kürzere Distanzen. Anhand verschiedener, mehr oder weniger fundierter Marktforschungen belegen die Autoren, wie sich die Reisenden heute immer stärker für Nachhaltigkeit interessieren. Auf diesen Meinungsumschwung der Reisenden gründen sie ihr Szenario für anhaltendes, aber weniger ressourcenbelastendes Reisewachstum. Weshalb die Reisenden jetzt plötzlich sensibilisiert sind und vor allem was nötig ist, um sie effektiv zu einem verträglicheren Reiseverhalten und den Umstieg auf erdgebundene Verkehrsmittel zu bewegen, wird im "Green Economy"-Bericht der UNEP nicht einmal angesprochen, und dafür sind auch keine Investitionen vorgesehen.

Gibt es denn über die "Begrünung der Wirtschaft" hinaus Vorstellungen oder gar konkrete Vorschläge für die notwendige Neuausrichtung des Tourismus auf ökologisch und sozial verträglichere Formen?

Wichtig ist zunächst, dass nach Rio+20 die "Green Economy" im Tourismus nicht als alleinseligmachendes Zaubermittel für Nachhaltigkeit hochgejubelt, sondern auf ein technisches Papier für Ressourceneffizienz in gewissen Bereichen des Tourismus zurückgebunden wird. Gefragt ist heute vielmehr eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie für den unverträglich boomenden Tourismus. Die Eckpunkte dafür sind eigentlich hinlänglich bekannt und ergeben sich gerade auch aus den "blinden Flecken" – aus all dem, was die "Green Economy"-Vorlage zum Tourismus tunlichst ausspart oder umschifft. So verliert diese Vorlage, die sich als zukunftsweisend für die Tourismuswirtschaft versteht, kein Wort über die neuen Leitlinien zu Unternehmen und Menschenrechten des UN-Sonderbeauftragen John Ruggie, welche die Pflichten von Staaten und die Verantwortung von Unternehmen mit einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht grundlegend neu definieren. Sie müssen auch für den Tourismus verbindlich werden. Die Treibhausgas-Emissionen des Tourismus müssen zwingend in die Reduktionsziele der internationalen Klimavereinbarungen einbezogen werden. Da ist Innovation seitens der Tourismusbranche angesagt, um neue attraktive Produkte auf den Markt zu bringen. "Best practice" im Tourismus muss transparent nachweisbar sein wie etwa bei den neuen Fair Trade-Reisen, die entlang der gesamten komplexen Wertschöpfungskette die Akteure auf sozial und ökologisch faires Wirtschaften verpflichten.
Frauen kommen in der Sektorvorlage der UNEP zur grünen Wirtschaft lediglich als Begünstigte von neuen Jobs und Einkommen im Tourismus vor. Sie machen aber die Mehrheit der Beschäftigten im Tourismus aus, werden in der Regel schlechter entlöhnt als ihre männlichen Kollegen, haben nebst ihrer Arbeit ihre Familien zu versorgen und leiden als erste, wenn Mieten und Lebenshaltungskosten infolge des Tourismus in die Höhe schnellen oder Wasser und Land knapp werden. Sie müssen besonders unterstützt und gefördert werden, wie selbst die UNWTO in ihrem Gender-Bericht von 2010 hervorgehoben hat.
Für Jugendliche unter 25 Jahren hebt die "Green Economy"-Vorlage zum Tourismus nur die Karrierechancen hervor. Dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre vor Ausbeutung im Tourismus besonders geschützt werden müssen und die Branche mit Regierungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen eigens dazu einen Kodex, den "Tourism Child Protection Code" einsetzt, der heute schon in vielen Destinationen umgesetzt wird, bleibt unerwähnt.
Auch lokale und indigene Gemeinschaften figurieren im UNEP-Bericht zum grünen Wirtschaften des Tourismus praktisch nurmehr als Statisten, welche die von oben verordneten Losungen zum Tourismus absegnen und auf den Segen, der dann zu ihnen heruntersickert, zu zählen haben. Wie sie selbstbestimmt, auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet, den Tourismus bereits an vielen Orten gestalten, wird gar nicht in Betracht gezogen.

Kann Rio+20 angesichts des Verhandlungsnotstands über die globalen Ziele der nachhaltigen Entwicklung überhaupt noch Impulse geben für einen zukunftsweisenderen, "weltverträglicheren" Tourismus?

Was immer auch das Ergebnis der Konferenz von Rio+20 ist, sie hat zu einer neuen Bestandesaufnahme geführt, was heute für eine global nachhaltige Entwicklung nötig ist. Der Tourismus ist als einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige der Welt gefordert, ob und wie auch immer dies in der Schlusserklärung des Gipfels zum Ausdruck kommt. Klare politische Weichenstellungen sind nötig, um den ressourcenverschleissenden und menschenrechtsverachtenden Wirtschaftszweig in "weltverträglichere" Bahnen zu leiten. Das wurde bereits in den Klimaverhandlungen offensichtlich. Die Tourismusunternehmen müssen verbindlich auf die Einhaltung der Menschenrechte und Klimaziele verpflichtet werden. Dies kann nicht einfach freiwilligen Initiativen der Wirtschaft überlassen werden. Freiwillige Initiativen müssen vielmehr über gesetzliche Vorschriften hinausgehend einen relevanten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Dabei ist heute viel Innovation von den Tourismusunternehmen gefragt, um neue, verträglichere Formen von Reisen und Urlaub auf den Markt zu bringen.
Es wird sich im Tourismus allerdings gar nichts in Richtung Nachhaltigkeit bewegen ohne den umfassenden Einbezug der Betroffenen von unnachhaltigen Tourismusentwicklungen und der Pioniere von zukunftsweisenden Formen des Tourismus. Ihre Vorstellungen einer zukunftsfähigen Entwicklung – mit oder ohne Tourismus – müssen zum Tragen kommen. So fordern wir seit Jahren bereits auch die UNWTO auf, zivilgesellschaftliche Organisationen in ihre Programme und Entscheidungen angemessen miteinzubeziehen, wie dies in anderen UN-Gremien längst der Fall ist. Das UNEP-Sektorpapier zur grünen Wirtschaft im Tourismus sähe mit Sicherheit anders aus, wenn ziviligesellschaftliche Organisationen daran mitgearbeitet hätten wie etwa bei der "Green Economy"-Vorlage der UNEP zur Fischerei.
Rio+20 kann der Kick-off sein für die Erarbeitung von globalen Nachhaltigkeitszielen, die auch den Tourismus einbinden. Tragfähige Ergebnisse können aber auch da nur erzielt werden, wenn die Zivilgesellschaft voll in den Erarbeitungsprozess einbezogen wird. Indigene, Bäuerinnen, Fischer, Kellnerinnen, Pensionswirte und ihre Familien, Kinder und Jugendliche, deren Anliegen heute im Tourismus kaum Gehör finden, müssen mitbestimmen, wie sie sich ihre Zukunft in den Tourismusgebieten vorstellen. Und damit ihre Stimmen auch effektiv von den Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft und von den Reisenden gehört werden, braucht es starke zivilgesellschaftliche Organisationen in den Zielgebieten und Quellländern des Tourismus, die für wirksame Lobby- und Bewusstseinsarbeit ihre Kräfte bündeln. Es muss neue Dynamik in die verkrusteten Debatten zum Tourismus kommen, um diesen mächtigen Wirtschaftszweig auf einen "weltverträglichen" Kurs zu bringen.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung hat in den letzten Jahren immer wieder zum Zusammenhang zwischen Tourismus und Armut Stellung genommen.