Sanktionen gegen die Malediven?: Wo Himmel und Hölle sich guten Tag sagen
Am 16. September 2004 ergriff das Parlament der Europäischen Union (EU), politische und wirtschaftliche Sanktionen gegen die Malediven und deren Präsident Abdul Gayoom, der den Inselstaat seit 26 Jahren regiert. Bereits zuvor hatte die Demokratische Partei der Malediven (Maledivian Democratic Party – MDP) aus ihrem Exil in Sri Lanka die Touristen aufgerufen, den maledivischen Inselstaat nicht mehr zu besuchen. Dies nachdem die Regierung 180 Oppositionelle verhaften liess, die friedlich gegen die Regierungspolitik demonstriert hatten. Am 13. August 2004 fanden in der Hauptstadt Male die grössten Kundgebungen in der Geschichte der Malediven statt: Mehr als 5’000 Menschen nahmen auf der 1,5 km2 grossen Insel im Zentrum des Staates daran teil und forderten unter anderem die Freilassung politischer Gefangener. Die Polizei löste die Demonstration mit Tränengas und Schlagstöcken auf. Die Regierung verneint jegliche Missstände und betont, keine politischen Häftlinge zu haben. Sie hat die EU zu einer Untersuchung der Vorfälle eingeladen. Die EU stellt für die Malediven den bedeutendsten Tourismus-Markt dar. Das Urteil der EU-Abgeordneten ist vernichtend: Sie halten fest, dass die Malediven seit 26 Jahren von einem brutalen totalitären Regime regiert werde und fordern Präsident Gayoom auf, die grundlegenden Menschenrechte seiner Bürger zu gewährleisten und transparente, tiefgreifende Reformen durchzuführen. Weiter fordern sie die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten auf, jegliche humanitäre Hilfe an die Malediven unverzüglich einzustellen und ein sofortiges Reiseverbot zu verhängen. Die EU soll gegenüber allen Touristen, die eine Reise auf die Malediven planen, entschiedene Warnungen bezüglich der Menschenrechtssituation in diesem Land aussprechen. Die britische tourismuskritische Organisation Tourism Concern hält nicht viel von einem solchen Boykott. Vielmehr lancierte sie eine Kampagne, um den Tourismus so zu ändern, dass die Lebensqualität und die Menschenrechtssituation der Bevölkerung auf den Malediven verbessert werden können. Ein Boykott hingegen würde die Armut nur noch mehr vergrössern.
Hintergrund der Demonstration ist die riesige Schere zwischen Arm und Reich. Die maledivischen Einnahmen stammen beinahe vollständig aus dem Tourismus. 2003 reisten mehr als eine halbe Million TouristInnen auf die Malediven, die mit 278’000 BewohnerInnn etwa halb so viele Einwohner zählen. Aus der Schweiz stammten ein Jahr zuvor 77’600 Reisende. Von den Einnahmen profitieren jedoch nur wenige, zum Beispiel die Regierung. Der Tourismus macht über 90 Prozent der staatlichen Einnahmen aus. Reisende zahlen zur Zeit eine Tourismustaxe von 6 US Dollar pro Tag, ab November 2004 werden es 8 US Dollar sein. Einige wenige einflussreiche Familien und ihre Unternehmen herrschen über die meisten Ferieninseln der Malediven, ehemals unbewohnte, höchstens zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzte Eilande, auf denen heute Einheimische nur noch Zutritt haben, wenn sie dort angestellt sind. Allein „Universal Enterprises“, managt 8 der 87 Inseln, die ausschliesslich für den Tourismus reserviert sind. Die Ferieninseln werden an die Meistbietenden verpachtet, in einem umstrittenen Verfahren, das höchst korruptionsanfällig und -verdächtig ist. Laut verschiedenen Berichten der UNO, der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und von Tourism Concern profitiert der Grossteil der Bevölkerung, der keinen Zugang zu den Ferieninseln hat, überhaupt nicht vom Tourismus. Die Angestellten auf den Malediven sind durch keine ILO-Konvention geschützt; eine solche hat der Staat nie unterzeichnet. Etwa 20’000 Personen sind direkt in der Tourismusbranche tätig, beinahe die Hälfte sind Fremdarbeiter aus Sri Lanka, Indien, Pakistan und Bangladesh. Der Durchschnittslohn liegt bei 75 US Dollar pro Monat. Dafür müssen die Angestellten zwölf Stunden täglich, während sieben Tagen die Woche arbeiten. Pro Monat erhalten sie lediglich einen Tag frei. Erschwerend kommt hinzu, dass die Löhne nicht garantiert sind. Zur Zeit haben etwa die Angestellten auf der Insel Giravaru teils seit drei Monaten keinen Lohn mehr erhalten. Die Insel wird von der Familie des Sohnes von Präsident Gayoom betrieben.
Bereits bestehen Pläne für einen weiteren Ausbau des Tourismus: Elf neue Tourismusinseln sollen entstehen; wieder sollen die Höchstbietenden den Zuschlag erhalten. Viele bestehende Ferieninseln werden auf Erstklass- oder Luxusniveau getrimmt. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. /na
Quellen: Tourism Watch Nr. 36 Oktober 2004, www.tourism-watch.org; Travel Inside 22.9.2004; Basler Zeitung 18.9.2004; Pressemitteilung des Europäischen Parlaments 16.9.2004, www.europarl.eu.int; e-Turbo-News 23.8.2004 und 27.8.2004, www.travelwirenews.com; EU Business 23.8.2004, www.eubusiness.com; Amnesty International 13.8.2004, http://news.amnesty.org; Informationen von Tourism Concern, www.tourismconcern.org.uk; United Nations Development Programme, www.mv.undp.org; Pressemitteilung des Bundesamtes für Statistik 17.11.2003