Wo sind sie geblieben? Die tierreichen Steppen Afrikas, die Stille der Wildnis ohne künstliche Geräusche, das beispiellose Lebensgefühl von faszinierender Abgeschiedenheit und Andersartigkeit mit scheinbar  menschenlosen Steppen voller Wildtiere, in der man aber bei einem Schlangenbiss, Unfall oder einer Erkrankung ohne Aussicht auf Rettung in Lebensgefahr geraten konnte?

Ja, wo ist jenes Ostafrika geblieben, das noch vor drei Jahrzehnten im Norden Tansanias erlebt werden konnte? Als man die Strecke von der Stadt Arusha in die Serengeti nicht in ein paar Stunden zurücklegte, stattdessen mindestens eine Übernachtung einplanen musste, um die gleiche Strecke auf löcherigen Pisten und durch Staubwolken im Schritt-Tempo zu bewältigen. Als man dafür aber neben den wenigen Massai-Siedlungen immer wieder Giraffen, Zebras, Antilopen, manchmal sogar Hyänen, Löwen oder Elefanten begegnete.

Und wo beim Örtchen Mto wa Mbu am Fusse des Ostafrikanischen Grabenbruchs noch traditionell gekleidete Menschen des Jäger- und Sammlervolkes der Hadza oder Angehörige von Rindernomaden wie jene der Iraq, Barabaig oder Massai die Piste kreuzten. Ja, wo man im menschenleeren Ngorongoro-Krater einfach und allein sein Zelt aufstellen konnte.

Und wo ältere Tansanier sich daran erinnerten, dass noch um 1950 zahlreiche Nashörner die Ebenen belebten, und einem damals schon bewusst werden konnte, dass wohl unaufhaltsam jene Tage nahten, in denen die Wildtiere bald nur noch in Schutzgebieten überleben würden. Ohne ihre traditionellen Wanderrouten, umzingelt von Siedlungen, Farmen, Pflanzungen und Rinderherden.

Nationalparks: Einst ein teures Vergnügen für Wenige

Kaum jemand aber stellte sich vor, dass der in Kenia mit Erfolg betriebene "Massentourismus" jemals in das vom Sozialismus afrikanischer Prägung geknebelte Tansania schwappen würde. Nicht nur, weil die "bedächtigen und sanften Tansanier" mit den eher "geschäftstüchtigen und draufgängerischen Kenianern" angeblich nicht mithalten konnten. Tansania, stets am Tropf der "Entwicklungshilfe", machte dem "kapitalistischen" Kenia zwar mit seinen erfreulich vielen Nationalparks etwas vor, dem Land fehlten jedoch die Infrastruktur, die Mittel und der Wille für den ökologisch fragwürdigen Breitentourismus.

Der Besuch der Nationalparks vorab in Nordtansania war ungleich teurer. Viele Touristen konnten ihn sich kaum leisten, die Einheimischen schon gar nicht. Busch-Safaris wurden spezialisierten Safari-Unternehmen mit Geländewagen überlassen. Worunter auch solche aus der wohlhabenden Schweiz, die bis heute mit Risiko, Einfallsreichtum und gutem Service ihren Kunden und Kundinnen zu unvergesslichen Safaris verhelfen.

Breite Strassen, Kleinflugzeuge, Lodges mit Pools, Luxuscamps

Doch Tansania ist inzwischen kaum mehr wiederzuerkennen. Arusha, Ausgangsort für die meisten Reisen, hat sich vom verschlafenen Städtchen in eine verkehrsüberlastete Grossstadt mit Hotels, Reiseunternehmen und Geschäften verwandelt. Breite Teerstrassen, mit Hilfe Europas, Japans und Chinas erstellt, lassen jede Menge Kleinbusse, Lastwagen und Geländefahrzeuge in die Parks Tarangire, Manyara, Ngorongoro und Serengeti fahren – durch neue Siedlungen und wildentleerte Gebiete. Wer will, wer kann, steigt in ein Kleinflugzeug und lässt sich auf einem der vielen neuen Flugpisten in und entlang der Schutzgebiete absetzen.

In den Parks laden immer mehr Lodges mit Swimmingpools zum Übernachten und Wildbeobachten. Luxuscamps versprechen "spannende Wildnis-Abenteuer" – Hauszelt, Himmelbett, elektrisches Licht, Badewanne und Feinschmeckerküche inbegriffen. Allein im Serengeti-Nationalpark, dessen Leitung im Hauptquartier von Seronera einst aus ökologischen Gründen strikte jeden Hotelneubau zu verhindern versuchte, locken heute über 60 Lodges und Camps, etliche davon illegal erstellt.

Im beliebten Norden, an der Grenze zum kenianischen Massai Mara-Naturschutzgebiet, massieren sich touristische Einrichtungen in wachsender Dichte. Und die Regierung scheint – im Gegensatz zur Nationalparkbehörde Tanapa – nichts dagegen zu haben.

Overtourismus im Busch

Entsprechend stark zugenommen haben im Park Schwer- und Tourismusverkehr, Unfälle mit Tieren, Lärm, Abgase, Müll, Wasserverbrauch und Bodenschäden. "Der Tourismus wird leider zunehmend zum Overtourism und zu einer Belastung", bedauert Adrian Schläpfer, Präsident der Organisation "Freunde der Serengeti Schweiz (FSS)".

Die Situation bekümmert den früheren Schweizer Botschafter in Tansania auch deshalb, weil das Serengeti-Ökosystem noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat: Wilderei, illegale Siedlungen innerhalb des Parks, Invasionen von Abertausenden Rindern, die den Gnus und Zebras das Futter wegäsen oder sich schnell ausbreitende Fremdpflanzen ohne Nährwert zum Beispiel. Für Schläpfer ist klar, dass wenigstens der wachsende Safari-Tourismus "im Interesse der Nachhaltigkeit und als wichtige Devisenquelle strenger geregelt werden muss".

Längst schon ist es keine Frage mehr, dass der Overtourism dem Ökosystem zusetzt – und immer mehr zu absurden Situationen führt. Wird etwa auf einem Baum ein Leopard oder im Gras eine ruhende Löwin gesichtet, bewegen sich dank moderner Kommunikationstechnik rasch ganze Wagenkolonnen auf die entdeckten Grosskatzen zu. Im Nu sehen sich diese von Autos und Passagieren umringt, von Menschen, die ihre Smartphones, Foto- oder Filmapparate zücken, um den Moment mit dem Wildtier festzuhalten. Öfters auch als Selfie, das umgehend nach Europa, den USA und Asien verschickt wird.

Regelungen und Ausweichstrategien

Es ist nicht mehr zu übersehen: wie Venedig, Thailands Badestrände, Machu Picchu, die Galapagos, der Ngorongoro-Krater oder Kilimanjaro wird auch die Serengeti an attraktiven Stellen durch wachsende Touristenscharen entzaubert und bedroht. Das wird heute mit den Begriffen "Overtourism" und "Overcrowding" umschrieben, gegen die vorab strikte Regulierungen mit entsprechend rigoroser Kontrolle nützen könnten.

Oder Ausweichstrategien, wie findige Safari-Firmen wissen. Der in Tansania aufgewachsene Fotograf, Filmer und Fusssafari-Führer Gian Schachenmann weiss: "Sogar in der Serengeti kann man noch tagelang wandern, ohne jemand zu treffen – ausser die Wildtiere. Und im Süden Tansanias sind die riesigen Schutzgebiete immer noch völlig unterbelegt und wunderbare Ziele. Tansania ist riesig, und wenn die Behörden den Tourismus richtig lenken lernen, wird das Land auch in Zukunft seine Faszination behalten."