Schönheit: Blass is beautiful
Hochsommer. In Badis und Parks drängt man sich wieder dicht an dicht in der brütenden Hitze. Das Ziel: ein schicker Bronzeteint, der nach mindestens zwei Wochen Saint-Tropez aussieht – entgegen aller Warnungen vor Sonnenbrand und Hautkrebs. Gerade sah sich der Moderiese H&M zu einer Entschuldigung für seine diesjährige Bademoden- Kampagne mit einem allzu braun gebrannten Model gezwungen. Kritiker befürchteten, ein solches Schönheitsideal verleite die Leute zu unvernünftigem Sonnenbaden. Dabei ist eine braune Haut längst nicht überall auf der Welt das Mass aller Dinge. Im Gegenteil: Von Lateinamerika über Afrika bis nach Asien dominiert das Ideal der noblen Blässe. Je heller die Haut, desto grösser das Ansehen in der Gesellschaft. Deshalb meiden viele Frauen aus dem Süden auch in unseren Breitengraden die Sonne. Wer asiatische Reisegruppen in der Schweiz beobachtet, sieht neben Schirmen oft auch breitkrempige Hüte, um die Sonnenstrahlen abzuwehren. Urlaubsbräune ist in diesen Ländern kein Statussymbol, sondern ein Makel.
Quecksilber als Aufheller
"Genau wie das Bedürfnis nach Sonnenbräune bei den Europäern, so ist auch der Wunsch meiner afrikanischen oder asiatischen Kundschaft nach hellerer Haut eine Realität", sagt Seok Lian Lee. Die herzliche gepflegte Frau Mitte 40 stammt aus Singapur und führt in Pratteln ein Kosmetikstudio, das Aufhellungen dunkel pigmentierter Haut anbietet. Schon bevor Lee ihre Heimat vor 20 Jahren Richtung Schweiz verliess, arbeitete sie in einem Kosmetikgeschäft. Singapur ist ein ethnischer Schmelztiegel, ein spannendes Terrain für ihren Beruf: Menschen chinesischer, thailändischer und indischer Abstammung leben dort, ebenso Gastarbeiter und Ausländer aus allen Kontinenten. Auch in der Schweiz bleibt Lee der asiatischen Lehre treu. "Der Gang zur Kosmetikerin gehört in Asien zum Alltag", erzählt sie. Ihr sei aufgefallen, dass in Europa nicht die sorgfältige, ganzheitliche Pflege der Haut im Vordergrund stehe, sondern die "Deko", die Tendenz zum Überschminken. "Die Leute geben viel Geld für teure Schminksachen oder den Coiffeur aus, aber bei den Pflegeprodukten knausern sie und kaufen günstige Crèmes aus dem Supermarkt, anstatt in passende Produkte zu investieren", wundert sich Seok Lian Lee noch heute.
Der Wunsch nach möglichst heller Haut ist in Asien tief verwurzelt. In Japan etwa gibt es seit Jahrhunderten das Ideal der "Bihaku": Frauen mit einem makellosen Porzellanteint. Ein japanisches Sprichwort besagt, eine hellhäutige Frau sei in jedem Fall schön, auch wenn sie ansonsten wenig attraktiv wirke. Und auch das chinesische Pendant spricht für sich: "Wer weisse Haut hat, dem verzeiht man hundert Makel." Wie früher in Europa, erkennt man in Arabien und Asien die Adelsschicht bis heute an der helleren Haut, da diese im Gegensatz zu den Bauern keine körperliche Arbeit an der prallen Sonne verrichten muss.
Eine makellose Haut wird rund um den Globus als schön empfunden. Um dieses Ziel zu erreichen, komme man sowohl bei heller als auch bei dunkler Haut nicht um bleichende Stoffe herum, denn die allerwenigsten Menschen hätten von Natur aus einen ebenmässigen Teint, erklärt Fachfrau Lee: "Leberflecken und Sommersprossen können nur mit leicht aufhellenden Stoffen korrigiert werden." Vor allem Afrikanerinnen und Thailänderinnen kommen zu ihr. Oft muss Lee die Frauen über die Grenzen des Machbaren aufklären. "Bleichen ist ein Eingriff, vergleichbar mit einer plastischen Operation. Neben dem Zustand der Haut ist mir daher auch der Zustand der Seele einer Kundin wichtig." Lee verwendet in ihrem Studio sogenannte Pharmaceuticals, Produkte, die nach medizinischen Richtlinien hergestellt werden. "Wer irgendwelche Bleichcrèmes übers Internet kauft und ohne den Rat einer Fachperson anwendet, gefährdet seine Gesundheit", warnt sie. In hautaufhellenden Crèmes aus Asien oder den USA findet man nicht selten Bestandteile wie Kortison, Quecksilber, Säuren oder Hydrochinon.
Die gebleichte Gattin aus Afrika
"Hydrochinon ist ein aggressiver Stoff, den man zum Entwickeln von Fotos und Filmen verwendet", sagt Nana Zimmermann. Die gebürtige Ghanaerin hat in Bern praktisch aus dem Nichts ein Geschäft aufgebaut, das neben afrikanischen Lebensmitteln auch eine grosse Auswahl an Pflegeprodukten speziell für dunkle Haut im Sortiment hat. Am Empfangs tresen bei der Kasse ist gut sichtbar ein Plakat mit gesetzlich verbotenen Substanzen angebracht. "Damit möchte ich ein klares Statement setzen. Mir ist es wichtig, dass meine Kundinnen eine gesunde Haut haben, auch wenn sie bleichen", betont Zimmermann. Deshalb führe sie ausschliesslich Produkte mit zugelassenen milden Stoffen, wie sie auch in der Natur vorkommen, zum Beispiel Zitrus- oder Milchsäurekomplexe. "Schon Kleopatra hat um die feuchtigkeitsspendende und bleichende Wirkung von Milchbädern gewusst", so Nana Zimmermann. Den Grundton der Haut kann man allerdings nicht verändern. Teilweise hat ihre Kundschaft auch unrealistische Wünsche – eine hellere Haut in drei Tagen, das geht einfach nicht. "Einmal kam ein Schweizer zu mir, der eine Afrikanerin geheiratet hatte und für sie nun Bleichcrème kaufen wollte, damit sie möglichst schnell hell werde. So etwas macht mich traurig." Ein anderes Mal sei im Laden eine indische Familie mit einem Mädchen aufgetaucht, das hell werden wollte wie ihre Schweizer Kolleginnen. Da das Mädchen noch nicht volljährig war, durfte ihr Nana Zimmermann nichts verkaufen. "Wie bei Solarien gelten bei Bleichmitteln zu Recht strenge Gesetze, denn Bleichen birgt wie Tätowieren oder das Solarium ein gewisses Suchtpotenzial."
Jeder Mensch habe das Bedürfnis, dazuzugehören und viele Afrikaner erlebten hier, dass sie ihrer Hautfarbe wegen negativ wahrgenommen würden, so die 35-jährige Geschäftsfrau. Die Anpassung an das westliche Ideal habe manchmal aber auch rein praktische Gründe. "Zum Beispiel das Glätten der Haare: Das Frisieren am Morgen geht mit geglättetem Haar einfach viel schneller, als wenn es kraus wäre."
Hellhäutig in Bollywood
Eine besondere Rolle spielt helle Haut in Indien und Sri Lanka. In diesem Kulturkreis ist die Hautfarbe eine der Hauptsäulen des Kastensystems. Die oberste Kaste der Brahmanen ist hellhäutig, die Dalits, die indischen Ureinwohner – als "Unberührbare" taxiert und vom Kastensystem ausgeschlossen – eher dunkelhäutig. Neben dem Kastensystem, das oft als Erklärung für den Wunsch nach hellerer Haut genannt wird, gebe es auch einen rein ästhetischen Grund, warum Aufhellen beliebt sei, so Thirusajini Thiripuratharasu. "Auf Fotos wirken Gesichter vorteilhafter und ebenmässiger, wenn sie ein, zwei Nuancen heller geschminkt sind."
Thiripuratharasu hat tamilische Wurzeln, ihre braune Haut ist beneidenswert rein, die Brauen perfekt in Form. Die 20-jährige Berner Seeländerin ist im zweiten Lehrjahr zur Pharma-Assistentin und hat gemeinsam mit der Tamilin Nithja Shanmugalingam eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolviert. Beide haben ihre Freude am Schminken an Hochzeiten und traditionellen Feiern entdeckt. Die "Muse" der 26-jährigen Bernerin Shanmugalingam, die Schminken als Kunstform sieht, ist Model und Bollywood-Beauty Aishwarya Rai. "Diese Frau fasziniert mich mit ihrem wandelbaren Gesicht und damit, dass sie sich sowohl westlich als auch asiatisch stylen lässt." Dass Rai, wie viele indische Filmstars, sehr hellhäutig ist, stört sie nicht. Mit dem Aufhellen dürfe man es aber nicht übertreiben. "Das Gleiche gilt ja auch beim Solarium und beim Sonnenbaden: Zu viel ist ungesund", findet die zweifache Mutter und IT-Spezialistin, die gerne einmal als Visagistin in der Filmbranche arbeiten würde. Für sie selbst käme Bleichen nicht infrage. Der Stellenwert der Hautfarbe ist ihr besonders aufgefallen, als die Leute in Sri Lanka ihr genau ansahen, dass sie nicht dort lebt. "Meine Hautbeschaffenheit und Farbe sind offenbar anders, und weil meine Haut gut gepflegt ist, wurde ich auf der Strasse sogar einmal für eine Schauspielerin gehalten", erzählt sie mit einem Schmunzeln.
Auch ihre Kollegin Thirupuratharasu hat ein entspanntes Verhältnis zur Hautfarbe. Es gebe in der Schweiz zwar Leute aus Indien und Sri Lanka, die Bleichcrème verwenden würden und in der Badi im Schatten blieben. Ihr selber ist diese Ansicht eher fremd, da sie in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist. Sie orientiert sich weder an Stars noch an Trends, sondern kreiert ihren ganz eigenen Stil. "Schönheit bedeutet für mich gepflegt sein, ganz unabhängig von der Hautfarbe", findet Thirusajini Thiripuratharasu. Ein Satz, den sich Menschen aller Couleur vor dem nächsten Sonnen- oder Schattenbad durch den Kopf gehen lassen können.
Das Idealbild einer möglichst hellen Haut reicht in Afrika bis in die Antike zurück. So soll bereits Kleopatra ihre Haut aufgehellt haben. "Was selten ist, ist kostbar, daher gilt helle Haut als edel. In Afrika hat diese Ansicht heute aber vor allem mit dem Kolonialismus zu tun", findet Nana Zimmermann. Je hellhäutiger man sei, desto mehr Anerkennung und Einfluss besitze man. Sie selbst hat eine straffe, glatte Haut, deren dunkel schimmernde Farbe an Edelholz erinnert. Als Kind sei sie so dunkel gewesen, dass man praktisch nur die weissen Zähne und die Augen gesehen habe. Ihre Mutter meinte einmal im Scherz: "Wo habe ich dich nur herbekommen?" Heute ist Zimmermann etwas heller als damals. Vor allem aber ist sie mit ihrer Haut zufrieden. "Gott hat mir diese Haut gegeben, warum sollte ich daran etwas ändern?" Allerdings akzeptiere sie, wenn jemand, der in Europa lebe, heller werden möchte.