War es wirklich falsches Gold oder eine beschädigte teure Haarspange, die ein muslimischer Händler in der Stadt Meikhita einem buddhistischen Ehepaar verkaufen wollte? Oder wollte ein buddhistischer Händler einen muslimischen Kunden betrügen? So genau lässt sich das gar nicht bestimmen, aber dieser Streit war in Myanmar, dem ehemaligen Burma, der jüngste Auslöser für brutale Übergriffe gegen die muslimische Minderheit. In dem mehrheitlich buddhistischen Land bedarf es nicht viel, und religiöse Spannungen münden in einer Eruption der Gewalt.
Mindestens vierzig Tote waren zu beklagen, zahlreiche Moscheen und Gebetshäuser wurden niedergebrannt. Das allmächtige Militär forderte zwar zur Ruhe auf, zeigte aber wenig Bereitschaft, den Muslimen wirklichen Schutz zu garantieren. Das passt nicht zu dem weit verbreiteten Bild vom Buddhismus, der als besonders friedfertige Religion gilt. Noch verstörender ist, dass buddhistische Mönche den Konflikt sogar schüren. Einer ihrer Wortführer ist Saydaw Wirathu, der 2003 wegen antiislamischer Hetze inhaftiert worden war. Mit markigen Worten warnt er vor einer "Islamisierung Myanmars", der die Regierung nicht entschieden genug entgegentrete. Eine organisatorische Plattform der Militanten ist die Bewegung 969, deren Bezeichnung an die buddhistische Zahlenmystik angelehnt ist. Zweifellos repräsentieren sie nur eine Minderheit innerhalb des Klerus, doch die Bewegung kann auf stillschweigende Sympathie hoffen.
Ist die Dominanz des Buddhismus, immerhin Staatsreligion, in dem südostasiatischen Land wirklich bedroht? Keine Rechte – keine Perspektive. Offiziell stellen die Muslime etwa vier Prozent der 55 Millionen Einwohner, also gut zwei Millionen, doch von manchen wird die Angabe als zu niedrig angesehen. Unbestritten ist, dass sich die Muslime grob in zwei Gruppen einteilen lassen: zum einen konvertierte ethnische Birmanen, zum anderen die Minderheit der Rohingyas im nordwestlichen Bundesstaat Rakhine, früher Arakan. Der grösste Teil der birmanischen Muslime gehört zu dieser Gruppe. Im ganzen Land gibt es etwa 2500 registrierte Moscheen, davon die Hälfte in Rakhine. Dort existieren auch zahlreiche Koranschulen. Bis zum Militärputsch von 1962 konnten birmanische Muslime auch in Kairo oder an anderen Orten islamischer Gelehrsamkeit studieren. Der nationalistische Kurs der Militärs hat dem jedoch einen Riegel vorgeschoben.
Besonders hart trafen die Massnahmen der Militärs die Rohingyas, deren Siedlungsgebiet an Bangladesch grenzt. Sie sind Nachkommen islamisierter Einheimischer, aber auch beeinflusst von arabischen Händlern und bengalischen Migranten. Ihre Sprache steht dem Bengalischen nahe und zählt zur indogermanischen Sprachfamilie. Ursprünglich verwendeten sie die arabische Schrift, heute wird auch die lateinische benutzt. Der Islam ist das wichtigste Merkmal ihrer Identität. Deshalb werden sie kollektiv diskriminiert. Sie fallen nicht unter die 135 ethnischen Gruppen, denen 1982 das Recht auf Staatsbürgerschaft zugestanden wurde. Gerne griff die Militärdiktatur auf die Muslime als Sündenbock zurück, um von inneren Missständen abzulenken. Daran hat auch die Demokratisierung und Liberalisierung der jüngeren Vergangenheit nicht viel geändert. Regierungsvertreter bezeichnen sie zumeist als "bengalische Muslime" und "illegale Einwanderer", was als Vorwand gilt, ihnen jegliche Rechte abzusprechen.
Seit Jahren versucht die Regierung, die Rohingyas durch Terror aus dem bitterarmen Land zu vertreiben: Sie erhalten keine Papiere, ihr Land wird beschlagnahmt, sie werden zur Zwangsarbeit abkommandiert, Frauen massenhaft vergewaltigt, viele Männer willkürlich inhaftiert und gefoltert. Tausenden bleibt nur die Flucht, doch es gibt nicht viele Staaten, die bereit sind, sie aufzunehmen. Der Nachbar Bangladesch gehört nicht dazu. Auch Thailand schickt diejenigen, die in seeuntauglichen Booten an den Küsten stranden, zurück aufs Meer. Allein Indonesien und Malaysia bieten einen gewissen Schutz. Vermutlich haben etwa 20’000 Rohingyas in den letzten Jahren versucht, dem Terror durch die Flucht über das Meer zu entkommen. Statistiken des UNHCR weisen 500 Tote durch Ertrinken aus, doch dürfte das nur die Spitze eines Eisbergs sein. Nach Jahrzehnten der Diskriminierung lebt etwa die Hälfte der insgesamt drei Millionen Rohingyas ausserhalb von Myanmar.

Nationaler Konsens

Das besonders Beschämende: Bei aller inneren Zerrissenheit hat sich bis heute ein düsterer nationaler Konsens gegen die Muslime gehalten. Auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi schweigt dazu und zeigte sich während der jüngsten Übergriffe demonstrativ bei einer Militärparade. Andere Vertreter ihrer Partei verteidigen offen die Position der Regierung, wonach die Rohingyas keine Staatsbürger seien und deshalb auch keine Rechte beanspruchen könnten. Ob die Oppositionsführerin aus Überzeugung handelt oder aus strategischen Gründen, ist unklar. 2015 finden allgemeine Wahlen statt. Ein deutliches Bekenntnis für die Rechte der Muslime könnte selbst die hoch angesehene Friedensnobelpreisträgerin viele Stimmen kosten. 
Beschämend ist aber auch der Umgang der islamischen Welt mit dem Konflikt. Praktische Unterstützung erhalten die Rohingyas wenig. Stattdessen wird die Auseinandersetzung in erster Linie als Glaubenskampf zwischen Buddhismus und Islam gesehen und benutzt. Als im Juli vergangenen Jahres die Situation schon einmal eskalierte, verbreitete eine pakistanische Nachrichtenagentur ein Bild, auf dem buddhistische Mönche vor toten Körpern zu sehen waren; angeblich vor ermordeten Muslimen in Myanmar. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein Foto, das tibetische Mönche vor Opfern des katastrophalen Erdbebens vom April 2010 in Osttibet zeigte. Das Foto sorgte für grosse Emotionen in der islamischen Welt. Auch wenn die Exil-Tibeter das Missverständnis sofort richtigstellten, zirkulierte es noch lange in muslimischen Online-Foren und wurde bei Demonstrationen gegen Myanmar gezeigt.
Das buddhistisch-islamische Verhältnis ist seit Jahrhunderten von Spannungen und Kriegen geprägt, wobei die Buddhisten zumeist die Verlierer waren. Damit die Rohingyas nicht länger Opfer historischer Altlasten sind, für die sie keinerlei Verantwortung tragen, gilt es, den dunklen Seiten der buddhistisch-islamischen Geschichte unverstellt ins Auge zu blicken.
*Die Situation zwischen Muslimen und Buddhisten verschärft sich: Im Rakhine State im Westen Burmas setzen die Behörden ein Gesetz durch, das einseitig Muslimen das Recht nimmt, mehr als zwei Kinder pro Familie zu haben. Die Ein-Kind-Politik Chinas war im Gegensatz dazu nie auf eine Ethnie beschränkt. Im Nachgang zu den Übergriffen auf die Muslime gründeten extremistische Buddhisten zudem die antimuslimische Rakhine National Development Party (RNDP). Aber auch in Nachbarländern brodelt es: Unmittelbar nach Fertigstellung des Beitrags haben im benachbarten Bangladesh radikale Muslime die Jagd auf die buddhistische Minderheit in den Chittagong-Bergen eröffnet, und dies nicht weniger brutal.