fairunterwegs: Die Schweizer*innen, ihre Treibhausgase und das Ausland: eine vertrackte Beziehung. Kannst du uns aufklären – wie viel CO2 stossen wir im Inland und wie viel im Ausland aus?

Alex Tiefenbacher: Rechnet man nach dem Territorialprinzip, dann emittierte 2021 jede Person in der Schweiz laut den Zahlen vom Bundesamt für Umwelt BAFU 5 Tonnen Treibhausgase. Nach diesem Prinzip sind alle Emissionen drin, die innerhalb der Schweizer Grenzen anfallen. Es gibt aber auch noch das Konsumationsprinzip. Da wird ausgerechnet, wie viel wir pro Person durch unseren Konsum verursachen. Um herauszufinden, wie viel das ist, addiert man das CO2, das via Konsumgüter in die Schweiz importiert wird und zieht das CO2 ab, das mit Exportgütern das Land wieder verlässt. Da die Schweiz zwar teure aber nicht wirklich emissionsintensive Güter exportiert, ist der Export-Effekt eher gering. Nach dem Konsumationsprinzip haben wir dann circa 13 Tonnen pro Person. Einfach, weil sehr viel von dem, was wir hier verbrauchen, seien das T-Shirts, Gurken oder Tastaturen, im Ausland hergestellt wird. Die Differenz zwischen den 5 Territorialtonnen und den circa 13 Konsumationstonnen sind grob gesagt die Tonnen, die wir im Ausland verursachen – also rund 8 Tonnen.

Quizfrage: Wo sind die Emissionen, die wir bei einem Flug oder einer Schifffahrt ausstossen? 

AT: Bei den 5 Inlandstonnen, übrigens die Zahl, die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens relevant ist, sind die Emissionen der internationalen Luft- und Schiffsfahrt nicht drin, weil sich die Länder bis heute auf keinen Verteilungsschlüssel einigen konnten. Wenn eine Person mit Schweizer Pass von Portugal über Spanien, Frankreich und Deutschland nach England fliegt, auf wessen Länderkonto sollen diese Emissionen dann landen bzw. welches Land muss sich dann darum kümmern, dass diese Emissionen bis 2050 weg sind? Diese Frage ist unter dem Pariser Klimaabkommen bis heute nicht geklärt. Deswegen werden diese Emissionen den Ländern bis heute nicht zugeteilt.

Die circa 13 Konsumationstonnen berechnet das BAFU nach der Treibhausgas-Fussabdruck-Methode, wie du sie aus Klimarechnern kennst. Es handelt sich teilweise um ein statistisches Modell, bei dem die Treibhausgasemissionen ermittelt werden, die durch die Endnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gesamthaft entstehen. Dabei werden nicht nur die in der Schweiz emittierten Treibhausgase erfasst, sondern auch die, die im Ausland entstehen. Anders als bei den 5 Inlandstonnen sind hier die Flug- und Schiffsfahrtemissionen also mit drin. Aber zum Beispiel auch Dinge, die eine Person mit Schweizer Pass im Ausland konsumiert, zum Beispiel die Emissionen der Klimaanlage, die ein Tourist oder eine Touristin aus der Schweiz in Thailand verursacht. Wichtig ist aber: Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens gilt das Territorialprinzip. Offiziell ist also nicht die Schweiz, sondern Thailand für die Kühl-Emissionen verantwortlich, die Schweizer Urlaubsgäste im Beachhotel auf Koh Samui verursachen.

FU: Nun will das Parlament möglichst viel vom im Inland erzeugten CO2 im Ausland kompensieren. Was hältst du davon?

AT: In der Schweiz diskutieren wir darüber, ob wir 33, 30 oder 25 Prozent unserer Reduktionspflicht ins Ausland verlagern sollen, als wäre es das normalste der Welt? Dass die Schweiz mit diesem starken Fokus auf Auslandsprojekte eindeutig einen Sonderweg geht, scheint uns nicht bewusst zu sein. Den Mitgliedstaaten der EU ist es beispielsweise nicht erlaubt, ihre Pariser Reduktionspflicht ins Ausland auszulagern. Aber es ist vor allem die Kombination von zwei verschiedenen Schweizer Sonderpositionen, die das Ganze noch brisanter macht. Einerseits verursacht kaum ein anderes Land so viele Emissionen im Ausland wie die Schweiz. Anderseits versucht kein anderes Land so vehement noch mehr Reduktionspflicht ins Ausland zu verlagern. Nur damit es hier keine Missverständnisse gibt: Wenn man in der Schweiz von Auslandsprojekten redet, dann geht es keineswegs darum, dass wir bei den 8 Tonnen etwas unternehmen, die wir im Ausland verursachen. Sondern es geht darum, dass wir auch noch die Reduktionspflicht für die 5 Inlandtonnen ins Ausland verschieben. Kurz: Natürlich hätte die Schweiz eine Verantwortung auch im Ausland in Klimaschutzmassnahmen zu investieren; uns diese Massnahmen aber im Rahmen des Pariser Abkommens anrechnen zu lassen – das ist zynisch.

FU: Und was hältst du von einer Klimaabgabe auf Flüge? 

AT: Ganz grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir ein ziemliches Chaos haben bei den politischen Klimaschutzinstrumenten im Bereich Luftfahrt. Hier noch den Überblick zu behalten und die einzelnen Massnahmen sinnvoll zu beurteilen, ist so gut wie unmöglich. Es gibt bei der Luftfahrt aktuell gleich zwei Systeme, die den Emissionen auf die eine oder andere Weise einen Preis geben wollen. Einerseits machen die Schweizer Airlines beim sogenannten Emissionshandelssystem mit. Darin müssen sie für jede emittierte Tonne CO2 ein Emissionsrecht vorweisen. Das hat nichts mit kompensieren zu tun. Bei diesen Emissionsrechten geht es wirklich nur um eine Verschmutzungsbewilligung. Dadurch, dass der Staat die zur Verfügung stehenden Menge an Emissionsrechten jedes Jahr etwas reduziert, soll das Angebot von diesen Verschmutzungsbewilligungen verknappt werden und der Preis für das Emittieren steigen. Nur hat das bis heute nicht wirklich funktioniert. Denn – und das klingt jetzt ein wenig absurd – die Airlines müssen diese Emissionsrechte zwar abgeben, aber sie müssen sie nicht unbedingt kaufen. Den überwiegenden Teil dieser Verschmutzungsrechte erhalten sie kostenlos von den Staaten zugeteilt. Nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Mit diesen Gratiszuteilungen möchte man verhindern, dass Airlines wegen einem zu hohen CO2-Kostendruck abwandern, womit dem Klima schlussendlich auch nicht geholfen wäre. Aber wenn man die Rechte verschenkt, dann entsteht halt auch kein Preissignal, das einen Anreiz in Richtung Dekarbonisierung schaffen könnte.
Zum Beispiel hat die Swiss laut dem Schweizer Emissionshandelsregister 2022 Emissionsrechte für 544’431 Tonnen Treibhausgase geschenkt gekriegt. Abgeben musste sie im selben Jahr 740’434 Verschmutzungsrechte. Sie musste also nur für rund einen Viertel der Emissionen tatsächlich etwas zahlen. Es gab aber auch Jahre in denen die Swiss sogar mehr Gratisemissionsrechte erhalten hat, als sie abgeben musste. Die überschüssigen Rechte kann man entweder für später zur Seite legen oder verkaufen. Der Verkauf der Rechte kann durchaus ein Geschäft sein. Die Fluggesellschaft Air Berlin, die ja 2017 Pleite ging, hat bis zum höchsten europäischen Gericht durchgeklagt, weil man trotz Grounding die Zuteilung der Gratisemissionsrechte bis 2020 erwirken wollte. Denn diese hätte man teuer weiterverkaufen können. Laut einem Bericht in der Frankfurter Allgemeine Zeitung wären diese Emissionsrechte rund 77 Millionen Euro wert gewesen.

FU: So weit so kompliziert. Aber jetzt hast du erst ein Instrument beschrieben. Was ist denn das zweite Klimaschutzinstrumente, das du erwähnt hast?

AT: Das zweite System ist CORSIA von der ICAO, der internationalen Zivilluftfahrtorganisation der vereinten Nationen. Die ICAO ist eine Unterorganisation der UN, gehört also zu derselben Organisation, die auch die UN Klimakonferenz organisiert und das Pariser Abkommen auf den Weg gebracht hat. Trotzdem fällt es der ICAO offensichtlich schwer, die Ziele der UN Klimakonferenz zu akzeptieren. So strebt sie mit CORSIA explizit keine Klimaneutralität an, sondern lediglich ein sogenanntes „klimaneutrales Wachstum“. Was heisst das? CORSIA nimmt das Jahr 2019 als Referenz und sagt, verglichen mit diesem Jahr wollen wir, dass die CO2-Emissionen rechnerisch nicht weiter ansteigen. Erreichen will man das mit der Modernisierung der Technologie, Anpassungen bei der Routenführung, erneuerbaren Treibstoffen und mit vielen Kompensationen. Reduktionen der Flugbewegungen sind nicht vorgesehen. Dabei werden bei CORSIA nur die Effekte des Treibhausgases CO2 erfasst. Andere Treibhausgaseffekte, wie zum Beispiel der eminente Einfluss der Kondensstreifen werden, ignoriert. Zudem ist die Teilnahme bis 2027 freiwillig.

© Christiane Ludena

Alex Tiefenbacher

Alex Tiefenbacher ist Journalistin beim Onlinemagazin das Lamm, publiziert aber auch bei anderen Medien wie der WOZ, dem Beobachter oder der Zeitung Finanz und Wirtschaft – hauptsächlich zur Schweizer Klimapolitik und Klimagesetzgebung. Sie hat mit Luca Mondgenast das Standardwerk «CO2-Ausstoss zum Nulltarif. Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon profitiert» verfasst. Hier kann es bestellt werden: https://daslamm.ch/shop/

Lesung mit Alex Tiefenbacher: CO2-Ausstoß zum Nulltarif 

Wann: 28. Mai 2024  19:30
Wo: Buchhandlung Labyrinth, Nadelberg 17, 4051 Basel

Erstmals untersuchten Alex Tiefenbacher und Luca Mondgenast, was die Teilnahme am Schweizer Emissionshandelssystem (EHS) für die einzelnen Firmen tatsächlich heisst. Sie zeigen: Von 2013 bis 2020 bezahlten die größten Umweltverschmutzer über das EHS nur einen Bruchteil ihrer Klimakosten und konnten in mancher Hinsicht vom vermeintlichen Klimaschutzinstrument profitieren. Bis anhin schützte das EHS nicht das Klima, sondern die Konzerne.
Moderation: Milo Probst
19:30 — Podiumsdiskussion mit Alex Tiefenbacher
21:00 — Apero

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