Allmählich fallen Grenzen und Corona-Einschränkungen werden gelockert. Es wird Zeit, den Kokon zu verlassen, den wir uns geschaffen haben. Über Wochen gab es nur News zur Corona-Pandemie. Jetzt erfahren wir, dass im Osten ein sibirisches Diesel-Kraftwerk ausläuft und in Hongkong die Angst vor dem Verlust der Selbstbestimmungsrechte umgeht. Dass im Westen Amazonas-Urwaldgebiete in rasendem Tempo verschwinden und weltweit Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrieren. Es ist Zeit, die Nabelschau zu beenden und die Welt da draussen neu zu entdecken.

Doch Ferien planen war auch schon einfacher. Der Bund rät vorderhand von Fernreisen ab. Das ist vernünftig, schliesslich hat sich gezeigt, dass die Gesundheitssysteme vieler Länder nicht belastbar sind, eine potenzielle Mehrbelastung für den persönlichen Luxus Reisen scheint da unpassend. Mahnenden Stimmen der Wissenschaft zufolge ist die Corona-Pandemie ja auch nicht bloss eine Laune der Natur, sondern hat mit der auf Wachstum getrimmten globalisierten Wirtschaft zu tun und eben mit überfüllten Flugzeugen und Destinationen, mit touristischen Monokulturen und leichtsinnigem Umgang mit Menschen und Lebensräumen. Zurück zum "Wie gehabt" hiesse ein weiteres Erwärmen des Klimas und eine Fortsetzung des rasanten Artenschwunds in Kauf nehmen, was die Entstehung weiterer Pandemien begünstigt.

Wenn dieses Jahr also die Mehrheit der Reisenden in der eigenen Region verbleibt, führt das nicht unbedingt zu weniger Tourismus, aber immerhin zu weniger Flugverkehr. Es wäre eine gute Entwicklung, wenn auch nach der Pandemie mehr Urlaube in der Nähe genossen würden und die Fernreise die grosse seltene Ausnahme bliebe.Vielleicht könnte dies den Weg für eine neue, nachhaltige Reisekultur ebnen. Seit 14 Jahren arbeite ich beim Verein "Fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung" in Basel. Das ist die einzige Fachstelle in der Schweiz, die den Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht hinterfragt. Wir recherchieren, wie ein Tourismus aussehen könnte, der fair ist gegenüber Einheimischen und Angestellten und die natürlichen Ressourcen sowie die Tragfähigkeit einer Region respektiert. Und wir qualifizieren Interessierte aus der Tourismuswirtschaft für solche Ansätze und coachen Reisende, die ihre grünen und sozialen Werte auch in den Ferien leben möchten. Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit internationalne Partnernetzwerken zu Tourismus und Nachhaltigkeit und zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030.

Diese Arbeit hat mein eigenes Reiseverhalten verändert. Ich unternahm in dieser Zeit drei private Fernreisen. 2009 und 2014 leisteten mein Mann und ich im Schulprojekt eines befreundeten Paares im angolanischen Cabinda einen Freiwilligeneinsatz. Und 2015 reisten wir zu einem Verwandtenbesuch nach Indien. Als ich das Erste Mal unsere Flüge kompensierte, fühlte sich das nicht gut an – die Reise kostete doch so schon viel! Aber danach war ich stolz auf mein konsequentes Verhalten. Und beim zweiten Mal machte ich mir gar keine Gedanken mehr dazu. Seither haben wir unsere Ferien in der Schweiz oder im nahen Ausland verbracht: Letztes Jahr reiste ich über Land und Wasser auf die Baleareninsel Menorca, im Jahr zuvor verbrachten wir unsere Sommerferien im Tessin. Und im Frühling reisten wir jeweils per Zug und Auto nach Kroatien, wo unsere Tochter lebt und arbeitet.

Es waren erlebnisreiche und erholsame Reisen. Und doch: Die Reisen nach Indien und nach Angola haben prägendere Sinneseindrücke, Gefühle und Erinnerungen hinterlassen als die Urlaube in der Nähe. Sie haben uns weiter weggeführt vom Alltag, von Vorstellungen, wie die Dinge zu sein haben. Wir durften neue Rollen ausprobieren – ich zum Beispiel die der Unterhändlerin oder der Musikerin – die sonst wenig Platz in unserem Leben einnehmen. Ich erhielt Wertschätzung für Verhaltensweisen, die in der Schweiz kaum eine Rolle spielen. Und ich stellte wieder einmal fest, dass es ganz andere Weisen gibt, wie Menschen kommunizieren und zusammenleben, und dass sie genauso richtig sind wie jene in der Schweiz. Nach solch intensiven Eindrücken sehne ich mich schon.

Will man dieser Erlebnisintensität auch während Ferien in der Schweiz nahekommen, gilt es, das Reisen anders anzugehen und die Fühler weiter auszustrecken. Nach Wochen im Homeoffice mit zu wenig Bewegung und zu viel Zeit online sehne ich mich nach Austausch auch mit ganz anderen Menschen als jenen im Bekanntenkreis, nach ausgiebiger Bewegung in der Natur und neuen Ideen. Warum diese Bedürfnisse nicht auch in der Nähe befriedigen?

Hierzu ein paar Ideen. Warum nicht für einmal nur Unterkünfte mit Nachhaltigkeitszertifikat wie zum Beispiel "Ibex Fairstay" buchen? Oder entfernte Verwandte besuchen, die sicher viel zu erzählen haben, und dabei deren noch unbekannten Nachwuchs kennenlernen? Man kann Google Maps in der Satellitenansicht nach interessanten Orten durchforsten, die abseits der touristischen Hotspots liegen. Oder einfach aufbrechen und abends gegen ein vereinbartes faires Entgelt in einem Privatgarten zelten.

Spannende Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen sind in einem Freiwilligeneinsatz zum Erhalt des Bergwalds oder der Vogelwelt fast garantiert. Und kultureller Austausch kann auch zu Hause stattfinden, wenn ich zum Beispiel einen Sommerkurs für Zugewanderte im Quartierverein anbiete. Dabei ist es jeder und jedem selbst überlassen, zwischen Entdeckerlust und momentanem Mutniveau das optimal angepasste Abenteuer zu wählen.  

Sehnsucht in der Aktuellen Ausgabe der Evangelischen Zeitschrift «frauen forum»

Die Evangelische Zeitschrift "frauen forum" widmet ihre Sommerausgabe dem bittersüssen Gefühl der Sehnsucht. Im Heft geht es um Fernweh und Heimweh, um die ewige Suche nach Liebe und nach Gott, um Kreuzfahrten, Werbung, blaue Blumen und die Südsee. Und natürlich gibt es wie immer Gedichte zum Thema, Tipps zu sehnsüchtigen Büchern und zu erfrischenden Kunsterlebnissen.

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