Sexuelle Ausbeutung von Kindern: Am Pakt von Rio wird noch gefeilt
Sexuelle Ausbeutung von Kindern ist überwindbar. Das war die Botschaft der über 3000 Teilnehmenden aus 170 Ländern auf dem weltweit bislang größten Kongress gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. 137 Regierungen diskutierten mit Kindern und Jugendlichen, NGOS, internationalen Organisationen und dem privaten Sektor. Doch bis dieses Ziel erreicht sein wird, steht noch ein äußerst langer und schwieriger Prozess bevor. Denn die Auswirkungen der Finanzkrise und die verbreitete Internetnutzung durch Täter auf der Suche nach Opfern treibe künftig noch mehr Kinder in die Fänge von Menschenhändlern, hält Najat M’jid fest, seit Mai UN-Sonderberichterstatterin zu Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie, in ihrer Rede zur Eröffnung des Weltkongresses. Die Organisatoren des Kongresses hatten deshalb zum sofortigen gemeinsamen Handeln aufgerufen und einen Pakt von Rio vorgeschlagen.
Durch Rio sollten die Kräfte des globalen Netzwerkes zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung gestärkt werden. Mit einem systematischen Ansatz nachhaltige Verbesserungen für den Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung und für die Gewährleistung der Rechte der Kinder und Jugendlichen, lautete das Motto des Kongresses. Entsprechend waren die übergeordneten Schwerpunktthemen für den Kongress ausgewählt worden.
Ausserdem gab es regionale und thematische Konferenzen im Vorfeld des Weltkongresses. Dadurch sollte eine umfassende Vorbereitung im Hinblick auf die Schwerpunktthemen der Teilnehmenden gewährleistet werden.
Zu den fünf Schwerpunktthemen 1. Formen der sexuellen Ausbeutung und neue Herausforderungen, 2. Rechtssysteme und Verantwortlichkeit, 3.Integrierte Sektorübergreifende Politik, 4.Initiativen der Unternehmensverantwortung und 5. Strategien der internationalen Politik wurden umfassende Ergebnisse und Forderungen aus den Vorbereitungskonferenzen dem Weltkongress vorgelegt. Im Plenum wurde an diese Vorarbeit angeknüpft, der vertiefte Austausch erfolgte in den vielen Workshops und Foren.
Die Defizite sind unübersehbar
Die Herausforderungen für die Zukunft war das Thema in den Plenen zu den einzelnen übergeordneten Themen. Beispielsweise wurde die unzureichende Strafverfolgung, obwohl in den meisten Ländern Gesetzesänderungen erfolgten, angeprangert. Die Unicef-Exekutivdirektorin Ann Veneman beklagte denn auch die immer noch weltweit vorherrschende Straflosigkeit und das Wegsehen der Polizei. Sie forderte Kurse für Polizisten, Sozialarbeiter und Lehrer. Der gravierendste Mangel sei vielerorts ein mangelhaftes Justizsystem, so Veneman. Die Marokkanerin Najat M’jid wies darauf hin, dass Daten und Statistiken in Süd und Nord äußerst unzulänglich erhoben werden und somit die Bekämpfung erschwerten.
Kinderpornografie und sexuelle Gewalt in den neuen Medien ist längst nicht nur ein Thema in der westlichen Welt. Insbesondere asiatische und lateinamerikanische Länder sehen sich damit konfrontiert. Kinder und Jugendliche fühlen sich durch diese Gewalt zunehmend bedroht. Aufklärung darüber findet insgesamt kaum statt.
Deutlich wurde auch, dass es bereits vielerorts positive Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Ausbeutung gibt, die jedoch mitunter als Modellaktionen irgendwann wieder in Vergessenheit geraten oder nur unzureichend überprüft werden. Daher fehlen Nachweise, ob oder inwieweit die gewünschten Wirkungen erzielt werden konnten. Zu wenige Kooperationen zwischen NGOS, Staaten und Wirtschaft wurden bemängelt.
In allen Schwerpunktplenen wurde die Forderung nach neuen Allianzen und Konzentration erhoben. Dies wurde als notwendig erachtet, um entscheidende Erfolge gegen diese Verbrechen zu erzielen. Über einen solchen erfolgreichen Ansatz berichtet Jim Gamble, Britischer Polizeioffizier von CEOP. Nach langen Jahren des Nicht Zuhörens und der fehlenden Kooperation mit Betroffenen, habe die CEOP einen Kinder- und Jugendbeirat eingerichtet. Die Arbeit sei mit einer Kinder- und Jugendkonferenz begonnen worden. Ihre jüngsten Erfolge bestätige sie darin, dass es neuer, mitunter auch ungewöhnlicher Herangehensweisen bedürfe, so Gamble. Artikel 12.2 der UN Kinderrechtskonvention, der auch das Recht der Kinder an einer Beteiligung bei Gesetzgebungsverfahren und der Gesetzgebungs- und Strafverfolgungsverfahren beinhalte, sei der wichtigste jedoch am wenigsten beachtete Artikel, führte Gamble weiter aus. Für eine effektive Strafverfolgung bei Sexualstraftaten an Kindern, sind die Betroffenen und Engagierten Jungen Menschen wichtig Experten für die Polizei.
Die Beteiligung des Privaten Sektors am Weltkongress war ausdrücklich von der brasilianischen Regierung gewünscht. Doch die Einladungen wurden nur teilweise angenommen. Während es eine rege Teilnahme von Seiten der Internetwirtschaft mit „Google“, „Microsoft“, Internetprovidern, Internetverbänden und anderen Unternehmen aus Brasilien gab, fanden nur wenig Reiseunternehmen den Weg nach Rio. Wäre die UNWTO nicht mit mehreren VertreterInnen auf dem Dialog der Tourismuswirtschaft präsent gewesen, wäre das zentral angesetzte Kongressforum für Führungskräfte der Tourismusbranche recht dürftig ausgefallen. Dabei gab es große Aufmerksamkeit für den Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus als ein erfolgreiches Modell der Privatwirtschaft für einen effektiven Kinderschutz.
Beim dritten Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern wurde erstmalig auch in einer der überordneten Podiumsveranstaltungen die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) thematisiert. Einhellig wurde gefordert, dass globale Instrumente wie der Global Pakt der Vereinten Nationen (UN Global Compact), OECD-Richtlinien, regionale CSR-Initiativen in ihre Richtlinien Kinderschutz vor sexueller Ausbeutung aufnehmen müssen, um in Zukunft glaubwürdig zu sein. Der Vertreter von „Petrobas“, einer der weltgrößten Ölfirmen, wies dabei darauf hin, dass sie den UN Global Compact unterzeichnet haben und sich dabei vor allem für den Kinderschutz einsetzen würden. „Petrobas“, die Regierung und verschiedene NGOs haben „Na mao Certo“ (On the right track) haben ein großangelegtes langfristiges Projekt zum Schutz der Minderjährigen entlang der Autostraßen gestartet. Für Brasilien habe sich gezeigt, dass ein Verhaltenskodex nicht nur für die Reiseindustrie notwendig sei, sondern insbesondere die ständig sich unterwegs befindenden Berufsgruppen wie Lastwagenfahrer sensibilisiert werden müssten. Denn Lastwagenfahrer haben in einer Umfrage angegeben, dass mehr als ein Viertel auf ihren Touren Sex mit Minderjährigen hatte. Entlang von 241 Landstraßen habe die brasilianische Polizei Spots ausgemacht, an denen Kinder sexuelle ausgebeutet werden, erläuterte die brasilianische Vertreterin der Childhood Stiftung, die an diesem Programm beteiligt sind. Von ähnlichen Erfahrungen berichtete ECPAT Cambodia, die einen Verhaltenskodex mit den Tuktukfahrern abschlossen, da diese Berufsgruppe in Kambodscha nicht selten in die Vermittlung von Kindern zu sexuellen Zwecken involviert ist. Die ersten 100 Fahrer haben bereits ihr Zertifikat bekommen, das sie zu einem Aushang in ihrem Fahrzeug berechtigt.
Die bisherigen Richtlinien der CSR-Instrumente müssen überarbeitet werden, so die schwedische Königin Silvia in ihrer Rede zu CSR auf dem Kongress. Sie sieht vor allem die Wirtschaft in der Pflicht: „Die Führungskräfte der Wirtschaft müssen dabei eine aktive Rolle spielen. Die Zivilgesellschaft wird es auf Dauer nicht hinnehmen, dass sie (die Unternehmen d.V.) sich indifferent gegenüber sozialen Problemen verhalten.“ Bisher wird jedoch in keinem der weltweiten CSR Initiativen explizit Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung aufgeführt.
Die gesamte Wirtschaft und nicht nur die Reisebranche, Transportunternehmen oder Internetprovider, laufe Gefahr, dass sich auf ihren PCs Bilder finden, die Kindesmisshandlungen zeigen oder die Würde von Kindern verletzen. In einem der CSR Workshops zeigten die ReferentInnen deshalb klar auf, dass die Unternehmen auch diesbezüglich klare Handlungskonzepte zum Schutz der Kinder erstellen müssen. Dieser Herausforderung wollen sich die Unterzeichner des Pakts von Rio als eine der nächsten wichtigen Aufgaben stellen. Von den Erfahrungen der Bewegung gegen Kinderarbeit soll gelernt werden, um den Schutz vor sexueller Ausbeutung und eine Kinderschutzpolicy in den CSR –Instrumenten zu verankern.
Kinder- und Jugendliche forderten echte Beteiligung
Nicht die Zukunft gehöre den Kindern, sondern die Gegenwart, so das Statement der JugendvertreterInnen in Rio. Deshalb forderten sie vom Weltkongress, bedeutsam beteiligt zu werden und aktiv an der Lösung mitwirken zu können. Eine Beteiligung als Show wie beim 2. Weltkongress in Yokohama, lehnten sie entschieden ab. Die 300 beteiligten Kinder und Jugendlichen sollten gleichberechtigt wie die Erwachsenen am Kongress teilnehmen können. Deshalb wurde zusätzlich zu den regionalen Kinder-und Jugendvorbereitungstagungen auch ein zweitägiges Kinder – und Jugendforum vor dem Kongress durchgeführt. Während des Kongresses sahen die Jugendlichen dann nur einen Teil ihrer Forderungen in die Praxis umgesetzt. Leider wurden kaum kinder- und jugendfreundliche Tagungsformen angeboten, die den Kinder- und Jugendlichen eine aktive Teilnahme erleichtert hätten.
Aufruf zum Handeln
Amihan Abueva, bisherige Präsidentin von ECPAT International, forderte die Teilnehmenden auf, gerade in Zeiten einer globalen Finanzkrise den Schutz der Kinder aus Geldgründen nicht hintanzustellen, sondern jetzt gemeinsam Maßnahmen auf den Weg zu bringen: „Wir können und müssen jetzt handeln!“
Um den Pakt von Rio, dessen Aktionsplan noch bis Ende des Jahres für weitere Ergänzungen und Rückmeldungen von Seiten der registrierten Teilnehmenden offen war, wurde nächtelang gerungen. Ein Teil der Regierungen wollte eine möglichst allgemeine Erklärung, während einige EU Staaten, darunter auch die Bundesregierung, einen Aktionsplan mit konkreten Aktivitäten und klaren Zeitvorgaben forderten. Durch die Verschiebung der Verabschiedung des Aktionsplans hoffte Jaap. E. Doek, Berichterstatter des Weltkongresses und ehemaliger Vorsitzender der UN Kinderrechtskommission, auf eine größere Akzeptanz für konkrete Maßnahmen, insbesondere im Bereich der neuen Technologien und des Internets. Im ersten Quartal 2009 soll der Aktionsplan des Rio Paktes dann vorgelegt werden.
Doch auch wenn sich nicht alle Vorschläge und Empfehlungen in den Pakt von Rio Eingang finden, hat der 3.Weltkongress einiges bewirkt. Durch den Weltkongress kam das Thema der sexuellen Ausbeutung von Kindern wieder auf die politische Tagesordnung. Regierungen haben endlich ihre Hausaufgaben von Yokohama, dem 2. Weltkongress, gemacht und nationale Aktionspläne wurden evaluiert und fortgeschrieben.
Sollten die Europäischen Staaten nicht ihre Aktionsvorschläge in den Pakt von Rio einbringen können, bleibt ihnen immer noch die Möglichkeit, ihr Programm gemeinsam auf europäischer Ebene umzusetzen.