Sich gegenseitig unterstützen: Das gehört zur Philosophie von SOGLIO
Basel, 22.07.2013, akte/
Wie bist du zum Unternehmen SOGLIO gekommen?
Ich bin vom Beruf her Grafikerin und Marketingleiterin. Schon vor vielen Jahren erhielt ich zu Weihnachten SOGLIO-Produkte von einer Freundin. Sie gefielen mir gut, aber ich fand das Design veraltet. Es war noch ganz im Look der Siebzigerjahre gehalten. Einfach passé! Das habe ich den Verantwortlichen in SOGLIO in einem Brief geschrieben.
Es ergab sich, dass ich mich vorstellen konnte. Ich besuchte die Manufaktur und kehrte mit fünf Ordnern voller Dias in meine Werbeagentur nach Schaffhausen zurück. Dort gestaltete ich das heutige Design. Es sollte das wiederspiegeln, was im Produkt steckt: die Schönheit des Orts, die Lebensart und die Produktionsweise. Das neue Design hatte Erfolg und kam gut an. Vor vier Jahren wurde ich dann angefragt, ob ich die Geschäftsführung übernehmen wolle. Das hiess aber auch, dass ich ins Bergell ziehen musste.
War das nicht schwer für dich als Städterin?
"Vom Zentrum an die Peripherie?", dachte ich zuerst. Aber wenn man Handelsbeziehungen über die Schweiz nach Italien betrachtet, sieht es anders aus: SOGLIO steht am Anfang des Paradieses, das hier beginnt und sich in alle Richtungen erstreckt. Nach 25 Jahren Werbeagentur, war es auch eine Verlockung, etwas Neues anzupacken. Entscheidend war, dass mein Mann Reinhard fand: "Wir probieren’s".
Ich fühlte mich von der ersten Minute weg hier zu Hause: Die ca. 60 Einwohner im Winter in Castasegna hiessen mich sofort willkommen. Ein umgebauter Stall wurde mir zum Wohnen angeboten und ein Garten zum Anbauen. Die Leute sahen meine Ankunft als Chance.
Weshalb? Ging es der Firma nicht gut?
Es gab grössere Herausforderungen. Nach über 30 Jahren Betrieb waren die Strukturen etwas eingefroren. Der Wiederverkauf wurde nicht aktiv gefördert, sondern mehrheitlich ein privates Kundennetz bedient. Die Pioniere hatten alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht, trotzdem war es nötig, das Unternehmen neu zu organisieren. Ich führte Bereichsleitungen ein und definierte Verantwortungen. Damit wir gesund wachsen können, schickte ich die Mitarbeitenden in Schulungen. Das war eine Kehrtwende. Jede und jeder erhielt einen neuen Arbeitsplatz und einige hatten plötzlich einen Mac vor der Nase stehen. Die ersten dreieinhalb Jahre waren sehr intensiv. Wir haben dann intensiv in die Firma reinvestiert, zum Beispiel auch in Dinge wie Rückenschulungen, um auch die Gesundheit am Arbeitsplatz zu optimieren. Es konnten sechs neue Personen eingestellt werden. Ein paar Mitarbeitende sind auch gegangen, weil für sie die Neuausrichtung nicht gestimmt hat. Es wurde auch gemeinsam beschlossen, dass die Firma als Manufaktur weiter bestehen soll.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wir bleiben klein und machen alles von Hand, in eigenen Gärten und mit Wildpflanzensammlung. Zurzeit arbeiten 17 Mitarbeitende bei SOGLIO, mein Wunsch wäre, die Belegschaft auf 30 Personen zu vergrössern, um effektiver und effizienter zu werden. Aber wir wollen keine industrielle Produktion. Denn nur durch diese gewisse Kleinheit können wir die aussergewöhnliche Qualität garantieren. Für ein 120-Liter-Fass Duschplus müssen Hanfpflanzen gepflückt und von Hand getrocknet werden, gewisse Tees werden als Sud abgekocht, zwei Frauen rühren einen halben Tag von Hand. Das Massageöl ist bei uns nicht einfach eine mit Essenzen versetzte Fettgrundlage. Wir pflücken Johanniskraut, mischen es mit einer besonderen Ölgrundlage und lassen das während acht Wochen in der Sonne im Öl ziehen, bis es tiefrot wird. Das heisst auch, dass es nur so viel Johannisöl gibt, wie wir Johanniskraut pflücken können. Die Lippenpomade können wir nicht in Lippenstiftform pressen, denn dafür passt die Konsistenz nicht. Also füllen wir die Pomade von Hand in die Töpfchen ab. Nur durch diese langsame, schonende Verarbeitung kann eine solche, von unserem Labor laufend überprüfte Qualität erreicht werden. Wir veredeln Alpenrohstoffe und schaffen hochwertige Produkte – Spezialiäten für Menschen mit empfindlicher Haut. Für diese Güte, die wir herstellen, bin ich ins Bergell gekommen.
Damit wird man nicht reich. Reich wird man nur bei industrieller Produktion. Aber immerhin haben wir 17 anständig bezahlte Arbeitsplätze, die mit Menschen aus dem Tal besetzt sind. Wir sind hier ein wichtiger Arbeitgeber. Nebst unserem Betrieb gibt es im Dorf noch vielleicht zehn Arbeitsplätze.
Wie eng ist das Unternehmen SOGLIO, gegründet von den Zuzügern Walter Hunkeler, einem Basler, und Martin Ermatinger, einem Zürcher Oberländer, und geführt von einer Schaffhauserin, mit dem Bergell verbunden?
Wir arbeiten mit Ressourcen und Fachleuten aus dem ganzen Tal. Die Gärten sind in Soglio. Wir sind mitten im Dorf von Castasegna – im Croce Bianca. Der Vermieter wohnt auch im Haus, er ist 85 und sie 65. Wir sind eine Familie und helfen uns gegenseitig. Sie packen an, wenn es das Magazin einzupacken gilt. Es liegt mir am Herzen, hier im Dorf zu bleiben. Wir hatten auch schon den Vorschlag diskutiert, in eine Minergiehaus irgendwo auf der grünen Wiese zu ziehen. Dort hätten wir vielleicht mehr Raum. Es ist schön hier mit dem Charme von gestern, mit tollen Granitböden – die leider zum Arbeiten weniger toll sind. Aber wir nehmen das in Kauf. Denn indem wir bleiben lebt das Dorf. Wir haben eine Post und einen Lebensmittelladen sowie ein kleines Hotel Garni. Wir dürfen den Saal im Garni benutzen, dafür übernachten dort unsere Gäste. Es ist toll dort, es gibt auch ein kleines Café.
Und dann habt ihr ja ein Netz von Zulieferern.
Für SOGLIO kultiviert Hanspeter Mohler Kräuter oder sammelt sie im Wildwuchs. Diesen Sommer wuchsen in seinem Garten zu wenig. Aber es gibt verschiedene Kräuterbauern in der Region, die noch so gerne verkaufen. Spezielle Freude bereitet auch, das aus dem Valsertal stammende Ziegenbutteröl weiterzuverarbeiten. Die Ziegenbauern leben nicht nur vom Käse. Sie sind sehr froh, dass sie den Rohstoff auch anders nutzen können. Früher haben wir die Butter bei uns entwässert, damit das wunderbare goldene Öl zurückbleibt, das besonders tief in die menschliche Haut einzieht. Inzwischen liefern sie uns das Ziegenbutteröl fixfertig. So behalten sie die Wertschöpfung bei sich. Wir zahlen faire Preise und unterhalten ein festes Netz. Darum vertreibt man unsere Produkte auch in Claro-Läden.
Warum führt ihr nicht die Bioknospe oder das Max Havelaar Fairtradesiegel?
Vom Gedanken her haben wir das Heu auf der gleichen Bühne mit den Bio- und Fair Trade-Bewegten. Wir sind Fair Trade. Wir machen unsere Produkte ohne Tierversuche und Marketingeffekte, und sie sind in Bio-Qualität. Aber wir brauchen keine Siegel. Wir sind einfach immer etwas anders.
Welchen Stellenwert hat für euch die Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem arbeitskreis tourismus & entwicklung und seinem fairunterwegs-Portal?
Es gehört zu unserer Firmenphilosopie, dass, wer das Heu auf der gleichen Bühne hat, sich gegenseitig unterstützt. Ausserdem sind wir hier der Tourismusmotor. Wir haben Busse mit Fusspflegeschulen, die uns besuchen kommen. Oder der Bund der Wanderwege ist hier, oder der gemeinnützige Frauenverein. Wir pflegen auch eine intensive Kooperation mit dem Tourismusbüro im Bergell. Wir legen unseren Versänden zum Beispiel den Prospekt für das Kastanienfestival bei. In Castasegna befindet sich der grösste zusammenhängende Kastanienwald. Wir werben, dass Touristen sich das anschauen. In unserem Kundenmagazin schreiben wir über Werte, die auf der gleichen Linie liegen wie die, welche auf eurem Reiseportal vertreten werden.
Wie gesund ist heute das Unternehmen SOGLIO?
Sehr gesund. Und wir wachsen jedes Jahr ein bis zwei Prozent. Ich bin froh zu wissen, dass die Verwaltungsräte hinter mir stehen und dass die Bewohner im Dorf und im Tal sowie unsere Kundschaft unseren Betrieb toll finden. Wie es in zehn Jahren aussieht, weiss sowieso niemand.