Der Verein Klima-Grosseltern

Der Verein Klima-Grosseltern Schweiz – der in der Romandie schon seit 10 Jahren besteht, in der Deutschschweiz seit 2019 – engagiert sich mit seinen Regionalgruppen in verschiedenen Bereichen. Den Mitgliedern ist wichtig, dass ihr Handeln auf politischer Ebene zusammengeht mit einem klima- und umweltfreundlichen persönlichen Verhalten. Wenn man die Klimakrise bewältigen wolle, brauche es beides, so die Klimagrosseltern.

Der Verein beteiligt sich an Klimademos, engagiert sich bei Wahlen und Abstimmungen, verfolgt konkrete politische Projekte wie etwa die Einführung und das Monitoring von Klimaplänen auf kantonaler oder kommunaler Ebene. Gleichzeitig hinterfragt er mit Projekten und Aktionen zu Themen wie Ernährung, Kleider oder Reisen das Konsumverhalten und zeigt Alternativen zum übermässigen Verbrauch von Ressourcen auf.

Matteo Baldi: Sie setzen sich mit dem Verein Klima-Grosseltern für den Erhalt zukunftsfähiger Lebensbedingungen auf der Erde ein und stellen dabei den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Generationen in den Mittelpunkt. Agieren Sie aus einem schlechten Gewissen gegenüber der Umwelt?

Elisa Fuchs: Was uns Klima-Grosseltern motiviert, ist weniger ein schlechtes Gewissen als das Gefühl, wir konnten von guten Lebensbedingungen profitieren und haben eine Verantwortung dafür, was wir den kommenden Generationen hinterlassen. Wir setzen uns für eine konsequente Klimapolitik ein und als Pensionierte haben wir Zeit, unseren Alltag möglichst ressourcenschonend einzurichten. Das Leben hat uns auch gelehrt, dass übermässiger Konsum – immer mehr, immer schneller, alles ohne grosse Anstrengung verfügbar – nicht glücklich macht. Wir haben erfahren, dass Lebensqualität mehr mit Beziehung, Eingebundensein in Kreisläufe, Sinnhaftigkeit der Arbeit zu tun hat, als mit Reichtum und Konsum.

So predigen wir nicht Verzicht, sondern ermutigen zu einem Lebensstil, der den Dingen, den Menschen, den Schönheiten der Natur ihren Wert (zurück)gibt, sich an ihnen freut und sie respektvoll behandelt. Was bedeutet mehr Lebensqualität: Fast Food oder ein gutes aus lokalen biologischen Zutaten bereitetes Essen, ein selbst entworfenes und von einer Schneiderin genähtes langlebiges Kleid oder alle paar Wochen ein neues Fast Fashion-Teil? Das Gleiche gilt für Reisen. Eine etwas längere, gut vorbereitete Reise, bei der man nicht nur die touristischen Hot Spots, sondern auch das Hinterland und touristisch weniger überlaufene Orte kennenlernt, ist nicht nur nachhaltiger, sondern auch einiges spannender als dreimal im Jahr eine kurze Billigflugreise.

MB:Jüngere Menschen äussern aber häufig das Argument, dass Ihre Generation mitunter die Hauptverantwortung am Klimawandel trägt.

EF: Klar haben wir ältere Menschen im Laufe unseres Lebens einiges unhinterfragt mitgemacht, von dem man eigentlich schon seit dem Bericht «Die Grenzen des Wachstums» des Club of Rome (1972) wissen konnte, dass es schädlich und nicht nachhaltig ist. Manche Menschen aus unserer Generation haben aber auch schon früh auf das Problem reagiert, zum Beispiel als Pioniere des biologischen Landbaus, mit Bioläden, mit dem Einsatz für gerechtere Nord-Süd-Beziehungen.

MB: In unserem Magazin finden sich Reiseberichte Ihrer Mitglieder. Was sind die Hürden, die sich Menschen im Seniorenalter stellen, wenn sie menschen- und umweltgerecht reisen wollen? 

EF: Lieber als über Hürden, würde ich über Möglichkeiten und Chancen sprechen. Natürlich ist es für individuell organisierte, weite Reisen wichtig, gesundheitlich einigermassen fit zu sein, um zum Beispiel ins obere Bett des Schlafwagenabteils klettern zu können. Sehr hilfreich ist es, mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein – verschwitzte Kleider kann man unterwegs in einem Waschsalon waschen. Manchmal ist da auch eine Angestellte, die einem die Bluse oder das Sommerkleid für wenige Euros schöner bügelt, als man das zuhause hinkriegt. Und man kann sich auch öfter mal ein Taxi gönnen, das ist vor allem in Südeuropa recht günstig.

Da wir meist genügend Zeit zur Verfügung haben und nicht an Schulferien gebunden sind, können wir es uns leisten, länger und gemütlicher unterwegs zu sein, eine lange Zugreise zum Beispiel für 2 Tage in einer Stadt unterbrechen, die wir schon lange mal besuchen wollten. Ich würde sogar behaupten: Reisen mit öV hält geistig fit. Die Auseinandersetzung mit Fahrplänen, Ticketautomaten und Apps der lokalen Verkehrsbetriebe, macht Spass und verlangt etwas flexibles Denken und Kombinatorik. Von Vorteil ist es natürlich, sich einigermassen mit elektronischen Medien auszukennen. Aber man kann sich auch durchfragen, die meisten Menschen reagieren sehr positiv auf entsprechende Anfragen. In Zug und Bus kommt man leicht mit Mitreisenden in Kontakt und kann so z.B. die Sprachkenntnisse aus dem Italienischkurs, den man nach der Pensionierung wieder aufgenommen hat, anwenden. Wenn man die Landessprache nicht kennt, findet sich fast überall jemand, der einem gerne auf englisch Bescheid gibt.

MB: Vielen jüngeren Menschen ist beispielsweise ein Nachtzug nach Süditalien zu umständlich und risikoreich.

EF: Ein Problem ist sicher, dass es manchmal teurer ist, mit dem Zug zu reisen als einen Billigflug zu buchen. Und dass junge Menschen, die in den Arbeitsprozess eingebunden sind, weniger Zeit zur Verfügung haben. Wir Senior:innen können unsere Zeit als Ressource einsetzen. Bei einer frühzeitigen Vorbereitung der Reise kann man oft von Spartickets profitieren. Oder wir entscheiden uns für ein Interrail-Ticket, das uns zu günstigen Bedingungen grosse Bewegungsfreiheit gibt. Interrail gibt’s auch für Senior:innen und man kann es sich, wenn man’s etwas komfortabler möchte, auch in der 1. Klasse leisten.

Das Risiko sehe ich nicht so recht, vielleicht eine Verspätung und ein verpasster Anschluss. Aber ja, strapaziöser ist es manchmal schon, wenn man zum Beispiel nach einer langen Fahrt mit einer Fähre in einem fremden Hafen ankommt und sich erst durchfragen muss, bis man schliesslich am Hafenausgang auf ein Taxi stösst. Oder wenn der Zug in Milano wieder mal verspätet ankommt und der Anschlusszug schon weg ist.

Aber es sind auch Erlebnisse, die bleiben: beim Gang durch den Hafen am Morgen früh zu schauen, wie andere Schiffe beladen werden oder auslaufen oder in der unverhofften Pause im Bahnhof Mailand ein wunderbares Gelato zu geniessen und plötzlich vom Gefühl überwältigt zu werden: Jetzt bin ich im Süden.

Wir Klima-Grosseltern möchten mit unseren Berichten aufzeigen, wieviel spannender eine Reise sein kann, bei der sich der Besuch einer fremden Stadt nicht auf das Abschreiten der beiden Hauptgassen der Altstadt beschränkt.
Elisa Fuchs, Klima-Grosseltern

MB: Wie versuchen Sie, ihre Peers zu überzeugen?

EF: Sicher nicht mit erhobenem Finger. Vielleicht einfach mit dem Rat: Nehmen Sie sich Zeit, Zeit um zu reisen, anzukommen, in fremde Welten einzutauchen. Nehmen Sie sich Zeit zur Vorbereitung, lesen Sie einen Roman aus dem Land, wo Sie hinfahren. Lesen Sie vielleicht auch mal Goethes Reise nach Italien. So beschwerlich muss es heute nicht mehr sein. Aber möglicherweise wird es fast so spannend, wenn Sie sich ganz persönlich darauf einlassen, andere Welten kennen zu lernen.

Falls Sie nicht alles selber organisieren möchten, können Sie Ihre Reise (oder Teile davon) auch über eine Agentur buchen, oder – zum Beispiel für eine Wander- oder Veloreise im Ausland – die Angebote von spezialisierten Reiseanbietern wahrnehmen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen.

MB: An den Reiseberichten Ihrer Vereinsmitglieder erkennt man deutlich, dass bei der Reiseplanung die Klimafolgen mitgedacht werden. Was aber auch auffällt: Es lockt die Ferne. Verliert die Nahreise in der Schweiz an Reiz bei Ihren Peers? 

EF: Da ist die Auswahl der Reiseberichte wohl nicht ganz repräsentativ. Einen Bericht über eine Reise ins Unterengadin oder ins Tessin zu schreiben, schien uns –angesichts der sehr guten Erschliessung durch den öV – für die Leser:innen weniger aufschlussreich.

Viele Klima-Grosseltern machen häufiger in der Schweiz Ferien als im Ausland. Sie besuchen Gegenden, die sie noch nicht kennen, erwandern Flussläufe von der Quelle bis zur Landesgrenze oder verbringen einen Sommer in einem abgelegenen Bergtal. Aber klar lockt auch die Ferne, die Weite, die südliche Sonne oder das Polarlicht. Man sollte sich einfach des Privilegs bewusst sein, eine solche Reise machen zu können und sie mit der notwendigen Sorgfalt gegenüber der Umwelt und den besuchten Ländern und Menschen vorbereiten, geniessen und nachwirken lassen. Dies im Sinne von: mehr Qualität statt Quantität.

Elisa Fuchs

Elisa Fuchs

Elisa Fuchs ist Romanistin mit Schwerpunkt afrikanische Literatur und war in verschiedenen Bereichen der Internationalen Zusammenarbeit und der Kulturförderung tätig. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der Klima-Grosseltern Deutschschweiz.