Im Sommer jagen sich in Südosteuropa die Hitzerekorde. Wer kann, geht ans Meer. Kinder besuchen Feriencamps, die von Hilfswerken oder den Gemeinden organisiert werden, oder legen sich zur Abkühlung in die vielen Flüsse. Eine wichtige Frage ist, ob man zu Hause, im Büro oder im Auto eine Klimaanlage hat. Oder zumindest in einem alten Haus wohnt, das besser isoliert ist.
Die zwanzig Frauen im Schneiderei-Ausbildungskurs von Medica Zenica* im Dorf Begov Han jedoch lassen keinen Tag aus. Viele von ihnen haben nur die Primarschule besucht, einige sind Analphabetinnen, keine von ihnen hatte ein eigenes Einkommen oder eine Berufsausbildung. Sie kommen von abgelegenen Bauernhöfen und kleinen Dörfern in der Umgebung, einige laufen eine Stunde von zu Hause bis nach Begov Han. Begeistert zeigen sie mir, was sie nach dieser kurzen Zeit schon können und führen mir Sommerkleider, Blusen, Hosen und Taschen vor. Einige erzählen stolz davon, dass sie schon kleinere Aufträge von NachbarInnen und FreundInnen bekommen und ausgeführt haben. Das erste selber verdiente Geld und viele Ideen und Mut für die Zukunft entstehen in diesen Kursen.
Am Strassenrand und vor den Häusern wird reifes Gemüse und Früchte aus den vielen Gärten und kleinen Bauernhöfen verkauft. Kinder sammeln stundenlang Brombeeren und Erdbeeren in den Wäldern, für die sie dann ein paar Euro verlangen. Ein grosser Genuss, denn die sonnengereiften frischen Beeren, Früchte und Gemüse schmecken unglaublich gut. Für viele Menschen in Bosnien-Herzegowina sind diese kleinen Einnahmen ein wichtiger finanzieller Zustupf. Dennoch, es steckt sehr viel Arbeit im Gärtnern und Sammeln, und sie können nur wenig Geld dafür verlangen. Viele Leute bieten ihre eigenen und oft die gleichen, weil saisonalen Produkte entlang der Strassen an. In den grösseren Städten gehen auch in Bosnien-Herzegowina immer mehr Leute in die Supermärkte zum Einkaufen, so dass Einkünfte aus dem Strassenverkauf immer weniger werden.
Der Sommer ist aber auch die Zeit, in der im Ausland lebende Verwandte für die Ferien zurückkehren und die Familien sich wieder treffen. Plötzlich füllen sich die Dörfer und Städte, Konzerte und Feste finden statt, abends spaziert man die autobefreiten Strassen rauf und wieder runter. In manchen Gemeinden verdoppelt sich die Einwohnerzahl im Sommer. Im Winter stehen dafür Häuser und Wohnungen leer, gewisse Quartiere gleichen eher einer Geisterstadt, erzählt Almira von unserer Partnerorganisation Krajiska Suza in Sanski Most. Es bedeutet auch, dass generell die Preise für Wohnungen und Häuser, aber auch für Lebensmittel, Kleider etc. steigen, denn die im Ausland lebenden BosnierInnen können sich mehr leisten. Ab und zu entscheiden sich MigrantInnen, ganz zurückzukehren und an ihren alten Heimatorten ein neues Leben aufzubauen. Doch nur wenigen gelingt es, hier wieder Fuss zu fassen, denn bei einer Arbeitslosigkeit um die 50% braucht es nicht nur gute Ideen, sondern viel Durchhaltevermögen und manchmal auch "Vitamin B". Leider, erzählt mir eine Passantin mit der ich ins Gespräch kam, kehren häufiger Kriminelle zurück. Es sei zwar verständlich, dass Europa kriminelle AusländerInnen zurückschaffe, aber für ihre Gesellschaft sei das eigentlich eine Katastrophe. Denn hier gäbe es noch weniger Möglichkeiten, diese Leute zu resozialisieren und zu integrieren.
Am letzten Tag meiner Projektreise gehe ich auf den Markt, um bosnischen Kaffee und andere Spezialitäten zu kaufen. Eine Frau verkauft verschiedene Sorten Honig von ihren eigenen Bienen. Auf meine Frage, welches denn der Beste sei, meint sie: "Der Normale ist der Beste, weil er aus vielen verschiedenen Blumen stammt." Sie lacht und sagt: "So wie früher, als wir auch alle miteinander vermischt waren." Eine Nostalgie und eine Sehnsucht nach einer gemeinsamen Zukunft, die ich in ganz vielen Gesprächen in Bosnien-Herzegowina spüre.


*Medica Zenica wurde 1993, noch während des Krieges in Ex-Jugoslawien, von Monika Hauser, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, gegründet. Viele vergewaltigte Frauen befanden sich damals in den Flüchtlingslagern der Region. Auch 14 Jahre nach dem Krieg bietet Medica Zenica medizinische und psychosoziale Hilfe für traumatisierte und von Gewalt betroffene Frauen in einem Frauenhaus an, denn "Gewalt und Traumata gehören nicht der Vergangenheit an", wie Monika Hauser erläutert. "Der Krieg geht weiter – in den eigenen vier Wänden". Wie in den Gesellschaften anderer ehemaliger Kriegsgebiete nehmen auch in Bosnien verschiedene Formen von Gewalt zu. Die Anzahl der von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder steigt jedes Jahr und damit die Notwendigkeit für pädagogische, psychosoziale und wirtschaftliche Unterstützung. Medica Zenica kombiniert daher in einem ländlichen Projekt psychosoziale Unterstützung mit Ausbildungskursen, um der Gewalt zu begegnen.
**Krajiska Suza:  In Sanski Most war in den Kriegsjahren fast die gesamte Bevölkerung in irgendeiner Form mit extremer Gewalt konfrontiert. In diesem sozial unstabilen Umfeld begann Krajiska Suza damit, Kriegswitwen für die Betreuung von alleinstehenden "fremden" alten Menschen in der Nachbarschaft zu bezahlen. Die alten Menschen leiden am stärksten unter dem Fehlen eines sozialen Netzes. Krajiska Suza ermutigte junge, alleinerziehende Frauen, die im Krieg ihre Angehörigen verloren, betagte Menschen zu betreuen. Krajiska Suza betreibt auch einen ambulanten Stützpunkt für Betagte, Projekte für Kinder und Selbsthilfegruppen für die jungen Frauen.
Im September 2007 erhielt das von der FrauenKirche Zentralschweiz und dem cfd unterstützte Projekt den "Nord-Süd-Preis wider das Vergessen" des RomeroHauses.


Die feministische Friedensorganisation cfd ist Trägerin des arbeitskreises tourismus & entwicklung.