SOS aus Indien
In einem dringenden Aufruf fordert das «Bekal Protection Committee» gemeinsam mit anderen indischen Nicht-Regierungsorganisation die nationale und internationale Gemeinschaft auf, die bedrohten Fischer- und Bauernfamilien von Bekal im Küstengebiet des Bundesstaates Kerala zu unterstützen. 25’000 Fischer sowie zahlreiche Träger, Eishersteller und MarkthändlerInnen sind in ihrer Existenz gefährdet durch eines der grössten und ehrgeizigsten Tourismusprojekte Asiens. Für 70 Millionen US-Dollar sollen bis zum Jahr 2011 über Tausend Hektaren Land mit Tourismusanlagen, sieben Hotels mit total rund 3’000 Zimmern, Golfplätzen, Kongresszentrum, Casino, etc. überbaut werden. Über 450 Hektaren fruchtbaren Ackerlandes sollen dem Tourismusprojekt geopfert werden, was Tausende von LandarbeiterInnen um ihren Erwerb auf den Tabak- und Reispflanzungen bringen würde. Gemäss den Projektvorgaben, die in der Küstenregion Naturreservate vorsieht, müssten allein entlang der Küste über 2’000 Familien umgesiedelt werden, ohne dass die Projektverantwortlichen bislang Wiederansiedlungs- oder Entschädigungspläne vorgelegt haben. Das Mammutprojekt steht unter der Führung der staatlichen «Bekal Development Authority», die diese Tourismuserschliessung offenbar als Pilotprojekt für die unter der Fuchtel des Internationalen Währungsfonds IWF instaurierte Tourismuspolitik der «Special Tourism Areas» (STA) durchziehen will. Freien Produktionszonen ähnlich sollen in verschiedensten Regionen Indiens Sondergebiete für den «Devisenbringer» Tourismus ausgezont werden, wo lokale Interessen und Rechtsprechung zugunsten der Entwicklungsbedürfnisse der Tourismusindustrie zurückzutreten haben. In der Praxis bestehen diesbezüglich allerdings noch beträchtliche Rechtsunsicherheiten. Nun haben die Projektverantwortlichen mit der internationalen Promotion für die Bekalerschliessung und dem Landaufkauf – unter dem dubiosen Vorwand der öffentlichen Nutzung – begonnen. Das rücksichtslose Übergehen traditioneller bastsdemokratischer Entscheidungsstrukturen in dieser Region hat den Zorn der Bevölkerung erregt: Noch immer wird nämlich der Masterplan dieser Tourismuserschliessung unter Verschluss gehalten, und es liegt keine Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt vor. Unzählige Male haben die betroffenen Gemeinden um eine Anhörung bei den Behörden ersucht; seit Dezember 1995 ist eine gerichtliche Verfügung im «Kerala High Court»anhängig, die den sofortigen Stopp der Erschliessung, einen Masterplan sowie die rechtlich erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt. Vergebens! Zur Protestbewegung haben sich seit längerem mehr als ein Dutzend lokaler Organisationen aus Bürgerrechts-, Umwelt- und Frauenkreisen im «Bekal Protection Committee» zusammengeschlossen. Sie machen geltend, dass die bestehenden Einkünfte aus Fischerei und Landwirtschaft bei weitem das übertreffen, was aus der Tourismuserschliessung für die Bevölkerung erwartet werden kann. Gerade auch der Anteil der Frauen in Fischerei und Zulieferbetrieben beläuft sich, im Unterschied zu den meisten Regionen Indiens, in diesem Gebiet Keralas auf stolze 30 Prozent. Auch der Anteil der landwirtschaftlich genutzten Flächen steigt stetig. Wenn schon nur die Regierung (und noch nicht die privaten Eigentümer) das Land zurückbehält, das für die erste Phase des Tourismusprojektes erforderlich ist, werden zehntausend LandarbeiterInnen der Tabak- und Reisplantagen arbeitslos. Wie viele von ihnen künftig im Tourismus Arbeit finden, steht noch in den Sternen. Sicher ist aber, dass die geplante Erschliessung die vorgeschriebenen und für das ökologische Gleichgewicht des Hinterlandes so wichtigen Schutzzonen entlang der Küsten massiv verletzt. Zudem wird die im Jahre 2011 fertiggestellte Tourismusanlage pro Tag insgesamt 47 Millionen Liter des knappen Wassers konsumieren, wovon 80 Prozent, 38 Millionen Liter, als Abwasser das Grundwasser sowie die – in den touristischen Ausschreibungen hierzulande als besondere Attraktion gepriesenen «Backwaters» – verschmutzen wird. Daneben werden sich täglich 58 Tonnen sonstiger Müll aufhäufen, Entsorgungspläne sind bislang nicht in Sicht. Gar nicht zu reden vom Stromkonsum allein für die 6’400 Strassenlampen, in einer Region, wo besonders zur Monsunzeit Stromausfälle an der Tagesordnung sind. Überhaupt, fragt sich die Protestbewegung, was sollen die 3’000 Zimmer, so kostspielig erstellt in Drei- bis Fünfstern-Hotels, wo doch mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Keralas unter der Armutsgrenze lebt? Die Bauern- und Fischerfamilien Bekals wollen Antwort auf ihre Fragen, und gerade weil Bekal als Vorzeigeprojekt der touristischen Freizone hinhalten soll, ist diese Erschliessung als Testfall für Tourismuspolitik weit über die Grenzen Indiens hinaus ernst zu nehmen.
Travel Inside 10. 12.96; EQUATIONS‑Feature 4.11.96, signiert von Bekal Protection Committee, EQUATIONS‑Bangalore, Malabar Coastal Institute for Training and Research; Kozhikode, The Dialogue – Kozhikode, Weltwoche 16.5.96; Bekal Why? Dossier EQUATIONS 1996, Bekal Beckons, Video produziert von EQUATIONS 1996, AkT&E Kuna 1/96 und 2/94; eigene Recherchen/cp