Tourismusförderung und Landkonflikte im Nordosten Brasiliens
Der Bundesstaat Ceará im Nordosten Brasiliens ist zum Schauplatz einer intensiven Tourismusförderung geworden. Im vergangenen Jahrzehnt hat die brasilianische Regierung – mit Hilfe des von der Weltbank finanzierten Projektes "PRODETUR" – allein in Ceará weit über 800 Millionen US Dollar in den Ausbau der touristischen Infrastruktur investiert: Strassen und Flughäfen wurden gebaut, Elektrizitätsnetze und Abwasserentsorgungsanlagen errichtet. Viele BewohnerInnen des Küstenstreifens verfolgen die Umsetzung von "PRODETUR" allerdings mit Sorge. Denn realisiert werden in erster Linie touristische Grossprojekte, von denen die breite Bevölkerung kaum profitiert und in deren Planung sie nicht einbezogen ist. Betroffen von der Entwicklung sind dagegen die meisten. Denn die Grossinvestitionen und zum Teil ungeklärten Landrechtsfragen haben das Gebiet zu einem attraktiven Tummelfeld für Bodenspekulanten gemacht. Der Grossteil der ehemals am Strand lebenden Fischerfamilien ist vielerorts längst hinter die Dünen gezogen und hat die Strandbaracken für ein Trinkgeld den Spekulanten überlassen. Der ehemalige Swissair-Manager René Schärer – heute Mitglied der Dorfgemeinschaft von Prainha do Canto Verde – befürchtet, dass nur etwa 10 von 200 Fischerdörfern diesem Druck werden standhalten können. Die DorfbewohnerInnen von Prainha do Canto Verde kämpfen seit 20 Jahren gegen ihre Vertreibung, auch heute noch. Bedroht wird ihre Existenzgrundlage durch einen Immobilienspekulanten, der auf Gemeindeland und den geschützten Dünen Ferienanlagen realisieren will und in der Vergangenheit auch vor Waffengewalt nicht Halt gemacht hat.

Recht auf selbstbestimmte Entwicklung
Der Kampf gegen die Landspekulanten hat das Fischerdorf Prainha do Canto Verde weit über die Bundesstaatsgrenzen hinweg berühmt gemacht und seine BewohnerInnen darin bestärkt, eine selbstbestimmte und demokratische Dorfentwicklung an die Hand zu nehmen. Auch heute noch wird das Haupteinkommen des Dorfes mit der Fischerei erzielt. Angesichts des Einbruchs der Langustenbestände sahen sich die DorfbewohnerInnen Mitte der 90er Jahre aber nach einem zusätzlichen Standbein um, das die bestehende Lokalwirtschaft ergänzen und die natürliche Umwelt und die kulturelle Eigenart des Dorfes bewahren könnte. Entstanden ist ein gemeinschaftsorientiertes Tourismusprojekt, das im Frühjahr 2000 mit dem internationalen "TODO!-Preis für sozialverantwortlichen Tourismus" ausgezeichnet worden ist. Ungewöhnlich an der Tourismusentwicklung in Prainha do Canto Verde ist, dass sie 1998 mit einer regelrechten Bildungsoffensive begann. Das Aus- und Weiterbildungsprogramm für Schulkinder und Mitglieder der Tourismuskooperative soll sicherstellen, dass möglichst viele DorfbewohnerInnen vom Tourismus profitieren und die Jungen Karrieremöglichkeiten erhalten. Die Weiterbildung umfasst Themenbereiche wie Tourismus, Naturschutz und Betriebsführung und leistet Bewusstseinsförderung über Sexualität und Drogengefahr. Die Dorfgemeinschaft – erklärt René Schärer – lege Wert auf ein langsames Wachstum, das Raum für Lernprozesse lässt. Ein innovatives Finanzierungsmodell soll zudem dafür sorgen, dass die Einnahmen der touristischen Privatbetriebe im Dorf bleiben und der Profit in die soziale Entwicklung investiert wird. Von allen touristisch erzielten Umsätzen werden bis zu 20 Prozent an die Tourismuskooperative abgeführt, woraus wiederum ein Sozialfonds und Erziehungsfonds gespeist und Gemeinschaftsaufgaben bezahlt werden. Damit wird sicher gestellt, dass auch nicht im Tourismus tätige Familien von diesem Wirtschaftszweig profitieren, denn auch sie bekommen in ihrem Alltag die Präsenz der auswärtigen Gäste zu spüren. Ausserdem hat die Tourismuskooperative einen Investmentfonds eingerichtet, um Einheimische beim Aufbau eines Kleinunternehmens zu unterstützen.

Heute umfasst das Tourismusangebot von Prainha do Canto Verde eine Handvoll kleiner Gästehäuser und Restaurants, die bis zu 30 Seminar- und EinzeltouristInnen beherbergen können. Stickerei und Handwerk bieten ein Zusatzeinkommen für weitere Einheimische. Um auch in Zukunft in die Bildungsarbeit und touristische Infrastruktur investieren zu können, hat die Tourismuskooperative 1999 Zeichnungsscheine herausgegeben. Anstelle von Gelddividenden erhalten die TeilhaberInnen Coupons im Gegenwert von 10 Prozent des Zertifikatwertes, die sie vor Ort für Unterkunft und Mahlzeiten einlösen können. Gemeinsam mit der brasilianischen Nicht-Regierungsorganisation "Terramar", der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und einigen Gemeinderegierungen sind die DorfbewohnerInnen ausserdem daran, ein Netzwerk von sozialverantwortlichen Tourismusprojekten in Brasilien aufzubauen. Dieses Vorhaben wird durch den Schweizer Verein "Amigos de Prainha do Canto Verde" unterstützt, der am 25. Oktober 2000 in Zürich ins Leben gerufen worden ist.

Marianne Frei

Weitere Informationen
– über die verschiedenen Projekte der Dorfgemeinschaft von Prainha do Canto Verde unter: www.fortalnet.com.br/~fishnet
– über den TODO!-Wettbewerb unter: www.studienkreis.org