Steffaans Paolo: San aus Südafrika
Steffaans, wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?
Ich stehe am Morgen auf und giesse die Bäumchen und das Gemüse in meinem selbst angelegten Garten. Das habe ich als Lehrling auf !Khwa ttu, einem Projekt zur Unterstützung der San, gelernt. Hier verbringe ich einen grossen Teil des Jahres, um doch noch einen Schulabschluss zu erlangen. Nach dem Wässern helfe ich meiner Mutter.
Wenn es nichts zu tun gibt, treffe ich mich mit meinen Freunden, um mit ihnen den Tag zu verbringen. Abends sitze ich oft mit meiner Mutter und meiner Grossmutter draussen ums Feuer und höre ihren Geschichten zu. Oft handeln sie von Jugendlichen in unserer Community, die Alkohol trinken, Marihuana rauchen und andere Menschen auf der Suche nach Geld verprügeln. Ihnen ist es sehr wichtig, dass ich nicht auch so werde.
Wie wird dein Leben von deiner Kultur geprägt?
Wie die meisten anderen Jugendlichen in unserer Community höre ich täglich unseren eigenen Radiosender XK FM. Hier wird neben moderner Musik auch die von Künstlern gespielt, die in unseren eigenen Sprachen (!Xung und Khwedam) singen und rappen. Besonders gefallen mir die Geschichten, die man dort jeden Morgen hören kann, über das Leben unserer Vorfahren und die vielen Tiere, mit denen wir im Busch zu tun haben. Diese Geschichten versuche ich inzwischen auch in einem Theater-Projekt selbst nachzuspielen.
Wie gross ist deine Familie und wie lebt ihr?
Ich lebe mit meiner Grossmutter, meiner Mutter und meinen vier Schwestern in Platfontein in der Nähe von Kimberley im Northern Cape von Südafrika. Von meinem Vater weiss ich nichts, er hat meine Mutter verlassen, als ich fünf Jahre alt war. Eigentlich hatte er nur gesagt, er würde auf eine Farm gehen, um dort für uns Geld zu verdienen, aber leider kam er nie mehr zurück. Wir sind erst 2003 nach Platfontein gekommen, als wir von der Regierung ein Haus in unserer neuen San-Community zugewiesen bekommen haben.
Aufgewachsen bin ich in Schmidtsdrift, in Zelten eines Militärcamps für San aus Namibia und Angola. Meine Mutter kommt ursprünglich aus Angola. Sie kümmert sich um die Kinder und kann deswegen nicht viel arbeiten. Neben der Unterstützung, die meine Grossmutter von der Regierung erhält, versuchen sie durch den Verkauf von Schmuck aus Strausseneierschalen Geld zu verdienen. Meine Mutter tanzt auch in einer Tanzgruppe für traditionelle San-Tänze und verdient durch gelegentliche Auftritte noch etwas zusätzlich.
Was machst du in deiner Freizeit?
Meine Freizeit verbringe ich immer mit meinen Freunden. Meine grösste Leidenschaft ist der Fussball. In unserer Community gibt es elf Fussballmannschaften und ich spiele für die "Black Ones" ein Team der !Xung, meiner San-Gruppe. Wir sind ein sehr gutes Team und verlieren meistens nur gegen eine Mannschaft, nämlich gegen die übermächtigen "Stars", ein Team der Khwe, der anderen San-Gruppe unserer Community. Wenn es heiss ist, gehen wir manchmal auch zum Fluss, aber hineinzuspringen trauen wir uns meistens nicht, weil wir schon viel zu viele Geschichten von gefährlichen Krokodilen gehört haben, die dort lauern. Oft sitzen wir auch einfach irgendwo herum, hören Musik und lachen den ganzen Tag.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Erst einmal muss ich meinen Schulabschluss schaffen. Aber später würde ich gerne Journalist werden, um mich vertiefter mit der Kultur und Geschichte der San zu beschäftigen und anderen von uns berichten zu können. Natürlich möchte ich später auch mal eine Frau und Kinder haben, wobei ich denke, dass zwei Kinder mehr als genug sein werden!
Du gehörst einer Minderheit in Südafrika an, was bedeutet das für dich?
Wir als San werden von den anderen Gruppen, wie zum Beispiel den Weissen, Schwarzen und Indern immer mehr akzeptiert und auch als gleichwertige Menschen respektiert. Dies hat, denke ich, auch damit zu tun, dass die San mehr als eine geschlossene Gruppe auftreten und zeigen, dass sie sich nicht mehr unterdrücken und ausgrenzen lassen und ihren eigenen Stolz haben.
Ich bin stolz darauf, weil ich eine Kultur als Hintergrund habe, die etwas wirklich Besonders ist, und weil ich diese Kultur und die Geschichte meiner Vorfahren bewundere. Manche Leute denken, dass ich als San dumm und zurückgeblieben bin und lassen mich das auch deutlich spüren. Aber von so etwas lasse ich mich nicht einschüchtern und gerade diesen Personen werde ich umso mehr beweisen, wozu ich fähig bin! Positiv ist, dass ich als San die Möglichkeit bekommen habe, auf !Khwa ttu meine Schulausbildung nachzuholen und auch Erfahrung in vielen anderen Bereichen, wie eben der Gartenarbeit, zu sammeln.
Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass die Menschen nicht mehr so sehr nur an sich selbst denken und endlich einsehen würden, dass wir doch eigentlich alle eine grosse Familie in dieser Welt sind.
Das Interview erschien in der Zeitschrift "Vielfalt" (Nr. 71) der Gesellschaft für bedrohte Völker. Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Weitere Informationen: www.gfbv.ch
Lesen Sie auch unserenArtikel zum "!Khwa ttu San Culture and Education Centre" nahe Kapstadt, das Gästen Wissen zur Kultur des indigenen Volks der San vermittelt.