Sehr geehrter Herr Bundesrat Couchepin
Sehr geehrte Damen und Herren

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, zu dieser Vernehmlassungsunterlage Stellung zu beziehen. Angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus, insbesondere auch für die Berggebiete, sowie der grossen ökologischen und soziokulturellen Relevanz begrüssen wir, dass das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ein Konzept und Programm 2003 bis 2007 in Erfüllung der Motion WAK-Nr. 99.3569 ausarbeitet.
Wir begrüssen, dass dem Einbezug der Zivilgesellschaft grosse Bedeutung zugemessen wird. CIPRA Schweiz als Dachverband von dreizehn Umwelt-, Heimatschutz- und Alpinorganisationen, erlaubt sich, hier nachstehend zu den für CIPRA Schweiz relevanten Themen Stellung zu beziehen. CIPRA Schweiz begrüsst verschiedene der neuen innovativen Initiativen wie auch insbesondere das grosse Gewicht, welches der touristischen Aus- und Weiterbildung beige-messen wird. Nachstehend erlauben wir uns, Ihnen eine Stellungnahme mit allgemeinen Ausführungen und Kommentaren zu den einzelnen geplanten Massnahmen abzugeben. Im Zentrum unserer Stellungnahme steht dabei die Forderung nach einer konsequenteren Ausrichtung der schweizerischen Tourismusförderung an den Zielen der nachhaltigen Entwicklung.

A) Grundsätzliche Ausführungen von CIPRA Schweiz
Ausgangslage: Verschärfte Konkurrenzsituation
Der schweizerische Binnentourismus steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts an einem Wendepunkt. Die Globalisierung und die damit verbundene Liberalisierung auch im Tourismus führen zu einer verschärften Konkurrenzsituation, was in den letzten Jahren eine Stagnation des Binnentourismus in der Schweiz und in anderen Alpenländern zur Folge hatte. Demgegenüber dürfte der Ferntourismus in allen Facetten trotz der tragischen Ereignisse vom 11. September 2001 weiter boomen. Diese und weitere Faktoren haben dazu geführt, dass der für die Volkswirtschaft einstmals bedeutende Tourismus Jahr für Jahr an Prozentpunkten verliert. Insbesondere die schweizerischen Berggebiete sind von dieser Entwicklung negativ betroffen, da sie zu einem hohen Masse von dieser Einkommensquelle abhängen. Für viele Bergregionen besteht keine wirtschaftliche Alternative, weshalb die Tourismusbranche grundsätzlich mit geeigneten Mitteln gefördert werden muss.
Nachhaltigkeit auch im Tourismus
Dem Prinzip der Nachhaltigen Entwicklung wird in der neuen, totalrevidierten Bundesverfassung von 1999 ein hohes Gewicht beigemessen (u.a. Art. 2 BV). Die Ausrichtung auf eine nachhaltige Entwicklung im Tourismus wird unserer Ansicht nach mit dem hier vorliegenden Konzept und Programm jedoch zu wenig Folge geleistet, wird doch lediglich in einem kurzen Kapitel 1.4.5. darauf eingegangen. CIPRA Schweiz hat sich bereits in ihrer Stellungnahme zur Strategie des Bundesrates für eine nachhaltige Entwicklung 2002 für den Einbezug von «Tourismus und Freizeit» in der schweizerischen Nachhaltigkeits-Strategie ausgesprochen (vgl. Beilage). Gerade in der Tourismuspolitik als klassische Querschnittsaufgabe, vermissen wir die Verbindung und die Querbezüge zu tourismusrelevanten Sektoralpolitiken, wie zur Raumplanung, zum Natur- und Landschaftsschutz, zur Verkehrspolitik und zur Regionalpolitik. Die soziokulturellen und ökologischen Belange einer zukünftigen Tourismusförderung erhalten im vorliegenden Vorschlag zu wenig Gewicht, obwohl wir alle wissen, dass der Tourismus in der Schweiz wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig auf eine intakte Natur- und Kulturlandschaft angewiesen ist.
Eine umfassende, langfristig ausgerichtete Tourismuspolitik sollte angestrebt werden.Insgesamt plädieren wir für die Initialisierung einer umfassenden Tourismuspolitik, z.B. über ein griffiges Tourismusgesetz, welches auf den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung basiert. Tourismusförderung allein genügt nicht. Die Schweiz könnte sich als hochentwickeltes Land im hart umkämpften Tourismusmarkt mit einer konsequenten Ausrichtung auf einen nachhaltigen Tourismus in allen relevanten Bereichen, einen langfristigen Wettbewerbsvorteil und Imagegewinn verschaffen. Diese Chance sollte jetzt mit einer umfassenden, zukunftsgerichteten Tourismuspolitik genutzt werden. Mit dem damals zukunftsweisenden Tourismuskonzept aus dem Jahre 1979 wäre ja ein Grundlagenpapier bereits vorhanden. Die im hier vorliegenden Konzept vorgeschlagenen Massnahmen allein genügen nicht, um den schweizerischen Tourismus für das 21. Jahrhundert fit zu machen.

B) Stellungnahme von CIPRA Schweiz zu den einzelnen Massnahmen
1. Bundesgesetz über die Änderung von InnoTour
(Frage 2 des Begleitbriefes zur Vernehmlassung)

CIPRA Schweiz teilt die Einschätzung des Bundes, dass der Bundesbeschluss über die Förderung von Innovation und Zusammenarbeit im Tourismus (InnoTour) von 1997 einen Innovationsschub bewirkt und die Kooperationsbereitschaft im Schweizer Tourismus verstärkt hat. Einige Projekte fördern auch ökologische und soziokulturelle Aspekte, was wir ausserordentlich begrüssen. Wir unterstützen deshalb die Fortführung dieses Förderprogrammes. Unverständlich bleibt aber, dass InnoTour weiterhin nur mit relativ bescheidenen finanziellen Mitteln dotiert werden soll, umsomehr als neu auch noch Bildungs- und Forschungsprojekte durch dieses Förderprogramm unterstützt werden sollen. Bereits in der ersten Phase von 1997 bis 2001 konnten kaum die Hälfte der eingereichten Projekte unterstützt werden. Forschung und die darauf aufbauende Bildung ist zentraler Pfeiler einer zukünftigen umfassenden Tourismuspolitik.
Wie dies die Bundesverfassung auf einer grundsätzlichen Ebene vorgibt, sollen sich die Kriterien für zu unterstützende Projekte klar am Prinzip der Nachhaltigkeit ausrichten, insb. sollen ökologische (Umweltstandards) und sozialpolitische Belange (Arbeitsbedingungen und existenzsichernde Löhne), gleichberechtigt neben wirtschaftlichen Erfordernissen stehen (vgl. Kapitel C und Positionspapier «Tourismus mit Zukunft» von CIPRA Schweiz). Besonders gefördert werden soll ein naturnaher, landschaftsorientierter Tourismus in enger Kooperation und Partizipation aller relevanten Akteure. In diesem Zusammenhang fordert CIPRA Schweiz auch ausdrücklich den Einbezug von ökologischen Kriterien in das Qualitätsgütesiegel des Schweizer Tourismus. Wir schlagen hierbei eine Kooperation mit der Dachmarke «Viabono» vor, die in Deutschland aufgebaut wird.
Für die schweizerischen Berggebiete stellt der Tourismus eine Leitbranche dar. Deshalb regt CIPRA Schweiz an, die Berggebiete, insb. strukturschwache Regionen, unter Einbettung der touristischen Entwicklung in die Regionalpolitik gesondert und prioritär zu berücksichtigen, wie es auch von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB gefordert wird. Ebenso unterstützen wir deren Forderung nach einer nicht nur nationalen Ausrichtung des Programmes, sondern auch die Unterstützung von regionalen Projekten mit Modellcharakter.
2. Bundesgesetz über die Förderung des Beherbergungs- und Kurortkredites (Frage 3 des Begleitbriefes zur Vernehmlassung)
Die Konzentration der Unterstützung auf zukunftsträchtige Betriebe mit einem existenzsichernden finanziellen Potenzial wird durch CIPRA Schweiz unterstützt. Strukturanpassungen, wo es Sinn macht, statt Strukturerhaltung um jeden Preis ist eine zukunftsweisende Strategie. Auch bei diesem Punkt wird dem Prinzip der Nachhaltigkeit wiederum nicht die notwendige Bedeutung beigemessen. In den allgemeinen Ausführungen wird zwar ausdrücklich darauf verwiesen, in den konkreten Gesetzesbestimmungen fehlt aber der Hinweis auf Kriterien für die Vergabepraxis von Krediten. Deshalb sollten diese – auch im Kontext zu den Kriterien von InnoTour – noch konkret ausformuliert und integriert werden. Ausserdem wird die wirtschaftliche Entwicklung dem Prinzip der Nachhaltigkeit gleichgesetzt, was dem umfassenden Anspruch des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung widerspricht.
Für die konkrete Ausgestaltung der Kriterien erlauben wir uns auf das CIPRA-Positionspapier «Tourismus mit Zukunft» zu verweisen. Hier nachstehend einige wichtige Punkte, welche unbedingt mitberücksichtigt werden sollten:

  • Priorität bei der finanziellen Förderung für Pensionen und kleinstrukturierten Hotellerie, da diese lokale Arbeitsplätze schaffen und mithelfen, Einkaufstouren zu vermeiden. Ein weiterer Bettenausbau in der Parahotellerie ist nicht wünschenswert.
  • Umnutzungen bestehender Infrastrukturen sind Neubauten im Allgemeinen vorzuziehen.
  • Die gesamte Bautätigkeit und der Betrieb müssen den Prinzipien der Nachhaltigkeit Rechnung tragen und dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen, z.B. Ausrichtung auf Minergiestandards.
  • Architektonisch qualitätsvolle Baukultur und Ortsbilder sollen schwerpunktmässig gefördert werden.

3. Seilbahnwirtschaft
Die schweizerische Seilbahnwirtschaft steckt in der Tat in einer schwierigen Situation. Wir begrüssen grundsätzlich die Absicht des Bundes mit flankierenden Massnahmen den Strukturwandel zu fördern. Insbesondere unterstützen wir auch hier aus regionalpolitischen Aspekten wiederum die spezifische Förderung von Unternehmen in strukturschwachen Gebieten, allerdings nur, wenn sie über langfristig gute Ertragsaussichten verfügen. Grundsätzlich gilt auch bei diesem Punkt, Strukturanpassungen, wo es Sinn macht, statt Strukturerhaltung um jeden Preis. Finanzielle Subventionen über das IHG und wie bereits gefordert bei InnoTour sollen sich konsequent an Kriterien der Nachhaltigkeit ausrichten.
Wir erlauben uns, an dieser Stelle auf einige Überlegungen aus dem CIPRA-Positionspapier «Tourismus mit Zukunft» zu verweisen.Hier nachstehend einige wichtige Punkte:

  • Das "Wettrüsten" der Bergbahnen ist sowohl aus ökonomischen wie ökologischen Gründen zu beenden. Auch die Verantwortlichen der Seilbahnwirtschaft selbst sprechen bereits von bestehenden Überkapazitäten.
  • Neuerschließungen sowie Erweiterungen von Skigebieten in neue Geländekammern haben vollkommen zu unterbleiben.
  • Falls Seilbahnen aufgegeben werden müssen, fordert CIPRA Schweiz einen unverzüglichen Rückbau der Infrastruktur.

4. Berufsbildungskonzept und Aufbau eines touristischen Kompetenz-Zentrums

CIPRA Schweiz begrüsst Massnahmen im touristischen Bildungsbereich. Ein verbessertes Bildungsangebot sollte nicht nur zu einer höheren Qualität der Dienstleistungs-Angebote führen, sondern auch zu einer verstärkten Sensibilisierung der Tourismusbranche gegenüber ökologischen und soziokulturellen Belangen. Darauf sollte bei der Ausgestaltung der konkreten Bildungsprogramme entsprechendes Augenmerk gelegt werden. Leider wird auch hier dem Prinzip der Nachhaltigkeit wiederum keinen integralen Platz eingeräumt. Dabei bilden gerade für den Tourismus-Standort Schweiz intakte Landschaften und eine gebührende Gastfreundschaft ausschlaggebende Faktoren. Freundlichkeit und Gastfreundschaft kann nur vermittelt werden, wenn die im Tourismus Arbeitenden über existenzsichernde Löhne und angemessene Sozialleistungen verfügen. Grösstes Gewicht in der Ausbildung sollte auch verstärkten Kooperationen im Tourismus selber – vertikal wie horizontal – sowie branchenübergreifender Zusammenarbeit, wie z.B. mit den Landwirtschaftsschulen, Planungs- und Umweltausbildung sowie mit der Ausbildung im öffentlichenVerkehr beigemessen werden.
Über den engeren Rahmen der Aus- und Weiterbildung für Touristiker hinaus, sollten alle involvierten Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zur Weiterbildung animiert und eine grössere Öffentlichkeit in die Diskussion über die Ausgestaltung einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Tourismuspolitik einbezogen werden. Den Aufbau eines touristischen Kompetenz-Zentrums begrüssen wir grundsätzlich; ein solches Zentrum könnte sich als Zukunftswerkstätte für nachhaltige Entwicklung im Tourismus profilieren.

C) Zusammenfassung und wichtigste Vorschläge von CIPRA Schweiz für eine zukunftsfähige und nachhaltige Tourismuspolitik (Frage 1 des Begleitbriefes zur Vernehmlassung)
Zukunftsfähiger Tourismus in den Alpen muß im Sinne der Postulate einer Nachhaltigen Entwicklung die folgenden generellen Zielsetzungen anstreben:

  • Ökologische Optimierung aller vorhandenen Infrastruktur und touristischer Aktivitäten wie zukünftiger Planungen.
  • Ökonomische Rentabilität für die vom Tourismus profitierenden Einheimischen.
  • Kulturelle und soziale Verantwortung.
  • Partizipation der Bevölkerung.

Um diese Ziele zu erreichen, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass die Tourismusplanung und -entwicklung, jeweils abgestimmt auf die Besonderheiten und Rahmenbedingungen der jeweiligen Region, folgenden Leitlinien folgen:

Ein intakter Natur-, Kulturlandschafts- und Siedlungsraum sowie betrieblicher Umweltschutz sind Voraussetzungen für den Tourismus der Zukunft. (Die ökologische Dimension)
Natur- und Umweltschutzmaßnahmen bedeuten keine Verhinderungsstrategie, sondern image-fördernde und zukunftweisende Ansätze, die auch betriebswirtschaftliche Ersparnisse bedeuten können. Legistische und freiwillige Anreize und Lenkungsmaßnahmen unterstützen die regionalen Zielsetzungen. Ein zukünftiger Tourismus nimmt auf die gewachsene Kulturlandschaft Rücksicht, integriert diese, vermeidet aber gleichzeitig Musealisierungen.
Tourismus ist integrierter Teil einer nachhaltigen, regionsspezifisch vernetzten Wirtschaft. (Die ökonomische Dimension)
Das Image von Urlaubsregionen wird geprägt von selbstbestimmter kultureller Dynamik und sozialer Zufriedenheit der Bevölkerung sowie der im Tourismus Arbeitenden. (Die soziokulturelle Dimension).
Der angestrebte Tourismus lebt vom Erleben und der Vermittlung «echter Kultur». Das Ziel ist eine rücksichtsvolle (Re-)Integration des Tourismus in die lokale und regionale Kultur, nicht eine Integration der Kultur in den Tourismus. Die Qualität des Tourismus wird immer stärker durch die Qualität der Dienstleistungen bestimmt. Daher ist die Hebung des Ausbildungsstandes und die Verbesserung der sozialen Absicherung der Beschäftigten von größter Bedeutung für die Zukunft. Wichtig ist auch die Vermittlung der grossen Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklung im Gastgewerbe zugunsten der lokalen und regionalen Wirtschaft.
Der Mensch steht als Gestalter einer sozialverträglichen Tourismuspolitik im Mittelpunkt – die gesamte Bevölkerung hat Zugang zu allen Informationen und ist gleichberechtigt-partizipativ in alle Entscheidungsprozesse miteingebunden. (Die institutionelle Dimension).
Im Sinne institutioneller Nachhaltigkeit erfolgt die Planung und Umsetzung von tourismusrelevanten Maßnahmen gemeinsam mit allen Akteuren der Tourismus- und Freizeitpolitik – Tourismus-verantwortliche, Reisebüros, Verbände, Betroffene und Konsumenten. Eine wichtige Rolle spielen insbesondere im ländlichen Raum auch verwandte Branchen wie Landwirtschaft und Gewerbe. Über die partnerschaftliche Entwicklung von Projekten wird Identifikation und unternehmerische Innovation erzeugt, die zur Kooperation zwischen den Wirtschaftsbereichen führt. Die interessierte Bevölkerung hat Zugang zu sämtlichen Informationen und wird aktiv und gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse miteinbezogen. Gleichzeitig wird sie über Fehlplanungen anderorts aufgeklärt, um eine Wiederholung bereits begangener Fehler zu vermeiden. Einbindung von sachdienlichem «externen» Know-How unterstützt regional getroffene Entscheidungen.
Wir bedanken uns nochmals für die Möglichkeit aktiv an dieser Vernehmlassung teilnehmen zu können und hoffen auf eine Berücksichtigung unserer Anliegen in der definitiven Version des Tourismusberichtes.

Mit freundlichen Grüssen
CIPRA Schweiz     Dr. Dominik Siegrist, PräsidentReto Solèr, Geschäftsleiter