Tourismus und Freizeit – die Stiefkinder der bundesrätlichen Strategie Nachhaltige Entwicklung 2002
Wir begrüssen das grundsätzlich breit angelegte Verständnis der Politik einer nachhaltigen Entwicklung, das dem Strategiebericht zu Grunde liegt und sich in den umfassenden Leitlinien und Herausforderungen des Bundes widerspiegelt. Gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, aus der Sicht einer entwicklungspolitischen Organisation, die sich kritisch mit dem Tourismus beschäftigt, zu Analysen und Massnahmen des Strategieberichtes Stellung zu nehmen.
Tourismus- und Freizeitgestaltung entsprechen in unserem Verständnis nicht etwa einem sektorspezifischen Bereich, den wir hier mit Sonderanliegen untermauern wollen. Im Gegenteil muss Tourismus- und Freizeitgestaltung heute als wichtige sektorübergreifende Querschnittsaufgabe der Politik einer nachhaltigen Entwicklung begriffen werden, die im Strategiebericht des Bundes im Wesentlichen skizziert werden soll. Es geht einerseits um die Anerkennung der gesellschaftlichen, kulturellen, aber auch wirtschaftlichen und ökologischen Relevanz des heutigen Tourismus- und Freizeitbereiches, andererseits um die Einleitung der notwendigen Trendwende hin zu verträglicheren Formen von Tourismus- und Freizeitaktivitäten.
Anhand einiger Eckdaten möchten wir generell aufzeigen, wie wichtig es ist, die Bereiche Tourismus und Freizeit in die Strategien des Bundes für eine nachhaltige Entwicklung zu integrieren, und wie zukunftsfähigere Formen von Tourismus- und Freizeitgestaltung aussehen müssen. Anschliessend werden wir einzelne Punkte der Leitlinien und Massnahmen mit konkreten Anmerkungen und Postulaten ergänzen. Der Massnahmenkatalog scheint uns sehr reichhaltig, wobei die einzelnen Massnahmen von so unterschiedlicher Ordnung und zuweilen auch Relevanz für eine umfassend nachhaltige Strategie sind, dass wir generell eine Gewichtung der Handlungsfelder nach Prioritäten sehr begrüssen würden – unter vollem Einbezug der Tourismus- und Freizeitgestaltung.

Tourismus und Freizeitgestaltung als Herausforderung für eine umfassende Politik der nachhaltigen Entwicklung
In die Leitlinien ist explizit das Prinzip aufzunehmen, dass sich die Strategie für eine nachhaltige Entwicklung auf alle Bereiche der Arbeits- und Freizeitgesellschaft erstreckt – unter Abschnitt 2.1/Absatz 3 Ende: Schweiz nicht bloss als Werk- und Denkplatz, und unter Abschnitt 2.4/Querschnittsaufgabe der Politik. Denn:
Tourismus und Freizeit haben über die letzten Jahrzehnte in den Industrieländern eine enorme gesellschaftliche, aber auch wirtschaftliche Bedeutung erlangt, und ihre ökologische Relevanz ist ausserordentlich vielschichtig. Der Tourismus lebt wie kein anderer Wirtschaftszweig von schönen Landschaften und der Gastfreundschaft der Menschen in den Zielgebieten. Das allein müsste ihn zum Vorreiter der nachhaltigen Entwicklung machen. Doch in seinen heute gängigen Formen entwickelt sich der Tourismus klar auf Kosten der Umwelt und allzu oft auch zu Lasten der breiten Bevölkerung in den Gastländern.
Die Schweiz gehört zu den Weltmeistern bezüglich Ferien und Reisen: Laut der aktuellsten Untersuchung «Reisemarkt Schweiz» des St. Galler Institutes für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus unternahmen 1998 rund 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Ferienreise mit mindestens 3 Übernachtungen. 70 Prozent der SchweizerInnen fuhr gleich mehrmals im Jahr auf Urlaubsreise.
46 Prozent aller Ferienreisenden wählen die Schweiz als Urlaubsort, Tendez leicht steigend (Travel Inside, Oktober 2001). 54 Prozent der Reisen führten im Jahr 2000 ins Ausland, das waren insgesamt rund 12,4 Millionen Auslandsreisen der Schweizer Wohnbevölkerung. Schätzungsweise 1,2 Millionen davon führten in sogenannte Entwicklungsländer.
Weltweit wurden im Jahr 2000 an die 700 Millionen grenzüberschreitende Reisen unternommen, die 476 Milliarden US Dollar an Einnahmen brachten (Welttourismusorganisation). Der internationale Tourismus gehört aufgrund seiner – trotz Krisen – überdurchschnittlichen Wachstumsraten in den letzten Jahren zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen der Welt und gilt mit über 200 Millionen Beschäftigten als wichtigster Arbeitgeber der Welt.
In der Schweiz hält der Tourismus mit mittlerweile rund 7 Prozent des BIP eine bedeutende wirtschaftliche Rolle. Bei der Erhaltung von Landschaften und des kulturellen Erbes in Berggebieten beispielsweise kann er gar eine existenzielle Rolle einnehmen, die nicht beziffert werden kann. Im globalen Wettbewerb allerdings hat die Schweiz einen schweren Stand gegenüber den Billigangeboten für Auslandsreisen – insbesondere auch den extrem günstigen Flugreiseangeboten (Stichwort: Dumpingpreise). Die Überalterung vieler Infrastrukturen, die Überschuldung vieler Tourismusgemeinden und Einrichtungen stellen den Schweizer Tourismus vor weitere grosse Herausforderungen. Der Tourismus wird nicht von Ungefähr als einer der Schrittmacher der Globalisierung bezeichnet. Massnahmen im lokalen Bereich des Tourismus müssen immer auch im globalisierten Kontext dieses Wirtschaftszweiges betrachtet werden.
Insbesondere stellt auch der Freizeitverkehr ein wichtiges politisches Handlungsfeld dar: Laut den Ergebnissen des NFP-41 sind 60 Prozent aller in der Schweiz gefahrenen Kilometer dem Freizeitverkehr zuzurechnen. Der Freizeitverkehr der SchweizerInnen im Ausland beträgt nochmals gleich viele Kilometer wie in der Schweiz, und dort vorwiegend per Flugzeug. Der Flugverkehr hat, wie sämtliche neuen Untersuchungen belegen, einen beträchtlichen und stark wachsenden Anteil an der globalen Klimaerwärmung. Bereits heute wird pro Schweizer EinwohnerIn und Jahr knapp eine Tonne CO2-Emissionen allein durch den Flugverkehr verursacht; das sind 13 Prozent des gesamten Schweizer CO2-Ausstosses. Wenn die Reisetätigkeit über den Wolken weiterhin um 3 bis 6 Prozent jährlich zunimmt, könnte der Flugverkehr in 20 Jahren für einen Drittel der CO2-Emissionen der SchweizerInnen verantwortlich sein, folgert NFP-41. Das langfristig vertretbare Mass an CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr wird in der Schweiz allein mit Flugreisen bereits heute erreicht, besagen Berechnungen des wissenschaftlichen Gremiums der Klimakonvention (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC).
1992 war der Tourismus trotz seiner weltwirtschaftlichen Bedeutung und seiner nicht zu übersehbaren ökologischen Belastungen nicht auf die Tagesordnung des Erdgipfels zu bringen. Erst 1999 befasste sich die mit der Umsetzung der Ergebnisse von Rio betraute Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD-7) erstmals mit dem Tourismus und verabschiedete ein umfassendes Aktionsprogramm dazu, das auf dem Weltgipfel in Johannesburg im September 2002 (WSSD) evaluiert werden soll.
Dies eröffnete für eine nachhaltige Ausgestaltung des Tourismus- und Freizeitbereiches ein neues politisches Gestaltungsfeld, auf das wir – der arbeitskreis tourismus & entwicklung gemeinsam mit den in der CIPRA-Schweiz zusammengefassten Alpenschutzorganisationen, den Naturfreunden Schweiz sowie dem Verkehrsclub Schweiz (VCS) – mit Öffentlichkeitsarbeit und aktiver Mitarbeit bei der Ausgestaltung des Aktionsprogrammes des CSD-7 hingewiesen haben. Die CSD-7-Resolution enthält einen breiten Katalog von Forderungen und Vorschlägen von sehr unterschiedlicher Grössenordnung und Relevanz, die einen Rahmen für politische Massnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, aber auch für privatwirtschaftliche Akteure und für Reisende abgeben. Bloss scheint die CSD-7-Resolution zum Tourismus vom April 1999 bei den zuständigen Ämtern der Bundesverwaltung noch nicht bekannt zu sein, geschweige denn bei zuständigen politischen Verantwortlichen, bei der Privatwirtschaft oder den Reisenden.
Halten wir fest, die Sensibilisierung der verschiedenen Akteure im Tourismus ist über die letzten Jahre gestiegen: Es gibt einen Vorstoss auf internationaler Ebene im Rio-Folge-Prozess, es gibt immer mehr Reiseveranstalter, Tourismusgemeinden, Reisende, die sich – nicht zuletzt im eigenen Interesse – um verträglichere Formen des Reisens bemühen. Doch im Strategiebericht des Bundes zur nachhaltigen Entwicklung fehlen die Massnahmen für eine nachhaltige Ausgestaltung von Tourismus und Freizeit.

Trendwende als Strategie
Im Sinne der gemeinsamen und geteilten Verantwortung der Agenda 21 des Umweltgipfels von Rio 1992 möchten wir nochmals unterstreichen, dass die Schweizer Wohnbevölkerung nicht nur auf viel zu grossem Fuss wohnt, arbeitet und im Alltag konsumiert, sondern auch «freizeitet» und auf Reisen geht, was in den Strategien für eine nachhaltige Entwicklung der Schweiz einen adäquaten Widerhall finden muss: Es bedarf einer radikalen Trendwende hin zu einer insgesamt verträglicheren Ausgestaltung von Tourismus und Freizeit.
Die Ausrichtung ist klar: Erholung im Alltag, attraktive Naherholung vom Alltag, auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Ferienangebote, die mit umweltverträglichen Verkehrsmitteln erreicht werden! Die Fernreise, insbesondere die Flugreise, wird zu einem seltenen, kostbaren Vergnügen, das dank neuen Formen von Jahresurlaub bzw. die Zusammenlegung von Urlaubstagen länger dauert und echte Gelegenheit bietet, mit anderen Kulturen in Kontakt zu kommen.
Diese Trendwende wird nicht durch Einzelinitiativen von Reisenden oder AnbieterInnen aus dem Reise- und Freizeitbereich zu erreichen sein. Es braucht ein ganzes Paket von politischen Massnahmen in den verschiedensten Bereichen: Siedlungspolitik und Raumordnung, Landschafts- und Artenschutz, nationale Wirtschaft mit Anreizen und Auflagen in der Tourismusförderung, Bildung und Fachausbildung, KonsumentInnenschutz und -information, Verkehrspolitik unter vollem Einbezug des Flugverkehrs, sowie generell Aussenpolitik, internationale Wirtschafts- und Handelspolitik wie auch Entwicklungspolitik. Denn die politische Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung im Tourismus hört nicht an der Landesgrenze auf, wenn die Schweizer Bevölkerung jährlich über 12 Millionen Auslandsreisen unternimmt.
Zu den vordringlichsten Massnahmen gehören:

  • Die Ausrichtung sämtlicher Freizeiteinrichtungen und Tourismusvorhaben auf Nachhaltigkeit, insbesondere sind auch staatliche Fördermassnahmen an entsprechende Auflagen zu knüpfen.
  • Die Schaffung bzw. Förderung einer breiten Palette von attraktiven Möglichkeiten für Freizeit und Naherholung, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbar sind.
  • Der Ausbau der Informations- und Sensibilisierungsarbeit auf eine nachhaltige Entwicklung für Reisende bzw. KonsumentInnen – mit entsprechender finanzieller Ausstattung, nicht allein aus Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit für die "Entwicklung des Inlands", sondern auch aus Umwelt, Reisesicherheit und -gesundheit sowie der Forschung. Bildungsmassnahmen für Jugendliche im schulischen und ausserschulischen Bereich sind verstärkt zu unterstützen.
  • Die gezielte Förderung von Lokalen Agenden 21 unter vollem Einbezug des Tourismus sowie der Reisenden, die ihre Ferien im Ausland verbringen.
  • Der Ausbau der fachlichen Ausbildung im Tourismus auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklung, das heisst der umfassende Einbezug von Lehrgängen zur nachhaltigen Entwicklung im Tourismus auf allen Aus- und Weiterbildungsstufen.
  • Neue kreative Wege zur Schaffung von Anreizen für nachhaltige Freizeit- und Tourismusgestaltung für AnbieterInnen und KonsumentInnen: zum Beispiel durch Unterstützung von Preisausschreiben, von Ratings im Angebotsbereich, von transparenten, glaubwürdigen Produktedeklarationen; Lenkunsabgaben für nicht-verträgliche Angebote, Transparenz und Kostenwahrheit insbesondere auch im Verkehrsbereich unter vollem Einbezug des Flugverkehrs.

Die CIPRA-Organisationen legen ein neues Policy-Paper für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus in den Schweizer Berggebieten vor (s. Anhang 1). Für das Netzwerk der Organisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich mit Tourismus befassen, erarbeiten wir zur Zeit eine Plattform für eine zukunftsfähige Entwicklung des Tourismus im Hinblick auf Rio+10/WSSD. Eine Übersicht über die 10 Themenschwerpunkte mit Leitsätzen sowie die Einleitung sind im Anhang 2) beigefügt; die kompletten Analysen und Forderungen werden Ende Januar 2002 vorliegen.

Anmerkungen zum Strategiebericht im Detail
Abschnitt 2 Leitlinien (siehe oben Abschnitte 2.1 und 2.4)
Expliziter Einbezug von Tourismus- und Freizeitgestaltung in die Leitlinien der Strategie Nachhaltige Entwicklung, was ein erster Schritt für die Schaffung von künftigen politischen Zuständigkeiten bedeutet.
Abschnitt 2.2 Leitlinien – Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft
Zu den sozialen Zieldimensionen der nachhaltigen Entwicklung gehören nebst den erwähnten Bedingungen, auch die Umweltgerechtigkeit (bzw. gerechter Zugang zu den lebenswichtigen Ressourcen, Umweltgerechtigkeit auch zwischen Nord und Süd) sowie – unbedingt – die Partizipation.
Die Partizipation fehlt nicht nur in den Leitlinien, sondern weitgehend im gesamten Massnahmenkatalog des Strategieberichtes bis zur Skizzierung der Umsetzung. Letztlich sind es die SchweizerInnen, die nachhaltiger leben sollen. Die Zivilgesellschaft, KonsumentInnen, Verbände, aber auch wirtschaftliche Akteure sowie kantonale und kommunale Gremien müssen deshalb explizit in die Strategie der nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden; wie dies konkret zu geschehen hat, sollte in jeder Massnahme festgelegt werden, ansonsten zielen auch die besten Absichten ins Leere. Die Lokale Agenda 21 muss als Dreh- und Angelpunkt einer partizipativen nachhaltigen Entwicklung unter Einbezug sämtlicher Akteure verstanden und dementsprechend aufgewertet werden, das heisst auch die Lokalen Agenda 21-Prozesse mit genügend finanziellen Mitteln auszustatten. Weiter fehlt eine übergreifende Kommunikationsstrategie, welche die Nachhaltigkeit in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen als unumgängliche Stossrichtung setzt und damit die Partizipation aller Beteiligten erst möglich macht.
Abschnitt 3.5 Herausforderungen – Gesundheit sowie Massnahme 13)
Gesundheit und Wohlbefinden stehen im engen Zusammenhang mit Freizeitgestaltung. Bezeichnenderweise sind viele der nicht-nachhaltigen Formen der Freizeitgestaltung auch der Gesundheit nicht besonders zuträglich (z.B. Flugreisen, Jetlag etc.). Zu den Themen «Natur und Wohlbefinden», «Mobilität und Wohlbefinden» gehören grundsätzliche Überlegungen, wie aus einer ganzheitlich erholsamen Freizeitgestaltung neue Lebensqualität gewonnen werden kann.
Abschnitt 3.6 Herausforderungen – Umwelt und Ressourcen
In die Fragen der Mobilität sowie des Strukturwandels in Richtung einer umweltverträglichen Wirtschafts- und Lebensweise sind die Forderungen nach einer Trendwende im Freizeit- und Tourismusbereich einzubeziehen.
Abschnitt 3.7 Herausforderungen – Raumordnung und Infrastruktur
Zu den problematischen Entwicklungstrends gehören Zersiedelung, Überbauungen sowie steigende Mobilität, insbesondere des motorisierten Individualverkehrs für Freizeit- und Tourismusaktivitäten – hier sollte das Stichwort «attraktive Naherholung» mit Anbindung an den öffentlichen Verkehr und verbesserten Möglichkeiten für «Human Powered Mobility» (HPM – zu Fuss, per Velo, Skating etc.) auftauchen.
Abschnitt 3.8 Herausforderungen – Internationale Beziehungen
Wie der Bericht besagt, trägt die Schweiz als Land mit überdurchnittlichem Wohlstand und Konsumniveau eine Verantwortung. Deshalb:
Abschnitt 3.8 Herausforderungen – Internationale Beziehungen sowie Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 1) und Massnahme 39)
Dass die Schweiz in den neunziger Jahren den Institutionen von Bretton Woods und der WTO beigetreten ist, kann hier nicht eigentlich als Herausforderung abgehandelt werden. Die Herausforderung ist vielmehr heute, dass die Schweiz sich aktiv für Transparenz und Demokratisierung dieser Institutionen engagiert. Eine Strategie für die Reform bzw. Demokratisierung der WTO und der Bretton Woods-Organisationen soll in Massnahme 1) entworfen werden. Der Strategiebericht des Bundesrates zur nachhaltigen Entwicklung soll ein klares Engagement für die Aufwertung der globalen sozialen und Umweltgerechtigkeit im Rahmen der internationalen Beziehungen enthalten, das heisst konkret eine Aufwertung der Sozial- und Umweltnormen im Rahmen der internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen.
Abschnitt 3.8 Herausforderungen – Internationale Beziehungen sowie Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 35)
Der Zielhorizont von 2010 für eine Anhebung der öffentlichen Entwicklungshilfe auf 0,4 Prozent des BSP ist ungenügend. Der Strategiebericht muss vielmehr ein Zeichen setzen, dass die Schweiz als Wohlstandsland im rasanten Abwärtstrend der globalen öffentlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit dezidiert Gegensteuer geben will: Ziel sind die von der OECD und im Rio-Prozess festgehaltenen 0,7 Prozent des BSP für öffentliche Entwicklungshilfe, was auch andere Länder Europas erfüllen, und dies so rasch wie möglich.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 8)
Bildungsangebote sind wichtig, sie ersetzen jedoch eine umfassende Kommunikationsstrategie nicht! Die Massnahme ist im vorliegenden Entwurf sehr breit angelegt, aber allgemein gehalten. Vom Missstand in der Tourismusfachausbildung ausgehend, möchten wir anregen, dass sektorspezifisch Angebote zur nachhaltigen Entwicklung in sämtlichen Aus- und Weiterbildungen verankert werden. Auch im Schulbereich dürften verstärkte Anstrengungen notwendig sein, um die komplexen Zusammenhänge des eigenen Handels mit der nachhaltigen Entwicklung zu verknüpfen. Die Lokalen Agenda 21-Prozesse sind zudem mit gezielten Bildungsangeboten zu verstärken, gerade auch was Freizeit- und Tourismusgestaltung angeht.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 9)
Eine kleine, aber nicht geringfügige Nebenbemerkung im Sinne des «Spirit of Rio»: Technologie- und Wissenstransfer von Nord nach Süd sind absolut wichtig, aber wir können auch vom Süden lernen, gerade was nachhaltiger, nicht-plünderischer Umgang mit natürlichen Ressourcen angeht. Fairer Austausch wäre hier ein gutes Stichwort.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 12)
Die Formulierung, dass die «Working Poor», wie sie gerade auch im Schweizer Gastgewerbe auffallend häufig vorkommen, als «nicht besonders berücksichtigt» im gegenwärtigen System der Sozialversicherungen bezeichnet werden – diese Formulierung ist ärgerlich. Weshalb werden die Angestellten nicht menschenwürdig, das heisst existenzsichernd bezahlt? Was ist mit diesen Branchen los, die keine existenzsichernden Löhne bezahlen und die Kosten der Existenzsicherung auf die Allgemeinheit abwälzen? Diese Fragen müssen gestellt werden, auch wenn – was sehr zu begrüssen ist – sich der Bund verstärkt um die Existenzsicherung gerade auch benachteiligter Bevölkerungsgruppen bemüht.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahmen 15)/26)/35)
Das Stichwort: Abgaben für den Luftverkehr taucht in verschiedenen Zusammenhängen auf. Es ist aus unserer Warte im Moment weniger vordringlich, wofür Abgaben aus dem Flugverkehr verwendet werden. Wichtiger ist, dass die Schweiz mit einer Palette von geeigneten Massnahmen – die längst überfällige Kerosinbesteuerung im internationalen Verbund, Lärm- sowie weitere Emissionsauflagen – gezielt auf eine Kostenwahrheit im Flugverkehr hinwirkt, Transparenz gegenüber den Flugpassagieren schafft und die Kosten nach Verursacherprinzip umlagert. Der Flugverkehr ist ein globales Problem, schon nur die CO2-Emissionen der Schweizer Flugreisenden können nicht im «nationalen» Rahmen abgehandelt werden. Verursacht werden die Emissionen bereits heute, auch wenn sie in internationalen Abkommen zum Klima etwa bislang nicht berücksichtigt werden. Es braucht ein klares Engagement der Schweiz für konkrete Massnahmen gegen den weiteren rasanten Anstieg des Flugverkehrs und für die Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger – jetzt umso mehr, als der «gegroundete» nationale Carrier mit massiver Hilfe aus Steuergeldern wieder flott gemacht werden soll.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 18)
Die Schaffung von Natur- und Landschaftsparks – unter vollem Einbezug der beteiligten Bevölkerung – ist sehr begrüssenswert und kann eine konkrete Förderung verträglicher Tourismusformen bedeuten, welche die Gäste auch für weitreichende ökologische und kulturelle Zusammenhänge zu sensibilisieren vermögen. Es braucht aber ein umfassendes Umwelt-Management, u.a. zur Lenkung der Touristenströme, sowie eine Anbindung der geschützen Landschaften an den öffentlichen Verkehr bzw. eine umweltfreundliche Verkehrserschliessung. Zusätzlich sind auch Strategien für Natur- und Landschaftsschutz sowie zur nachhaltigen Ausgestaltung von Tourismus- und Freizeitaktivitäten in allen anderen Gebieten notwendig. Hier wäre allenfalls ein Bezug auf den im Rahmen der Biodiversitätskonvention verwendeten «ecosystem approach» hilfreich. Die Schaffung von Naturschutzzonen ist immer auch in Ergänzung zur Schaffung von attraktiven Naherholungsmöglichkeiten zu konzipieren.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 20)
Hier müssen die Überlegungen zu einer verantwortlichen Freizeit- und Tourismusgestaltung einfliessen, insbesondere durch die gezielte Schaffung von attraktiven Naherholungsangeboten mit Anbindung an den öffentlichen Verkehr und breiteren Möglichkeiten für HPM.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 23)
Wir begrüssen die Schaffung einer Stiftung für nachhaltige Entwicklung des Berggebietes und unterstreichen an dieser Stelle die Wichtigkeit der raschen Annahme und Umsetzung der Protokolle der Alpenkonvention, insbesondere auch für den Tourismus, die einen wichtigen Rahmen für eine zukunftsfähige Entwicklung der Berggebiete abstecken.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahmen 29)/30)
Die im Kapitel Staureduktion vorgeschlagenen Massnahmen können wohl schwerlich als Strategie einer nachhaltigen Entwicklung durchgehen. Die Förderung von «sauberen» Fahrzeugen ist ohne langes Warten auf internationale Erlässe ein integraler Bestandteil jeglicher nachhaltigen Entwicklungsstrategie. Hingegen fehlen in der Strategie klar die Anreize und Lenkungsmassnahmen zur Vermeidung der nicht-nachhaltigen Mobilität – mit Querbezügen zur Siedlungspolitik, aber auch zur Freizeit- und Tourismusgestaltung.
Abschnitt 4 Handlungsfelder – Massnahme 42)
Eine regelmässige Generationenbilanzierung kann sehr hilfreich sein, besonders wenn sie auch für «Normal-Sterbliche», lies technisch weniger in Fragen der Nachhaltigkeit versierte DurschnittsbürgerInnen einseh- und einsichtbar gemacht wird (Verweis auf das Postulat einer umfassenden Kommunikationsstrategie). Wichtig scheint aus unserer Warte, dass eine Bilanzierung hinsichtlich sozialer und Umweltgerechtigkeit zwischen Nord und Süd erfolgt. Eine Bilanzierung, die auch potenziellen Reisenden handfeste Hinweise über ihre eigenen Privilegien und die Notwendigkeit einer verantwortlichen Wahl ihrer Ferienreise und eines verantwortlichen Verhaltens unterwegs liefert.

Christine Plüss, akte