Um die richtigen Forderungen zu stellen, müssen wir wissen, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft bewegt. Welche Welt stellen wir uns vor? Wie soll das Reisen in Zukunft organisiert werden? Was können wir als Gesellschaft tun, um innerhalb der Kapazität unseres Planeten zu leben? Wie können wir demokratisch entscheiden, wo die persönliche Freiheit endet, um eine kollektive Freiheit und ein nachhaltiges Leben für alle zu garantieren? Die Teilnehmer eines Stay Grounded Webinars haben sich hierzu Gedanken gemacht und unterschiedliche Forderungen formuliert.

Anne Kretzschmar, Aktivistin bei Stay Grounded, schlägt vor, die Flüge, die mit dem weltweiten Emissionsbudget noch kompatibel sind, auf faire Weise in Gemeinden aufzuteilen. Die Verteilung hinge dann von den unterschiedlichen Bedürfnissen und Realitäten der Menschen ab. So würde die begrenzte Anzahl von Flügen zum Beispiel eher einem Geflüchteten zugeteilt werden, der seine Familie besuchen möchte, oder einer Person zugutekommen, die für ein transnationales Solidaritätsnetzwerk arbeitet, als jemandem, der eine Urlaubsreise machen möchte. In dieser Vision würden Preismechanismen keine Schlüsselrolle zukommen, da sich sonst nur die Reichsten einen Flug leisten könnten. Zur Realisierung eines solchen Szenarios müssten sowohl die Grenzen aufgeweicht als auch die Steuern überarbeitet werden, aber am wichtigsten sei es, unsere Vorstellungskraft für alternative Visionen zu schulen.

Besteuerung von Flügen könnte in naher Zukunft möglich sein

Bill Hemmings, ein unabhängiger Berater für Luftfahrtpolitik, der früher in der Branche tätig war, schätzt, dass eine EU-weite Steuer wegen der Notwendigkeit eines einstimmigen Votums aller Mitgliedsstaaten derzeit zwar schwer zu erreichen wäre, aber bilaterale Abkommen einen ersten Schritt darstellen könnten. Seine Präsentation finden Sie hier.

Jo Dardenne von Transport & Umwelt findet es an der Zeit, den Luftverkehr endlich zu besteuern. Nachdem die Steuerzahler massive Rettungspakete für die Branche unterstützt haben, muss die Branche endlich anfangen, Steuern zu zahlen. Flugscheinsteuern wären am einfachsten durchzusetzen, was ausserdem die nichtexistierende Mehrwertsteuer auf Flugtickets ersetzen könnte. Kerosinsteuern hätten dahingegen den Vorteil, dass sie an die Menge des verbrauchten Treibstoffs und der emittierten Treibhausgase gekoppelt wären. Beides gemeinsam angewendet, könnten die daraus resultierenden erhöhten Preise zu einer Begrenzung der Nachfrage führen.

Sind Preisinstrumente gerecht?

Einer Erhöhung der Flugpreise wird oft das Argument entgegengehalten, dadurch könnten sich weniger wohlhabende Menschen das Fliegen nicht mehr leisten, während die Wohlhabenden ihre Jet-Set-Gewohnheiten beibehalten würden. Die Branche wirbt seit langem mit der "Demokratisierung" des Flugverkehrs durch billige Preise. Dem steht allerdings die Tatsache gegenüber, dass immer noch mehr als 80% der Weltbevölkerung noch nie geflogen sind. Ein weiteres Argument bezüglich der Besteuerung ist der Umstand, dass eine massive Steuer-Ungerechtigkeit beim Vergleich verschiedener Verkehrsträger herrscht. So erhält der Luftverkehr zum Beispiel hohe indirekte Subventionen durch die Steuerbefreiung. Umweltökonomin Tone Smith möchte sich allerdings nicht in Debatten darüber verlieren, ob Arme durch Einzelmassnahmen wie die Erhöhung von Flugpreisen ausgeschlossen werden oder nicht. Vielmehr sei es generell notwendig, die Kluft zwischen Arm und Reich mittels anderer Massnahmen zu beseitigen.

Die Möglichkeit einer Vielfliegerabgabe (Frequent Flyer Levy)

Alethea Warrington von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Possible sieht in der Vielfliegerabgabe eine Möglichkeit, sowohl die Nachfrage zu reduzieren als auch die verbleibenden Flüge gerecht zu verteilen. Die Abgabe würde mit jedem zurückgelegten Flug oder jeder geflogenen Meile progressiv erhöht. Bei einer Umfrage im Vereinigten Königreich im Jahr 2018 war die Vielfliegerabgabe (oder Flugmeilenabgabe) die beliebteste Massnahme. Diese könnte immer noch mit einer Kerosinsteuer und einer Mehrwertsteuer auf Flugtickets kombiniert werden, um die Steuer-Ungerechtigkeit zu stoppen. Ein im Juni 2020 veröffentlichtes wissenschaftliches Paper kommt zum Schluss, dass "eine Vielfliegerabgabe im Vergleich zu einer Kohlenstoffsteuer fast doppelt so wirksam ist (d.h. die Hälfte des Wohlfahrtsverlustes bei gleicher Emissionsreduzierung), mit geringen Auswirkungen auf die unteren Einkommensquintile". Bisher gibt es erst Ideen für die Umsetzung auf nationaler Ebene. Zur Frage, wie Flugdaten auf global sicher beschafft und gemeinsam genutzt werden könnten, besteht noch Forschungsbedarf. 

Begrenzungen für Flüge und Flughäfen

Die Covid-19 Pandemie bietet auch abseits von Steuern eine Gelegenheit für grössere Veränderungen innerhalb der Flugindustrie. Der Ausbau der Flughafeninfrastruktur wird sich wahrscheinlich um Jahre verzögern und Hunderte von Flughäfen stehen vor dem Bankrott. Sie jetzt zur Schliessung zu drängen, kombiniert mit der Forderung nach einem Verbot von Kurzstreckenflügen, könnte eine echte Wirkung haben. Denn zwar hat die Beschränkung auf Kurzstreckenflüge allein keine grossen Auswirkungen auf das Klima, da vor allem Langstreckenflüge die meisten Emissionen verbrauchen. Doch die Forderung könnte dazu beitragen, unsere Denkweise zu ändern und damit den Luftverkehr auf längere Sicht zu reduzieren.

Bei Stay Grounden war man sich einig:  Wir brauchen sowohl Steuern als auch Grenzwerte. Und wir brauchen sie bald.