Basel, akte/ Ägyptens Tourismusindustrie wirbt mit Bildern surfender Sunnyboys und dem Slogan "Ägypten – wo alles begann". Seit dem Beginn der sogenannten Arabellion mit der Selbstverbrennung des tunesischen Strassenhändlers Mohamed Bouazizi im Dezember 2010 erscheint der Versuch, ein Image des von Unruhen und Unterdrückung geprägten Landes als unbeschwertes Touristenparadies aufzubauen, seltsam absurd und an der Realität vorbeizugehen.
Der Fotoessay "Revolution up, Tourism down" des ägyptischen Fotojournalisten Roger Anis illustriert gut, wie es an ehemaligen Touristenhochburgen wie den Pyramiden in Gizeh heute wirklich aussieht: Verzweifelte Strassenhändler jagen nach den wenigen verbliebenen zahlungskräftigen Touristen, die sich noch ins Land trauen. Vor den Pyramiden tummeln sich mehr Händler als potentielle Käufer, manche haben halbverhungerte Pferde dabei, auf die kaum jemand aufsteigen mag. Aufgrund der sinkenden Einkünfte aus dem Tourismus können viele ArbeiterInnen ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr decken, sie müssen in kleinere Unterkünfte ziehen oder ihre Tiere weggeben. Ganze Dörfer leiden unter dem ausbleibenden Besucherstrom. Und weil die Nachfrage immer geringer wird, steigt die Konkurrenz. Manche Botschaften warnen ihre BürgerInnen bereits vor aggressiven Strassenhändlern und raten von einem Besuch der berühmten Sehenswürdigkeiten ab. Die Folge dessen lässt sich leicht ausrechnen: Noch mehr Menschen bricht der Lebensunterhalt weg.
Entstanden ist der Bildessay von Roger Anis im Rahmen der Initiative "Reporting Change" von World Press Photo und Human Rights Watch. Zwischen 2012 und 2014 veranstalteten die beiden Organisationen gemeinsam eine Reihe von Workshops in Kairo, Casablanca und Tunis, zu denen sie lokale Fotografen und Redaktorinnen einluden, sich von Fachleuten in Technikfragen oder Storytelling schulen zu lassen. Mit der Idee im Hinterkopf, über Knowhow-Vermittlung und Netzwerke im Bereich des Bild- und Multimediajournalismus eine starke Community unabhängiger und eigenständiger Fachkräfte auszubilden und gleichzeitig den Austausch zwischen den Bürgern der einzelnen nordafrikanischen Staaten zu fördern, erhoffen sich World Press Photo und Human Rights Watch etwas zum demokratischen Wandel in Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko beizutragen. Entstanden ist dabei eine beeindruckende Sammlung lokaler Perspektiven auf den Wandel in Nordafrika.
Es ist nicht die einzige sozialkritische Arbeit, die der 28-jährige Fotojournalist Anis bisher vorgelegt hat. Im April dieses Jahres wurde er für eine Fotoserie über den aktuellen Kampf der ägyptischen Frauen um Mit- und Selbstbestimmung mit dem Thomson Reuters Foundation-Nokia Award ausgezeichnet. Er arbeitet als Bildredaktor bei der Kairoer Tageszeitung Al-Shorouk und arbeitet derzeit an einem weiteren Projekt über Strassenkinder und Frauen in Ägypten.