Streunerfreie Strassen für Feriengäste und Giro d’Italia
Am 16.Februar 2018 erhielten Tierschützer die Meldung von 30 vergifteten Hunden in der Stadt Sciacca, Provinz Agrigento in Sizilien, durch die am 9.Mai 2018 die Etappe Agrigento-Santa Ninfa des Radrennens Giro d’Italia führen soll. Mittlerweile ist die Rede von 145 gefundenen toten Hunden, die Dunkelziffer ist vermutlich weit höher. Man geht davon aus, dass die Tiere gezielt getötet wurden, um für das berühmte Radrennen die Strassen von Streunern zu säubern. Wie es scheint, wurden Giftstoffe eingesetzt, die nicht frei verkäuflich sind. Ähnliche Tötungsaktionen werden jedes Frühjahr zu Beginn der Feriensaison in ganz Süditalien beobachtet, vor allem in den Regionen Sizilien und Kalabrien, jedoch noch nie in dieser Grössenordnung. Die Kommunen versuchen, dieses nicht an die Öffentlichkeit durchdringen zu lassen, um ihr Image nicht zu schädigen.
Die Bürgermeisterin von Sciacca, Francesca Valenti erklärte, sie sei "zutiefst erschüttert und verbittert" und gibt vor, nichts von den Vergiftungen gewusst zu haben. Dass die Bürgermeisterin von einer gross angelegten Vergiftungsaktion nichts wusste, erscheint jedoch unglaubwürdig. Mittlerweile haben bereits Feriengäste ihren Urlaub im Ort abgesagt, es wurden die Website und Facebook-Seite der Gemeinde geschlossen und die Funktion, dort einen Kommentar zu hinterlassen deaktiviert, weil zu viele fassungslose Reaktionen von Bürgern und Urlaubern dort gepostet wurden. Ausserdem wurde gefordert, den Ort vom Giro d’Italia auszuschliessen.
Offiziell sind die Behörden für Kastrationen zuständig. Viele der Fördermittel werden jedoch veruntreut und die meisten Bürgermeister kümmern sich nicht um die Einhaltung der bestehenden Gesetze, die besagen, dass Streuner kastriert werden müssen und dass eine Mikrochip-Pflicht besteht. Auch private Hunde und Katzen werden oft nicht kastriert und der ungewollte Nachwuchs sowie kranke Tiere werden ausgesetzt, was das Strassenhunde-Problem zusätzlich verstärkt.
"Sciacca nur der letzte Fall von vielen"
Am 26.Februar 2018 gab es eine Demonstration in Sciacca mit mehr als 500 TeilnehmerInnen, die aus allen Teilen Siziliens in die Stadt gekommen waren, um gegen die Massenvergiftungen zu protestieren. Von den BewohnerInnen aus Sciacca nahm niemand daran teil, die Demonstration wurde hinter verschlossenen Vorhängen verfolgt. Über zehn Grossstädte Italiens (Rom, Neapel, Sorrent, Venedig, Mailand, Florenz, Ravenna Mantua, Foggia, Treviso, Genua, Livorno, Turin und Bari) zeigten sich solidarisch und demonstrierten zeitgleich ebenfalls wegen der Massenvergiftungen von Sciacca. Genau zum Zeitpunkt der Demonstrationen wurden in Licata, Provinz Agrigento, weitere Hunde vergiftet und viele Giftköder von Tierschützern gefunden. Nur Tage später wurden in Syrakus vier Hunde erhängt und in Paternò, Provinz Catania, weitere Tiere vergiftet.
Daraufhin berief der Präsident der Region Sizilien, Nello Musumeci, am 27.Februar 2018 einen Runden Tisch mit Politikern, Tierärzten und Tierschutzvereinen ein. Man sei auf der Suche nach den Personen, die die Giftköder ausgelegt haben. Tierheime sollten ausserdem nur eine kurze Etappe für die Streuner darstellen, Adoptionen sollte das Ziel sein. In Süditalien werden allerdings kaum Strassenhunde adoptiert, da sie in der Bevölkerung als minderwertig gelten. Grosse Hunde haben es besonders schwer, bevorzugt werden kleine Hunde oder Rassehunde. Tierschützer bemängeln, dass wesentliche Verbände und Personen zu dem Treffen nicht eingeladen waren oder nicht angehört wurden, die zu einer Verbesserung der Situation hätten beitragen können. Der Kern des Problems wurde bei diesem Treffen nicht thematisiert, die Kastration von Strassen- und auch Privathunden, die oft unkastriert frei herumlaufen und wieder auf weitere unkastrierte Hunde treffen.
Am 8.März 2018 gab es ein erneutes Treffen, hierzu Musumeci im Anschluss: "Wir haben ein Treffen mit allen Tierschutzverbänden abgehalten, weil das Problem der Strassenhunde gross und Sciacca nur der letzte Fall von vielen ist. Wir haben daher zwei Millionen Euro für die Sterilisation von circa 30’000 Hunden und Katzen in Sizilien bereitgestellt." Er werde sich im Palazzo d’Orléans zusammen mit seinen Stadträten und mit Journalisten treffen, um die Aktivitäten zu koordinieren und zu kommunizieren. Tierschützer fordern, dass die Ausführung der Kastrationen und die Verwaltung des dafür zur Verfügung gestellten Geldes kontrolliert werden. Der einzige Weg, dauerhaft die Population von Strassenhunden und -katzen zu kontrollieren sei die Kastration, wie in verschiedenen Studien nachgewiesen wurde und nicht die Tötung einzelner Tiere.
Hunden helfen verboten
In vielen Kommunen Siziliens wird versucht zu verbieten, Strassenhunde zu füttern, obwohl das gegen das italienische Tierschutzgesetz verstösst. Ein Zitat des Stadtrates Amedeo Alberto Falci: "Füttert sie nicht, dann vermehren sie sich auch nicht und sterben vor Hunger!" Ein Gesetz in den Provinzen Agrigento und Caltanisetta aus dem Jahre 2000, das es den Menschen verbietet, Strassentieren zu helfen, wurde Jahre später, am 3.11.2017, umgesetzt. Es besagt, dass man den Tieren weder in Notsituationen helfen noch sie in Sicherheit bringen darf. Die entsprechenden Behörden müssen informiert werden damit diese tätig werden, was aber in den seltensten Fällen geschieht.
Tierheime sind nicht ausreichend vorhanden, sie sind überfüllt, werden kaum kontrolliert und es fehlt an allem. Die Hunde werden oft in kleinen, völlig überfüllten Zwingern gehalten, die sie nicht mehr lebend verlassen. Es fehlt an medizinischer Versorgung, menschlicher Zuwendung und ausreichend Futter. Wenn überhaupt, gibt es minderwertiges Futter, damit der Gewinn der Betreiber nicht geschmälert wird. Die einzigen, die von dem System profitieren, sind die Betreiber solcher sogenannter "canili", die pro Tag und Hund bis zu 7 Euro von der Region bekommen, ein lukratives Geschäft. Kastrationen werden auch in den Tierheimen nicht durchgeführt, und es ist sogar beabsichtigt, dass die Hunde sich weiter vermehren, denn jeder Hund bringt den "canili"-Betreibern weiteres Geld. Adoptionen sind daher auch selten erwünscht und werden oft gezielt von den Betreibern unterbunden.
Die Region Sizilien stellte auch in der Vergangenheit Gelder für die Bekämpfung des "randagismo"(Streuner-Problematik) zur Verfügung, das jedoch nicht bei den Hunden ankam, sondern in dunklen Kanälen versickerte. Offiziell ist laut Tierschutzgesetz 281/1991 seit 1991 das Töten von Streunern in Italien verboten. Immer wieder wird gegen dieses geltende Gesetz verstossen. Streunende Hunde und auch Katzen werden gezielt gequält, vergiftet, verbrannt, erschlagen, aufgehängt, überfahren oder anderweitig getötet. Niemand übernimmt dafür die Verantwortung. Unschuldige Lebewesen, darunter auch Welpen, sterben so Jahr für Jahr auf grausame Art und Weise.