Subcomandante Marcos, Paco Ignacio Taibo II: Unbequeme Tote
Basel, 03.04.2010, akte/ Gemeinde La Realidad, autonomer zapatistischer Rebellenbezirk San Pedro de Michoacán, Rat der Guten Regierung: Um zehn Uhr morgens am 9. Februar 2005 kommen die Justizvertreter aller autonomen zapatistischen Rebellenbezirke zusammen, um eine Person zu verhören, die ganz offenbar verschiedenste Namen und Identitäten hat, auf keinen Fall den mexikanischen Justizbehörden übergeben werden will, eine mexikanische Offizierspistole, eine beträchtliche Summe an US-Dollar in bar sowie modernstes technologisches Gerät auf sich trägt. Das Satelliten-Telefon, meint der Verhaftete gegenüber den Justizvertretern, hätte er gebraucht, um seine Freunde über den Montes-Azules-Plan auf dem Laufenden zu halten. „Den Plan, die Privatisierung dieses Stückes Land zu erreichen, um es anschliessend zu verkaufen. Zuerst sollten wir die indigenen Gemeinden vertreiben, die dort lebten. Der Plan sah vor, dort ein Problem zu provozieren, um die militärische Besetzung des gesamten Gebietes zu rechtfertigen, um dann die Gegend menschenleer zu räumen. Unser Plan war erst, Drogen anzupflanzen und dann unter diesem Vorwand die Armee dort hineinzuschicken, aber das hat nicht funktioniert, weil ihr den Drogenanbau verbietet. Danach war der Plan, Waldbrände zu legen, aber das hat auch nicht geklappt, wegen dem Gesetz zum Schutz der Wälder. Dann war der Plan, einen Konflikt zwischen indigenen Gruppen zu provozieren […] aber das ist auch in die Hose gegangen, weil ihr beschlossen habt, diese Gemeinden umzusiedeln, und dann hatten wir keinen Vorwand mehr […] Viele Leute mit Geld und Macht sind an diesem Geschäft beteiligt. Ihre Vertreter sind vor ein paar Tagen mit Fox zusammengekommen, dort im lakandonischen Urwald. Deshalb waren er und seine Frau überhaupt hierher gereist. Dass die Reise der Förderung des Ökotourismus dienen sollte, war eine Lüge. Sie sind gekommen, weil die Mächtigen ihn unter Druck setzen, dass er schnell alles privatisieren soll, damit sie selbst das Land kaufen und Geschäfte damit machen können […] Genauer gesagt dient das Satellitentelefon dazu, dass ich einen Mann im engen Umfeld von Fox anrufen kann, jemanden, der ihm sehr nahe steht, während der Präsident jetzt seine Europatour macht. Ich war dafür verantwortlich, zu überlegen, wie wir vorgehen könnten, um uns das Land anzueignen und auch noch ein paar Tierchen zu besorgen, die sie im spanischen Königshaus haben wollten. Wenn ich die dann hätte, sollte ich in Spanien anrufen, aber jetzt werden sie wohl noch eine Weile auf den Anruf warten.“
Nein, das ist nicht einfach irgend ein neues tourismuskritisches Pamphlet, sondern eine Geschichte direkt aus der Realität. Über die Machenschaften von Regierungsverantwortlichen und ihren Handlangern bei der Privatisierung von Land im mexikanischen Bundesstaat Chiapas und über die Rolle, die der ominöse „Ökotourismus“ dabei spielt. Es ist die „Innensicht“ von einem, der sie zur Genüge aus eigener Anschauung kennt, nämlich Subcomandante Marcos. Der wortgewandte Sprecher der zapatistischen Aufständischen hat mit dem bekannten mexikanischen Krimiautor Paco Ignacio Taibo II einen Roman verfasst. Das „vierhändige“ Werk erschien in wöchentlichen Vorabdrucken in der grössten linken Tageszeitung des Landes und liegt jetzt als Buch auf Deutsch vor. „Unbequeme Tote“ ist eine atemberaubende Geschichte von Ermittlungen über Machtmissbrauch, Menschenrechtsverletzungen und geheimnisvolle dunkle Geschäfte im lakandonischen Urwald. Dabei erfährt die Leserschaft viel über Neoliberalismus, Cliquenwirtschaft und Korruption, gegen die die ZapatistInnen ankämpfen – zur Zeit mit einer landesweiten Kampagne zur Stärkung neuer basisdemokratischer Formen der Politik.
Verlag Assoziation A, Berlin 2005, 239 Seiten, SFr. 28.50, € 16.80, ISBN 3-935936-39-7