Subventionierung des Tourismus – Wer trägt die sozialen Kosten?
Schlanker Staat, Abbau der sozialen Normen und Deregulierung sind in den immer stärker verschuldeten Industriestaaten wie der Schweiz zu beliebig anwendbaren und politische Profilierung versprechenden Schlagwörtern erkoren. Das Einmaleins der Argumentation lautet wie folgt: Werden die Abgaben an die öffentliche Hand verringert, Sozialleistungen und Normen im Bereich des Umweltschutzes abgebaut und bundesstaatliche Kompetenzen abgeschwächt, so kann sich die Wirtschaft aus der Rückenlage befreien und die anfallenden sozialen Kosten dann bei besserer Konjunkturlage wieder mittragen. Die Einfachheit dieses Weltbildes scheint verblüffend einleuchtend, dennoch erweist es sich bei näherer Betrachtung als fataler Irrweg. Gerade der Schweizer Volkswirtschaft wird eine hohe Wettbewerbsfähigkeit in Europa attestiert und die an der Börse kotierten Unternehmen erwirtschaften durchaus erkleckliche Gewinne. Auf der Strecke bleiben kleine und mittlere Unternehmen und natürlich die ArbeitnehmerInnen, die durch die Steigerung der Produktivität als erste über die Klinge springen müssen. Gänzlich widersprüchlich wird die erwähnte Argumentationslinie, wenn im Windschatten der Deregulierungsrufe einzelnen Gewerbe‑ und Dienstleistungszweigen wirtschaftliche Schutzmäntelchen umgehängt werden. Jüngstes Beispiel ist die Verabschiedung eines Mehrwertsteuer‑Sondersatzes für die Schweizerische Hotellerie (3,5 Prozent statt 6,5 Prozent), welche dem defizitären Staatshaushalt somit rund 140 Millionen Franken pro Jahr entzieht. Ein Betrag, der über kurz oder lang bei den Sozialleistungen, dem Umweltschutz oder der Forschung eingespart werden muss. Überhaupt ist die staatliche Förderung im Tourismusbereich nicht unwesentlich: So werden mit der staatlichen Finanzspritze (zum Beispiel Investitionshilfegelder) touristische Infrastrukturvorhaben unterstützt, wie Strassen (auch nicht selten touristisch genutzte Alp‑ und Forststrassen), Parkhäuser, Luftseilbahnen etc. Neuerdings sind auch Schneekanonen (unter Auj7agen) subventionierbar! Die Steuergelderfliessen in den meisten Fällen, ohne dass Kriterien der nachhaltigen Entwicklung und des Landschaftsschutzes einbezogen werden. Dies mutet umso sonderbarer an, als besonders im Skitourismus ein beinharter Konkurrenzkampf zwischen den grossen Rummelzentren auszumachen ist, der bei seit Jahren stagnierenden Nachfragezahlen weiterhin auf die Karte des quantitativen Ausbaues setzt, nicht selten auf ‑notabene nie in Rechnung gestellten ‑ Kosten von Landschaft und Umwelt. In Samnaun GR beispielsweise wurde die Kapazität des Skigebietes innert fünf Jahren verdoppelt, zwei parallele Zubringerbahnen mit ihren gigantischen «Containments» und Trägermasten warten auf die wenigen Spitzenauslastungen pro Jahr. Der unaufhörliche Infrastrukturausbau in den Schweizer Alpen hinterlässt nicht nur leerstehende oder unausgelastete Bauten und Anlagen, sondern beeinträchtigt auch die Attraktivität der Tourismusorte im Sommer. Staatliche Förderung ist schliesslich als Begriff schon zweifelhaft, geht doch der Blick auf mögliche Benachteiligte von vorteilverschaffenden Massnahmen (sei es via Subventionen, sei es via Deregulierung) zu oft verloren. Gerade am Beispiel des Wintertourismus zeigt es sich, dass eine fehlende Verankerung in anderen bislang vernachlässigten sozioökonomischen Strukturen (Alpwirtschaft, Kleingewerbe, Handwerk, Situation der Durchgangsdörfer u. a.) häufig als negativ erweist. Gegen eine Subventionierung des Tourismus ist somit nur dann nichts einzuwenden, wenn sie das wichtigste Kapital, die Landschaft mit ihren natürlichen und kulturellen Ressourcen, schützt und stärkt, ‑ oder anders ausgedrückt ‑ die sozialen Kosten in die wirtschaftliche Gesamtbetrachtung mit einbezieht.
Raimund Rodewald, Geschäftsleiter
SL Weitere Informationen: Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege, Raimund Rodewald, Dr. phil. Biol., Geschäftsleiter, Hirschengraben 11, 3011 Bern, Tel. 0311312 20 01