Rezension und Empfehlung von Literatur glObal, Arbeitsgruppe Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika - EvB

Arche Verlag, Zürich-Hamburg 2004
125 S., EUR 17.00; SFr 30,20
ISBN: 3-7160-2332-9

Mitten in Berlin zwischen dem Tränenpalast und dem Brecht-Theater taucht er überraschend auf: der Damâwand, ein 7000 Meter hoher Berg hinter Teheran mit seiner schneebedeckten Spitze. Immer wieder erscheint er und verschwindet ebenso geheimnisvoll. Nur für die Erzählerin ist er sichtbar. Die Bilder überschneiden sich: Bilder aus der Grossstadt Berlin und Bilder aus dem Iran. Zwei Blicke, zwei Wahrheiten überlagern sich. Das ist die Kernaussage der ersten Geschichte „Sediment“ von Sudabeh Mohafez.
Darin spiegelt sich ihr eigenes Leben. 1963 als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters geboren verbringt sie ihre Kindheit und ersten Jugendjahre in Teheran. 1979 kurz vor der iranischen Revolution wandern ihre Eltern mit ihr nach Berlin aus. Die ersten Jahre in diesem völlig neuen Kulturkreis sind für sie nicht einfach. Sie studiert Musik, Anglistik und Erziehungswissenschaft und arbeitet sieben Jahre lang als Leiterin in einem Berliner Frauenhaus. Eng mit ihren Lebenserfahrungen sind die Themen der vorliegenden auf deutsch geschriebenen Geschichten verbunden: Da sind einmal die zwei Kulturen, die zwei Welten, die in ihrer eigenen Person zusammen treffen. Und da ist das bedrängende Thema der Gewalt von Männern, unter der besonders Frauen und Kinder zu leiden haben. Die Autorin beschreibt durchwegs nicht einfach ohnmächtige Opfer, sondern Frauen und Kinder, die stark sind, sich wehren wollen und einen Teil in sich tragen, der mit aller Gewalt nicht vernichtet werden kann. So etwa in der längeren Geschichte „Vor Allahs Thron“, in der eine iranische Putzfrau in Teheran, der gekündigt wurde, noch einmal an ihren Arbeitsort zurückkehrt. Sie will ihre deutsche Arbeitgeberin und deren Sohn vor den gewalttätigen Ausbrüchen des deutschen Mannes retten.
Die Geschichten sind in ihrer schlichten bildhaften Sprache und ihrem Blick für kleine Details wunderbar. Vielleicht kann man sich fragen, ob sie manchmal nicht in die Nähe von abgestandenen Clichés. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Autorin teilweise von 25 Jahre zurückliegenden Erinnerungen ihres Lebens im Iran erzählt. Im Übrigen kann man Sudabeh Mohafez nicht als iranische Autorin bezeichnen, sie aber auch nicht einfach als Deutsche vereinnahmen. Vielmehr schlägt sie in ihren Geschichten eine Brücke zwischen ganz verschiedenen Welten und Erfahrungen.

Michael Schwarz

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