Südafrika: Der blasse Regenbogen
Geht er? Geht er nicht? Wurde er entlassen, oder hat er gekündigt? Solche Fragen um die Person von Jacob Maroga beschäftigten die Politik und die Medien, als ich mich Anfang November in Johannesburg aufhielt. Die Diskussionen um Maroga, seit 2007 Geschäftsführer des Elektrizitätskonzerns Eskom, hätten mich wohl nur am Rande interessiert. Doch in den Auseinandersetzungen um den schwarzen Manager kamen sehr deutlich die Spannungen zum Ausdruck, die immer noch zwischen Schwarz und Weiss in Südafrika bestehen. Die viel beschworene Regenbogennation – ein Südafrika, das die Rassenfrage hinter sich gelassen hat – scheint noch weit von ihren Zielen entfernt.
Staatskonzern in Nöten
Der Staatsbetrieb Eskom produziert 95 Prozent des im Lande benötigten Stroms. Anfang 2008 kam es landesweit zu unzähligen Stromausfällen. Die Wirtschaft erlitt dadurch Milliardenverluste. Die Firma hatte jahrelang zu wenig in die Modernisierung ihrer Anlagen und den Bau von neuen Kraftwerken investieren können. Die Regierung versäumte es jahrelang, dafür ausreichend Kapital bereitzustellen. Im Zuge der Krise kam es dann zu Spannungen zwischen dem Verwaltungsrat der Firma und dem Management.
Eskom braucht auch heute noch dringend mehr Investitionsmittel. Ausserdem fehlt es dem Unternehmen an genügend Einnahmen, weil viele Haushalte ihre Stromrechnung nicht bezahlen können oder wollen. Während der Apartheid galt es in den schwarzen Quartieren als Kampfform, die Stromrechnung zu ignorieren. In den letzten Jahren hat Eskom aufgrund der schwachen Einnahmen die Tarife massiv angehoben. Und für die nächsten Jahre forderte der Konzern eine weitere Erhöhung um 45 Prozent. Erst nachdem der ANC interveniert hatte, wurde die geplante Erhöhung auf 35 Prozent reduziert.
Der Streit zwischen dem Verwaltungsrat und dem Management eskalierte im Oktober. Maroga soll dem weissen Verwaltungsratspräsidenten Bobby Godsell seinen Rücktritt angeboten haben. Das mindestens behauptete Godsell. Er habe dem dann auch zugestimmt. Maroga weigerte sich jedoch zu gehen. Er erklärte, Godsell habe ihn rausgeschmissen.
Godsell fühlte sich in der Folge von der Regierung allein gelassen und trat zurück. Obwohl ihn die zuständige Ministerin zum Bleiben aufforderte, liess er sich nicht umstimmen. Und auch Maroga ist jetzt nicht mehr Geschäftsführer, wie der für Godsell kommissarisch eingesetzte Vorsitzende Mpho Makwana Mitte November erklärte.
Der Streit um die Eskom-Führung hat gezeigt, dass das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiss nach wie vor stark belastet ist: So beschimpfte die Jugendliga der Regierungspartei ANC sowie die schwarze Lobbyorganisation Black Management Forum (BMF) Godsell als Rassisten. Das BMF behauptete, Verwaltungsräte öffentlich-rechtlicher Gesellschaften seien «Schlachthäuser» für schwarze Manager. Weisse Verwaltungsräte würden auch fünfzehn Jahre nach dem Machtverlust Einfluss ausüben. Doch so einfach ist die Sache nicht.
ANC im Zwielicht
Zu diesen Vorwürfen schwieg die Regierung. Die Minengewerkschaft wie auch Gwede Mantashe, der Generalsekretär des ANC, nahmen Godsell in Schutz und verwiesen auf seine positive Rolle während der Demokratisierung. Staatspräsident Jacob Zuma versuchte die beiden Kontrahenten zu überreden, weiter zusammenzuarbeiten. Das sei typisch für den Präsidenten, der Konflikten gerne aus dem Weg gehe, hiess es daraufhin in den Medien. Es wurde auch gemunkelt, Zuma sei mit der (weissen) Ministerin Barbara Hogan unzufrieden, weil sie Godsell unterstützt hatte.
Dabei darf das Interesse des ANC an Eskoms Expansionsplänen nicht übersehen werden. So besitzt der ANC über das Konsortium Chancellor House, das sich aus verschiedenen südafrikanischen Energie- und Informatikunternehmen zusammensetzt, einen 25-prozentigen Anteil an der Hitachi Power Africa. Dieses Unternehmen wiederum beliefert die staatliche Eskom mit Dampfgeneratoren. Ob Hitachi dafür der günstigste Lieferant ist und ob es vielleicht in Indien oder China billigere – oder bessere – Produkte gäbe, sind Fragen, die seither in den Medien gestellt werden.
Nach wie vor sind die Geschäfte des ANC und der politischen Elite ein heikles Thema. So hatte die südafrikanische Regierung Ende der neunziger Jahre Milliarden US-Dollar für den Kauf neuer Waffensysteme – Flugzeuge, Helikopter, Schiffe, Panzer und Raketen – ausgegeben. Dies wurde mit Kompensationsgeschäften gerechtfertigt, die rund 64 000 Arbeitsplätze hätten schaffen sollen. Die Regierung wurde jedoch von KritikerInnen der Korruption und des Nepotismus beschuldigt. LieferantInnen hätten Regierungsmitglieder und Militärangehörige bestochen. Der ANC soll ebenfalls profitiert haben (siehe WOZ Nr. 38/06). Präsident Thabo Mbeki unterdrückte jedoch jede Untersuchung.
Nicht von ungefähr kam denn auch im Herbst erneut das Gespräch auf diesen Skandal, als ein weiteres Waffengeschäft in die Kritik geriet. Ein Minister und ein General – beides ANC-Mitglieder – sollen an einer Firma beteiligt sein, die 2004 am geplanten Kauf eines Airbus A400M für die südafrikanische Luftwaffe haben mitverdienen wollen. Anfang November erklärte ein Regierungssprecher allerdings, der Kauf sei wegen der stets gestiegenen Kosten annulliert worden.
Seit dem Ende des Apartheidregimes von 1994 ist die Zahl schwarzer MillionärInnen rasant gewachsen. Gleichzeitig haben auch die Korruptionsfälle zugenommen. In Südafrika spricht man von weissen «Godfathers» (PatInnen), die nach dem Machtwechsel «Geschenke» an einflussreiche Schwarze verteilten. Ein Abkommen zwischen dem Apartheidregime und dem ANC Anfang der neunziger Jahre wird von einigen als Kompromiss gesehen: Die weisse Elite habe erkannt, dass nur das Ende der Apartheid, und damit die politische Machtübernahme durch die schwarze Mehrheit, Neuinvestitionen anlocken werde. Ein Teil der schwarzen BefreiungskämpferInnen sah andererseits die Chance, sich ihre persönliche Zukunft abzusichern.
Allerdings kann der ANC nicht generell als korrupt bezeichnet werden. Die Partei ist heterogen und verfügt über verschiedene Flügel. Ausserdem führt der ANC die Regierung nicht allein, sondern in einer engen Koalition mit dem Gewerkschaftsbund Cosatu und der Kommunistischen Partei.
Innerhalb des ANC gibt es zudem immer wieder persönliche Konflikte wie etwa zwischen dem früheren Präsidenten Thabo Mbeki und Cyril Ramaphosa. Ramaphosa hatte ich in Simbabwe kennengelernt, als er Generalsekretär der südafrikanischen Minenarbeitergewerkschaft war. Später traf ich ihn in Nordirland. Als damaliger ANC-Generalsekretär beriet er irische Organisationen bei ihren Friedensbemühungen. Die Mbeki-Ramaphosa-Auseinandersetzung, die mit Ramaphosas Rückzug in die Wirtschaft endete, zeigt eine Konfliktlinie innerhalb des ANC auf. Da sind zum einen die ExilantInnen, die während der Apartheid vom Ausland aus gegen das Regime kämpften, und andererseits jene, die sich unter dem Banner der United Democratic Front (UDF) im Land selber für die Befreiung einsetzten. Der Stil der beiden Gruppen war grundverschieden: Die ExilantInnen waren straff hierarchisch organisiert, während die UDF zu offenen Debatten ermutigte. Als der ehemalige Exilant Thabo Mbeki zum Staatspräsidenten gewählt wurde, war schon absehbar, dass er das Parlament marginalisieren würde.
Zuma in den Siedlungen
Seit Mitte des Jahres finden in Südafrika öfters Demonstrationen in armen Gegenden statt, wo die Menschen bessere staatliche Dienstleistungen, niedrigere Wasser- und Elektrizitätspreise sowie Arbeitsplätze fordern. Meistens ertönen die Proteste in Hüttensiedlungen in der Nähe von Städten, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist.
KommentatorInnen beurteilen die Demonstrationen, so paradox das klingt, als Ausdruck einer erfolgreichen Infrastrukturpolitik. So sei die Zahl der Haushalte, die über Elektrizität und fliessendes Wasser verfügen, seit 1994 enorm gestiegen. Diejenigen, die jetzt protestieren, stehen noch auf den Wartelisten für die Anschlüsse. Die Regierung nimmt die Proteste ernst und schickt führende Parteimitglieder, um Beschwerden gegen korrupte oder inkompetente BeamtInnen zu untersuchen. Selbst Präsident Zuma fuhr in eine der betroffenen Siedlungen und wetterte dort gegen unzulängliche Dienstleistungen.
Dank der offiziellen Politik des Black Economic Empowerment – der staatlichen Unterstützung für den wirtschaftlichen Aufstieg der Schwarzen – wuchs die schwarze Mittelklasse in den letzten Jahren rapide. Inzwischen befindet sich die geballte politische und wirtschaftliche Macht in den Händen einer relativ kleinen Gruppe Schwarzer – und natürlich weiterhin in denen der weissen Elite.
Die neuen MachthaberInnen sind über Freundschaften, Partei- aber auch Familienbeziehungen vielfach miteinander verbunden. In allen wichtigen staatlichen Gremien und Gesellschaften (Eskom ist nur ein Beispiel) stellen sie heute eine Mehrheit in den Aufsichtsorganen. Der Rest der schwarzen Bevölkerung hat davon jedoch wenig: Noch immer muss laut der Weltbank ein Drittel der Bevölkerung mit höchstens zwei Franken pro Tag auskommen.
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Südafrika in Zahlen
⇒ Bevölkerung: 48,8 Millionen (Rund achtzig Prozent Schwarze)
⇒ Fläche: 1,2 Millionen Quadratkilometer (rund dreissig Mal die Fläche der Schweiz)
In einem Referendum sprachen sich 1992 68,7 Prozent der alleine stimmberechtigten weissen Bevölkerung für die Abschaffung der Apartheid, der Rassentrennung, aus. In der Folge wurden alle Gesetze der Rassentrenung aufgehoben.
Nach über achtzig Jahren Kampf gegen die Apartheid gewann 1994 die Partei Afrikanischer Nationalkongress ANC die Wahlen. Der ANC-Führer Nelson Mandela wurde Präsident. Die Partei stellt in Koalition mit dem Gewerkschaftsdachverband Cosatu und der Kommunistischen Partei bis heute die Regierung. Auf Mandela folgten als Präsidenten Thabo Mbeki und Jacob Zuma.
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Ruth Weiss
Die 1924 in Fürth bei Nürnberg geborene Ruth Weiss berichtet seit Langem für die WOZ aus und über Afrika, wohin sie 1936 mit ihrer Familie emigriert war. Die Journalistin und Schriftstellerin lebte bis 1966 in Südafrika (wo sie gegen das Apartheidregime kämpfte) und berichtete danach aus dem damaligen Rhodesien (später Simbabwe) über den Unabhängigkeitskampf der schwarzen Bevölkerung. 1968 zwang sie das weisse Regime von Ian Smith zur Ausreise; fast zur gleichen Zeit entzog ihr die südafrikanische Regierung den Pass. Bis 1970 arbeitete Weiss bei der britischen Tageszeitung «The Guardian» in England, danach arbeitete sie in Sambia als Wirtschaftsredaktorin bei der «Times of Zambia» und als Korrespondentin für die «Financial Times». Von 1975 bis 1978 lebte sie in Deutschland; anschliessend arbeitete sie als Journalistin in Simbabwe. Anfang der neunziger Jahre kehrte sie nach England zurück; heute lebt sie wieder in Deutschland.
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Dieser Beitrag erschien in der Wochenzeitung vom 17. Februar 2010. Zusammen mit einer Auswahl weiterer spannender Beiträge ist er online auch zu lesen auf www.woz.ch; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung