Sundarbans, Indien/Bangladesh: Bedroht durch eine Flutwelle von «Mega-Ökotourismus-Projekten»
10’000 Fischer mussten anfangs März 2004 die Insel Jambudwip im indischen Bundesstaat West Bengalen verlassen ohne Aussicht, jemals wieder in ihre Fanggründe zurückkehren zu können. Traditionellerweise lebten sie während der fischreichen Saison von Oktober bis März auf der Insel, wo sie ihren Haupterwerb erwirtschaften konnten. Nun wurden die Fischer des „encroachment“, der illegalen Landnahme, beschuldigt; ihre Hütten und Einrichtungen zum Trocknen der Fische wurden niedergebrannt, kaum hatten sie die Insel verlassen. Angestellte der staatlichen Waldbehörde haben seither den Zugang zur Insel abgeriegelt und Wachttürme erstellt. Vertrieben wurden die Fischer, um millionenschweren Infrastruktur- und Tourismuserschliessungen Platz zu machen.
Die kleine Insel Jambudwip liegt am Rande der Sundarbans, des grössten heute weltweit noch existierenden Mangrovenwaldes, der sich im Gangesdelta über ein Gebiet von 10’000 Quadratkilometern erstreckt. 1997 hat die UNESCO die Sundarbans zum Welterbe erklärt. 40 Prozent des Gebietes gehören zum indischen West Bengalen, 60 Prozent zum heutigen Bangladesh. Die von Jambudwip vertriebenen Fischer stammen, wie die meisten BewohnerInnen der westbengalischen Sundarbans, aus Familien, die bei der Teilung 1947 von dem damals geschaffenen Ostpakistan nach Indien flüchten mussten. Sie leben in äusserst karger Subsistenzwirtschaft, von der Fischerei und dem Ackerbau, der aufgrund der salzhaltigen Böden nur wenig Ertrag abwirft. Wovon sie in Zukunft leben sollen, wenn ihnen der Zugang zu den fischreichen Fanggründen, die ihren Haupterwerb lieferten, versperrt wird, ist völlig ungewiss. „Wenn die Fischer, welche die Insel nur während der Saison nutzten, als „encroacher“ beschimpft werden, wie sollen dann die Hoteliers genannt werden, die künftig das ganze Jahr über die Insel bewohnen wollen?“, wetterte der angesehene Direktor der „Rangabelia Tagore Society“ von Kalkutta, Tushar Kanjilal, im Interview mit dem Magazin „The Week“, das anfangs März 2004 über die Widerstandsbewegung gegen die Vertreibung der Fischer berichtete. Unbeirrt von solchen Protesten hegen die Regierungen in Indien und Bangladesh weiter ihre grossen Pläne für die Sundarbans.
In dem zu West Bengalen gehörenden Teil soll für 200 Millionen US Dollar eine neuartige „Mega-Ökotourismus“-Anlage entstehen: Die indische Investoren-Gruppe „Sahara“ plant ein „Flottel“ – ein schwimmendes Tourismusresort mit Golfplätzen und Strassen mitten durch die ökologisch fragilen Mangrovensümpfe sowie einem Zoo für Bengalische Tiger, die in den Sundarbans ihr letztes Rückzugsgebiet gefunden haben. Tausende von Touristen werden mit Schnellbooten durch die ökologisch sensiblen Gebiete preschen, warnte Joy Dasgupta, Anthropologe und Spezialist für Umweltrecht an der Universität Kalkutta, in seiner Rede auf dem Weltsozialforum (WSF) in Mumbai. Von den Plänen seien zahlreiche Fischerdörfer direkt betroffen, noch aber wären sie nicht einmal über die Ökotourismusvorhaben orientiert, geschweige denn um ihre Meinung gefragt worden.
In dem zu Bangladesh gehörenden Teil der Sundarbans führt die Asiatische Entwicklungsbank mit Unterstützung unter anderem der holländischen und britischen Entwicklungszusammenarbeit sowie Geldern aus dem Umweltfonds der Weltbank (GEF) für 77,5 Millionen US Dollar ein Grossprojekt zur „Erhaltung der Biodiversität“ aus. Das Ressourcenschutzprojekt sieht sowohl „Ökotourismus“ wie Gas- und Ölförderungen im grossen Stil vor. Der Wirtschaftsexperte und Sprecher der Nichtregierungsorganisation „Action Aid Bangladesh“, Ziaul-Hoque Mukta, legte auf dem Weltsozialforum in Mumbai dar, wie die Regierung Bangladeshs nicht nur durch die grossen Finanzinstitutionen, sondern auch durch die Forderungen der Industrieländer, insbesondere der EU, im Rahmen der laufenden Dienstleistungsverhandlungen (GATS) bei der Welthandelsorganisation massiv unter Druck geraten sei, den Markt für „Ökotourismus“ zu öffnen. /plus
Quellen: The Week 9.3.2004; Basler Zeitung 25.2.2004; Fact Sheet: International Financial Institutions Initiatives in Sudarban (Bangladesh Part), World Social Forum Mumbai 2004; Beiträge von Joy Dasgupta, West Bengal National University of Juridical Sciences, Kolkata, und Ziaul-Hoque Mukta, Action Aid Bagladesh, für die Tourism Interventions auf dem Weltsozialforum, 18.1.2004, Mumbai, in: Towards Democratising Tourism, Understanding Development through Tourism: A critique & strategising alternatives, auf www.akte.ch