Am Anfang waren wunderschöne Worte: «Wir sind im Zeitalter der Nachhaltigkeit und keine Destination steht wie die Schweiz für diesen umsichtigen, ressourcen- und umweltschonenden Zeitgeist.» Damit lancierte Schweiz Tourismus die Swisstainable-Nachhaltigkeitsstrategie. Ihr Ziel: «Gemeinsam mit der gesamten Schweizer Tourismusbranche eine wirkungsvolle Bewegung starten mit der Vision, die nachhaltigste Destination der Welt zu werden.» 

Ein visuelles und verbales Wirrwarr 

Zuerst muss ein Missverständnis geklärt werden: Swisstainable ist kein Zertifikat. Swisstainable ist ein Signet für nachhaltigen Tourismus in der Schweiz. Schweiz Tourismus, die das Signet in die Welt gesetzt hat, spricht von der «Nachhaltigkeitsbewegung Swisstainable». Darum stehen auch der Swisstainable Veggie Day und My Swisstainable Journey unter diesem Signet. Alle Betriebe, die sich dieser Bewegung anschliessen und sich am Programm beteiligen, dürfen das Signet Swisstainable tragen. Und hier beginnt das Durcheinander: Dieses Programm wirkt wie eine Zertifizierung. Es unterteilt die Anbietenden in Level I, II und III. Level II und III erhält nur, wer ein anerkanntes Zertifikat vorweisen kann. Dazu werden Zertifikate gewissermassen zertifiziert. Fragt sich, wie kontraproduktiv es ist, dass das Signet als Zertifikat wahrgenommen wird. 

Aufs Level I hingegen kommt man auch ohne Zertifikat. Es reicht, wenn die Betriebe angeben, dass «sie sich in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln möchten» (Swisstainable Level I – committed). Manchen ist das zu niederschwellig. Sie geben Greenwashing-Alarm und finden, Bequeme kämen allzu leicht zu einer Art Label, denn man könne Level I und Level III visuell fast nicht auseinanderhalten.

Eine Kritik: Die verschiedenen Signet-Varianten unterscheiden sich visuell zu wenig. 

Die tiefe Schwelle ist Absicht, aus zwei Gründen: Zum einen soll Level I den Einstiegskick geben. Wer das Level erreicht hat, will höher raus. So käme eine Aufwärtsbewegung in die Bewegung. Zum andern fällt auf, dass überproportional viele grosse, respektive kapitalkräftige, Unternehmen sich ein Zertifikat leisten. Der einfache Einstieg erlaubt es auch kapitalschwachen, kleinen Betrieben ohne CSR-Verantwortliche am Programm teilzunehmen.

Ein Lob: Das Level I bis Level III-Konzept überzeugt theoretisch. Es kommt auf die Umsetzung drauf an.  

Wer die Auswahl «anerkannter Nachweise» mit jener unseres Labelguides vergleicht, sieht, dass für Level III teilweise die gleichen Labels anhand gleicher Kriterien ausgewählt werden. Wenn auch mit Ausreissern: Weshalb etwa die GEO-Zertifizierung für Golfplätze in der obersten Kategorie gelandet sind, erschliesst sich nicht. Bei dieser ist «minimaler, klimaorientierter Düngereinsatz» und «punktueller Einsatz von Herbiziden» erlaubt. Bio ist das nicht. 

Abschliessend lässt sich die Umsetzung noch nicht beurteilen: Ob die Mindestansprüche durchgesetzt werden, zeigt sich erst nach 24 Monaten. Denn so viel Zeit haben die Betriebe auf Level I, um ihre drei Einstiegsmassnahmen zu realisieren.  

Eine Handlungsempfehlung: Liebe Reisende achtet auf das Label. Damit unterstützt Ihr eine Schweiz auf dem Weg Richtung Nachhaltigkeit.  

Das Ziel: Nachhaltigkeitsleaderin 

Das Ziel der Schweizer Touristikerinnen und Touristiker ist klar: Sie wollen «nachhaltigste Destination der Welt werden». Dies hat sogar der Bundesrat in seiner Tourismusstrategie festgeschrieben. Nur wie misst man das? Schweiz Tourismus und der Schweizer Tourismus-Verband haben sich neun Ziele gesetzt. Viele betreffen die Kommunikation, das Marketing und die Schulung. Vier inhaltliche Ziele sind: 

  1. Im Jahr 2023 hätten insgesamt 4’000 Betriebe Swisstainable-Partner sein sollen – dieses Ziel wurde auf 2024 verschoben. Aktuell sind rund 1’800 Betriebe beim Programm angemeldet: 40% in Stufe I, je 10% in Stufe II und III und 40% sind in Bearbeitung.
  2. Ab 2023 können sich auch Destinationen zertifizieren lassen. Das ist der Fall. 
  3. Ab 2023 werden die Flugemissionen der ST-Mitarbeitenden durch eine Kombination von 50% Sustainable Aviation Fuel (SAF) und 50% Kompensation über Projekte von myclimate reduziert. Ziel erreicht. Doch wie nachhaltig sinnvoll ist es, Fernmärkte zu bearbeiten, in die die Mitarbeitenden fliegen und aus denen dann Tausende ohne Kompensation zu uns fliegen?  

  4. Die Schweiz erreicht 2023 die Top 3 der wichtigsten internationalen Nachhaltigkeitsrankings. Dieses Ziel wurde leider verfehlt: 2022 und 2021 sind wir in einem Ranking von Platz 1 auf Platz 2 zurückgefallen, in einem zweiten von Platz 3 auf Platz 9 und in einem dritten Ranking von Platz 10 auf Platz 6 aufgestiegen.

Bitte mehr Ehrgeiz 

Es besteht ein Gerangel um den Pokal in der Show: Wer ist die Nachhaltigste auf dem ganzen Planeten? Auch andere Länder wollen ihn, etwa Österreich, Dänemark oder Finnland. Und dies mit ambitionierten Zielen. So sollen in Dänemark per 2030 70 Prozent der Betriebe zertifiziert sein.  

Eins ist bei diesen Ländern gleich: An der Grenze ist Schluss mit Nachhaltigkeit. Kein Land will auf die Fernmärkte verzichten. Kein Land setzt der Tourismuswirtschaft Klimaziele (z.B. Reduktion der Treibhausgase um 50% bis 2030 – inklusive Luftverkehr). Dabei ist hier entschlossenes Handeln am dringendsten, fallen doch bis zu 85 Prozent der Treibhausgasemissionen einer Reise bei An- und Abreise an.  

Rafael Matos-Wasem, Tourismusprofessor im Wallis in «Le Temps» fragt zu Recht: «Reicht der Klimanotstand nicht auch aus, um den Tourismus neu zu denken und wirklich eine ausreichend ambitionierte Swisstainable-Strategie auf die Beine zu stellen? (…) Wir haben nicht mehr das Recht zu prokrastinieren.»