Tauwetter in Burma
Basel, 14.02.2012, akte/
Am 1. April finden in Burma Wahlen statt, unter anderem kandidiert Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Was bedeutet das für Sie?
Es ist toll, dass Aung San Suu Kyi und die National League for Democracy NLD mit grossem Enthusiasmus mitmachen. Das gibt Anlass zu ganz grossen Hoffungen. Wir hätten nie gedacht, dass es einmal soweit kommen könnte. Aung San Suu Kyi ist zurzeit für die NLD an Wahlveranstaltungen an verschiedenen Orten unterwegs. Diese Freiheit, dieses Gefühl von Demokratie war noch nie so spürbar. Das ist wirklich etwas Neues.
Vertraut denn die Bevölkerung auf diese Öffnung? Sie hat ja schon mehrmals kurzfristige "Öffnungen" erlebt, vor Phasen neuer Repression. Haben die Leute nicht Angst, jetzt zum Beispiel an den verschiedenen Veranstaltungen als NLD-Anhänger fichiert zu werden?
Man hat schon so einige Erfahrungen damit gemacht, beobachtet zu werden. Aber die Bevölkerung hofft jetzt auf diese Wende. Sie vertraut auf die Versprechen der Regierung, darauf, dass diese jetzt wirklich die Bevölkerung gewinnen möchte. Gestern habe ich ein Youtube-Video angeschaut. Es zeigte, wie Min Ko Naing, der zweitwichtigste Oppositionsführer, der nach 24 Jahren Gefängnis kürzlich freigelassen wurde, zu Tausenden von Anhängern und Anhängerinnen sprach. Ich habe die Freude der Menschen gesehen über dieses ermutigende Zeichen.
Aber die Wahlen vom 1. April sind nur kleine Wahlen, bei denen noch 48 von insgesamt 440 Mitgliedern der Nationalen Versammlung nachgewählt werden. Erst 2015 werden wir sehen, in welche Richtung das Land geht, wenn die Gesamtwahlen stattfinden. Bis dahin wird man über die Landesverwaltung diskutieren müssen, und über die Rolle des Militärs, das bislang einen Viertel der Sitze im Parlament besetzten durfte. Die Opposition setzt sich für eine Verfassungsänderung ein. Es gibt zum Beispiel ein Dekret aus dem Jahre 1996, das Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren für Personen vorsieht, welche die Regierung öffentlich kritisieren. Das gleiche Gesetz besagt, dass der Besitz einer Faxmaschine oder eines Modems mit fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Dieses Gesetz ebenso wie die weiteren Zensurgesetze sind mit der Demokratisierung unvereinbar.
Bislang hat sich die Militärjunta nicht um die Anliegen der Bevölkerung geschert. Jetzt gibt es plötzlich diesen Aufbruch in Richtung Demokratie. Wieso ist jetzt möglich, was früher nicht ging?
Ein halbes Jahr nach der "Safranrevolution" liess die Militärregierung eine von ihr erarbeitete Verfassung vom Volk absegnen. Auf dieser Grundlage fanden im November 2010 die ersten Wahlen statt. Ob fair oder nicht sei dahingestellt: Fakt ist, dass sich die bisherigen Militärmachthaber dabei einen Erdrutschsieg geholt haben. Die Führungsriege hat sie sich von der Militärjunta zur demokratisch legitimierten Zivilregierung gewandelt. Sie ist jetzt dem Volk gegenüber Rechenschaft schuldig. Für die Regierung ist diese Rolle neu. Sie braucht die Stimmen der bisherigen KritikerInnen im In- und Ausland, die Stimme einer Aung San Suu Kyi. Bisher war es den burmesischen Machthabern ziemlich egal, was der Westen sagt. Aber durch diese neue Rolle ist die Regierung dialogbereiter geworden.
Aber auch Aung San Suu Kyi hat seit ihrer Freilassung gleich nach den Wahlen einen versöhnlicheren Ton angeschlagen. Sie ist mit dem Militär in Dialog getreten und hat der neuen Führung ihr Vertrauen ausgesprochen. Ich glaube, in Burma haben alle Seiten verstanden, dass es nicht mehr so weiter geht wie bis anhin. Es ist genug, wir müssen einen neuen Schritt wagen, um die Armut und Isolation zu überwinden.
Than Shwe und seine rechte Hand, General Maung Aye, sind nicht mehr an der Macht. Der neue Präsident Thein Sein bringt einen anderen Geist. Auch er war ein Militärführer, aber er war nicht an der Spitze. Wer im Militär nicht an der Spitze steht, hat nichts zu sagen. Seit er die Nummer eins im Lande ist, hat er guten Willen gezeigt und einige Veränderungen eingeleitet. Thein Sein interessiert sich auch für das Präsidium der ASEAN, des Verbandes der Südostasiatischen Nationen. Dazu braucht er die Unterstützung vieler Seiten. Insbesondere muss er sich dafür einsetzen, dass die Sanktionen aufgehoben werden. Der Beitrag von aussen ist wichtig. Der Druck der Sanktionen ist ein wichtiger Motor für die Öffnung.
Was glauben Sie: Wird diese Wende zur Demokratie führen? Wie ehrlich ist sie gemeint?
Wenn man Burmas Geschichte über die letzten fünfzig Jahre anschaut, sieht man, dass das Land fünfzig Jahre lang von einer Militärjunta regiert wurde. Jetzt haben wir einen kleinen Schritt in Richtung Demokratie gemacht. Wir jubeln alle darüber, aber der Weg ist noch sehr lang.
Wo ist Than Shwe heute? Wirkt er im Hintergrund?
Das wissen wir nicht. Er hat einen Palast für sich und die drei wichtigsten ehemaligen Führer erbauen lassen. So lange er dort sein Leben geniesst und nicht die Wirtschaft und die politische Führung oder das Militär kontrolliert, ist das allen recht. Wir wollen die Chance nutzen, uns steht nicht der Sinn nach Rache.
Soll man jetzt die Sanktionen schon aufheben? Was wären die Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen?
Man muss die Situation gut beobachten und vorsichtig evaluieren. Bis jetzt wurde erst ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gemacht. Noch aber sitzen mehrere hundert politische Gefangene hinter Gitter. Bevor sie nicht freikommen, ist die Demokratisierung unglaubwürdig.
Aber wir müssen das Kernproblem in Burma im Auge behalten. Wir brauchen nicht nur Demokratie, sondern die Lösung der Konflikte mit den ethnischen Minderheiten. Noch haben wir keinen Friedensvertrag zwischen der Regierung und den ethnischen Minderheiten im Land. Ein grosser Teil der ethnischen Minderheiten lebt in Gebieten, in denen auch wichtige Bodenschätze liegen. Es braucht eine politische Lösung. Die ethnischen Minderheiten haben grosses Vertrauen in Aung San Suu Kyi. Sie sollte ihre wichtige Rolle für den Zusammenhalt des Landes spielen dürfen.
Wie kann der Konflikt mit den ethnischen Minderheiten gelöst werden?
Die Grundlage für eine Lösung ist das Abkommen von Panglong, das Aung San, der Vater von Aung San Suu Kyi, 1947 mit den Shan, Chin und Kachin schloss. Dieses Abkommen, die Basis für die Unabhängigkeit des Landes, garantierte das Selbstbestimmungsrecht der ethnischen Minderheiten. Es braucht politische Garantien und Freiheitsgarantien für die ganze Bevölkerung.
Die Reiseveranstalter und Investoren sind bereits in Goldgräberstimmung. Sie wollen jetzt den Tourismus in Burma ausbauen und erwarten einen Boom.
Es ist eine Freude für alle, auch für die Reisenden, das Land besuchen zu können und den Aufbruch zu erleben. Man kann das Land jetzt neu entdecken. Aber gleichzeitig muss man die Entwicklung des Tourismus vorsichtig angehen. Wir müssen uns fragen, wie man den Tourismus in Burma aufbauen kann, ohne die Umwelt zu zerstören und ohne die negativen Auswirkungen für die Bevölkerung, die aus anderen Ländern bekannt sind. Dafür muss man gut mit dem Regime kommunizieren. Die Regierung hat kein Ahnung von Nachhaltigkeit, weder im Tourismus noch in anderen Wirtschaftsbereichen. Aber sie zeigt sich bereit zu lernen: Kürzlich war Thein Sein in Singapur, um von den Finanzinstitutionen zu lernen. Er signalisiert damit auch, dass die Regierung offen ist, mit Fachleuten zusammenzuarbeiten. Er hat auch auf die Umweltfachleute und die lokale Opposition gehört und das umstrittene Myitsone-Staudammprojekt am Irrawady sistiert, das China durchführen wollte. Bisher hat China in Burma ungehindert auch völlig unnachhaltige Projekte umsetzen können. Jetzt hat Thein Sein ein Zeichen gesetzt, dass er mehr auf die Anliegen der Burmesischen Bevölkerung Rücksicht nimmt.
Thawm Hlei Mang ist seit 17 Jahren Weggefährte und Mitglied des arbeitskreises tourismus & entwicklung. Gemeinsam kämpften wir für sein Bleiberecht in der Schweiz und zusammen engagieren wir uns für die Achtung der Menschenrechte in Burma. Über die letzten 14 Jahre hat er mit einem Freundeskreis aus der Schweiz ein Kinderhilfsprojekt in seiner Heimat, dem Bundesstaat Chin an der Grenze zu Indien, aufgebaut. Thawm Mang (43) ist in Burma als Sohn eines Baptisten-Pfarrers aufgewachsen. Als Student exponierte er sich in Demonstrationen gegen das Militärregime und für Demokratie. In der Folge musste er nach Indien fliehen und hat seither seine Heimat nicht mehr betreten. Er studierte Theologie, beteiligte sich 1995 als Delegierter der ethnischen Minderheit der Chin an einer UNO-Konferenz in Genf und ersuchte die Schweiz um politisches Asyl. Er lebt mit seiner Familie in Basel und arbeitet in der ref. Matthäuskirche in Basel, wo er das "Sonntagszimmer" als Gastgeber leitet. Dieser sonntägliche Treffpunkt ‹von 8 bis Nacht› ist eine Plattform für verschiedene Angebote kirchlicher und sozialer Institutionen und Gemeinschaften, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen zugute kommen.
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Ab April läuft in den Deutschweizer Kinos"The Lady", die bewegende Geschichte von Aung San Suu Kyi und ihrem gewaltfreien Kampf für Demokratie.