Thi Diem Thúy Lê: Das Weinen des Schmetterlings. Roman
(The Gansters We Are All Looking For, 2003. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann)
Luchterhand Literaturverlag, München 2003
159 S., EUR 16.-, SFr. 27.50
ISBN 3-630-87163-1
Dies ist die Geschichte eines Kindes, das in einer ihm fremden Umgebung aufwächst und dem deshalb das ganze Leben fremd bleibt. Es ist – wie übrigens auch die Schriftstellerin – mit sechs Jahren von seinem Vater auf ein Fischerboot mitgenommen worden. Zusammen mit sechs „Onkeln“ gelingt ihnen die Flucht aus Vietnam. Die Mutter erreichte das Schiff leider nicht mehr und kam erst zwei Jahre später nach. Die Bootsflüchtlinge werden von einem Schiff der US-Navy im weiten Meer aufgelesen und gelangen dank glücklicher Umstände nach San Diego in Südkalifornien. Hier versucht sich das Kind zurechtzufinden und das jetzige Leben mit dem Leben in Vietnam zu verbinden. Aber die neuen Kleider beissen. In der Schule fühlt es sich exponiert. Der Pool im Innenhof des Nachbargebäudes muss genügen, um die Erinnerungen an das Meer der Heimat wach zu halten, und der Schmetterling in der Glassammlung des Hausbesitzers ist in Glas eingeklemmt und niemand hört sein Weinen. Als die Mutter endlich nachreisen kann, werden die Streitigkeiten zwischen den Eltern unerträglich und die Erinnerungen an den in Vietnam ertrunkenen Bruder werden immer belastender.
Die heranwachsende Tochter, aus deren Perspektive erzählt wird, bleibt namenlos – ein stilistisches Mittel, mit dem vielleicht gezeigt werden soll, wie sehr das Kind mit seiner Identität zu kämpfen hat.
Das Buch enthält viele autobiografische Teile und ist – trotz einiger Ungereimtheiten – eine gute Lektüre, weil es zeigt, wie Kinder zwischen zwei kulturell so unterschiedlichen Welten, aber auch zwischen der armseligen Gegenwart und schwer zu bewältigenden Erinnerungen an die Vergangenheit leben müssen: wahrhaft ein wichtiges und aktuelles Thema.
Michael Schwarz
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