Thomas Antonietti: Bauern-Bergführer-Hoteliers
Der Alpentourismus ist keine hiesige Erfindung. Es waren vornehmlich englische und deutsche Romantiker und Naturforscher, welche die Bergwelt für sich entdeckten, mystifizierten und eroberten. Die für sie notwendige Infrastruktur, die prächtigen Hotelpaläste und kühnen Bergbahnen, wurden ab Mitte des letzten Jahrhunderts denn auch mehrheitlich von fremden Unternehmern für eine fremde Kundschaft errichtet und geführt. Wie der Fremdenverkehr des vermögenden europäischen Grossbürgertums auf die karge bäuerliche Lebenswelt traf, zeigt der Ethnologe und Konservator für Volkskunde am Kantonalen Museum für Geschichte in Sitten, Thomas Antonietti, in seinem schönen Bild- und Textband über die touristische Entwicklung in Zermatt und im Aletschgebiet. Aus einem einzigartigen Quellenmaterial – historischen Fotografien, Lebenserinnerungen eines Bergführers oder eines Hotelangestellten – zeichnet Antonietti ein lebendiges Bild der Welten, die einander nicht fremder sein könnten. Vieles gemahnt dabei an heutige touristische Erschliessungen in exotischen Regionen. Die Hotels funktionierten wie autarke Oasen, welche den Einheimischen verschlossen blieben. Die Bergbauern begegneten den Fremden, die sich auf ihren Hängen verlustierten, mit viel Skepsis und Ablehnung. Moderne Errungenschaften wie die Gornergratbahn waren unwillkommen, hatten dadurch doch die Sessel- und Lastenträger ihren Verdienst eingebüsst. Die Behörden fürchteten den Kahlschlag ihrer Wälder für Bau- und Brennholz sowie die Überschwemmung mit fremden Produkten, die den Absatz aus der heimischen Landwirtschaft konkurrenzierten. Die Kirche füchtete den Zerfall der Moral, wenn nun auch an heiligen Tagen Fleisch gegessen oder gearbeitet werde. Doch war das Dienen in den Hotels keine besonders angesehene Tätigkeit, etwa für die Zermatter. So beklagte sich der Pionierhotelier Seiler, der ab 1850 sein Hotelimperium in Zermatt und weit darüber hinaus aufzubauen begann, dass er Personal von auswärts rekrutieren müsse. (Noch heute beträgt übrigens der Fremdenanteil in Gastgewerbe und Hotellerie überdurchschnittliche 42,6 Prozent.) Eher nahmen die Bergler offenbar die mühselige Auswanderung in Kauf, um sich in Übersee in der Landwirtschaft zu versuchen. Einzig der Beruf des Bergführers war bei der lokalen Bevölkerung mit Ansehen verbunden und brachte auch ansehnliches Einkommen. Walliser Bergführer wurden nicht bloss für die Besteigung der heimischen Gipfel angeheuert, sondern führten Touren im gesamten Alpenraum und begleiten die fremde Herrschaft auf Expeditionen im Himalaya oder in den Anden. Insgesamt war die Walliser Bergbevölkerung in ihrem Alltag aber wenig vom neuen Fremdenverkehr betroffen, was sich etwa auch im Siedlungsbild von Zermatt zeigt, wo die dunklen hölzernen Bauernhäuser sich bis Mitte dieses Jahrhunderts scharf von den gemauerten, hellen Hotelgebäuden abhoben. Der touristische Umbruch im Wallis – und das ist ein markanter Unterschied zu heutigen touristischen Erschliessungen abgelegener Gebiete – ging langsam vonstatten. Die fremden Gäste hielten sich bloss während weniger Wochen im Sommer in den Bergen auf; die Wintersaison wurde erst Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts eingeführt. Und erst nach dem zweiten Weltkrieg ist in Zermatt die Entwicklung zur touristischen Monokultur feststellbar.
Verlag hier + jetzt, Baden 2000, 192 Seiten, Fr. 78.-, DM 88.-, öS 628.-, Euro 48.-, ISBN 3-906419-20-7