Tibet: Eine Bahnlinie für die Besatzer
Basel, 01.12.06, akte/ Die neue Bahnverbindung zwischen Qinghai im Nordwesten und Tibet im Süden Chinas wurde gegen den Willen der Tibeter gebaut. Denn sie bringt nicht, wie der Chinesische Präsident Hu an der Eröffnungszeremonie behauptete, Fortschritt und Wohlstand für die Tibeter. Sie ist auch nicht die Chance für einen Kulturaustausch, als die sie der Vizepräsident des chinesischen Vereins „für den Erhalt und die Entwicklung der Tibetanischen Kultur“ darstellt. Die Tibeter sehen die Bahnlinie als neustes Werkzeug der Siedlungspolitik durch die Besatzungsmacht China. So berichtet der 25-jährige Mönch Tseten Norbu im letzten Newsletters des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie, wie die Einwohner von Lhasa unter Drohungen gezwungen wurden, Chinesische Flaggen auf ihren Hausdächern zu hissen. Wagenladungen voller ChinesInnen, in Orientierungskursen vorbereitet, kämen mit Schlafsäcken und Habseligkeiten, um in Tibet neu anzufangen. „Tibet ist nun endgültig dem Bevölkerungstransfer und der Assimilation zum Opfer gefallen“, so Tseten Norbu. Die öffentlichen Transportmittel, Taxis und Rikschas, die Hotels und Restaurants seien alle in chinesischer Hand, tibetische Frauen und Männer arbeiteten als Angestellte für ein Kleingeld. „In der kurzen Zeit, seit die Eisenbahn nach Lhasa gekommen ist, haben Prostitution, Kriminalität und Sittenlosigkeit beispiellos zugenommen, und Mandarin ist zur allgemeinen Umgangssprache geworden.“ Die chinesische Regierung lasse zahlreiche Pensionen und Wohnhäuser für chinesische Zuwanderer bauen, während tibetische Wohnhäuser mit ihrer traditionellen Architektur samt und sonders zerstört würden. „Lhasa wird inzwischen komplett von den hereinströmenden Chinesen dominiert, und da diese in der Überzahl sind, können die Tibeter es nicht wagen, sich zur Wehr zu setzen. So fühlen sich die Tibeter bald wie in einem fremden Land“, berichtet Tseten Norbu.
Repressionen gegen TibeterInnen gehören nach wie vor zum Alltag: Tausende fliehen jährlich über schneebedeckte Gebirgspässe, um religiöser Unterdrückung und anderen Schikanen zu entgehen. Diese Tatsache wurde der Öffentlichkeit vor kurzem in Erinnerung gerufen, als eine tibetische Nonne auf ihrer Flucht von Chinesischen Milizen erschossen wurde.
Ruth Gonseth, Präsidentin der Gesellschaft Schweizerische Tibetische Freundschaft in Liestal, kommentierte den Bericht der Basler Zeitung „Wo der Himmel die Erde berührt“ vom 31.10.06 mit folgendem Leserbrief:
„Tibeter wollen keine chinesische Bahn
Die Tibeter haben sich immer gegen die neue Bahn von China in ihre Hauptstadt Lhasa gewehrt. Die Tourismusindustrie und die Touristen sollten sich daher fragen, ob sie dieses fragwürdige Bauwerk wirklich anbieten respektive benutzen wollen. Seit der Besetzung Tibets durch Maos Truppen werden die Rechte und die Kultur des tibetischen Volkes unterdrückt. Kürzlich rief der neue Parteisekretär in Tibet gar einen „Kampf auf Leben und Tod“ gegen den Dalai Lama aus, zum Beispiel eine Intensivierung der „Umerziehungskampagnen“ in Klöstern. Schon heute sind die Tibeter durch die forcierte Ansiedlung von Chinesen zur Minderheit im eigenen Land geworden. Es findet ein kultureller Genozid statt, welcher mit der neuen Eisenbahn zunehmen wird. Und Tibets Bodenschätze können noch leichter nach China abtransportiert werden. Micheline Calmy-Rey hat es bei ihrem jüngsten Besuch verpasst, bei den Menschenrechten Klartext zu sprechen. Die reichsten Chinesen sollen jetzt als Touristen in die Schweiz geholt werden. Derweil dort die rechtlose Arbeiterschaft weiter ausgebeutet wird. Einmal mehr hat sie als „Feigenblatt“ den seit 15 Jahren bestehenden Menschenrechtsdialog zwischen der Schweiz und China vorgeschoben; dieser hat jedoch den Tibetern rein gar keine Verbesserungen gebracht.“
Quelle: Basler Zeitung, 3. November 2006; Tages-Anzeiger 14.10.2006; Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie www.tchrd.org
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