Tibet-Tourismus zwischen Devisenquelle und Wächteramt
Nach Jahren der Stagnation geht es mit dem Tourismus in Tibet wieder bergauf. Die kürzlich veröffentlichten Zahlen für 1995 verzeichnen ein Wachstum von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Knapp 35’000 TouristInnen haben danach das Dach der Welt besucht und 10,66 Millionen US-Dollar an Devisen hinterlassen. Die Einkünfte stiegen um vier Prozent. Die Zahlen belegen auch eine gewisse Liberalisierung, denn offensichtlich sind die Übernachtungen in den billigen Unterkünften der Einzelreisenden überdurchschnittlich gestiegen, während die staatlichen Touristenhotels mit den organisierten Gruppenreisen eher stagnieren.
Die sogenannten InlandsbesucherInnen, also ChinesInnenen aus dem «Mutterland», brachten sogar 24 Millionen US-Dollar nach Tibet. An ihnen haben die Tourismusplaner besonderes Interesse. So wurde inzwischen eine direkte Fluglinie von Peking nach Lhasa eröffnet. Auch andere Orte des tibetischen Kulturkreises wie Kumbum und Labrang im Nordosten werden von einheimischen Veranstaltern verstärkt angeboten.
Der Tourismus hatte schon immer zwei Gesichter. Auf der einen Seite ist er ein begehrter Devisenbringer, auf der anderen Seite aber auch Wächter bei Menschenrechtsverletzungen. Von den InlandsbesucherInnen ist letzteres nicht zu erwarten. Ihr Tibet-Bild ist zwangsläufig von der chinesischen Propaganda geprägt. Bei entsprechend grosser Zahl tragen sie sogar dazu bei, Klöster und Tempel ihrer eigentlichen Funktion zu berauben und zu blossen Museen zu degradieren.
In den achtziger Jahren glaubten die Verantwortlichen der Tourismusbranche, mit den ausländischen Gästen dasselbe zu erreichen. Von einem «Disneyland auf dem Dach der Welt» war die Rede: Holiday Inn zog in Lhasa ein und für 1990 waren 100’000 Übernachtungen anvisiert. Dann kam alles ganz anders. Bei den schweren Unruhen von 1987 und 1989 waren die TouristInnen unliebsame AugenzeugInnen, die wichtige Informationen und Bilddokumente ins Ausland brachten. Inzwischen haben die totale Überwachung des Zentrums von Lhasa sowie die Vertreibung der tibetischen Bevölkerung aus der Altstadt den Demonstrationen weitgehend den Boden entzogen. Sie finden eher in abgelegenen Gebieten statt. So kann die chinesische Verwaltung die touristischen Pläne wieder hervorholen. Der vorliegende Jahresbericht zeugt von grossem Optimismus.
Die Tibet-Solidaritätsgruppen appellieren deshalb an alle Reisenden, sich vorher über die politischen Lage zu informieren und sich möglichst nicht den staatlichen Reiseleitern anzuvertrauen. Angesichts des scharfen Verbots für alle TibeterInnen. Dalai Lama Bilder zu tragen, hat die Tibet Initiative Deutschland (TDI) erneut an alle Tibet-Reisenden appelliert, nur noch mit solchen Ansteckern ins Land zu reisen. Die TID stellt Dalai Lama Anstecker zum Selbstkostenpreis zur Verfügung.
Klemens Ludwig, Tübingen
Bezugsadresse für die Anstecker: Tibet Initiative Deutschland, Bullmannaue 11, D-45327 Essen