UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung verabschiedet ein anspruchsvolle Arbeitsprogramm zum Tourismus
Die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) hat zum Abschluss ihrer siebten Jahreskonferenz vom vergangenen April in New York ein umfangreiches Arbeitsprogramm zur Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus vorgelegt:
   1. Die Regierungen werden aufgerufen, den Tourismus entsprechend den Zielvorgaben der auf dem Umweltgipfel in Rio 1992 verabschiedeten Agenda 21 auszugestalten. Insbesondere sollen sie sicherstellen, dass die breite Bevölkerung in den touristischen Zielgebieten verstärkt an Entscheiden über die Tourismusentwicklung sowie am Ertrag aus dem Tourismus beteiligt wird, indem sie die dazu notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und Bildungsprogramme für lokale Verwaltung und die einheimische Bevölkerung bereitstellen.

   2. Die Tourismusindustrie wird eindringlich aufgefordert, sich von der Ausbeutung von Frauen und Kindern im Tourismus zu distanzieren, die massgeblichen internationalen Arbeitsstandards einzuhalten und mit weitreichenden Selbstverpflichtungen ökologisch, sozial und kulturell verträgliche Formen des Tourismus zu betreiben, die im Minimum international gültigen Richtlinien entsprechen.

   3. Weiter wird die Schaffung von klaren, einheitlichen Kriterien angeregt, die künftig eine bessere Beurteilung des Tourismusangebotes erlauben sollen. Mit speziellen Sensibilisierungsmassnahmen sollen auch die Reisenden zu verantwortlicherem Verhalten unterwegs angehalten werden.

Die CSD empfiehlt die zügige Umsetzung des Arbeitsprogrammes; bereits im Jahr 2002, anlässlich der Rückschau auf den zehnjährigen Rio-Prozess, sollen die Fortschritte im Tourismus evaluiert werden.

Wie griffig ist das Papier?
Die Beschlüsse und der ganze Prozess der CSD könnten für BewohnerInnen von Tourismusgemeinden ein Ausgangspunkt sein, ihre Sichtweisen besser in die Tourismusentwicklung einzubringen, an wichtigen Entscheiden demokratisch teilzuhaben, damit ihre Rechte besser wahrzunehmen und so vielleicht auch
weniger unter den Auswirkungen des Tourismus zu leiden, meint Nina Rao, die Universitätsprofessorin aus Delhi/Indien, die in ihrer Rolle als Vorsitzende der tourismuskritischen Organisation EQUATIONS von Bangalore/Indien nichtstaatliche Organisationen (NGOs) bei der CSD 7 in New York vertrat und künftig auch die Vernetzung der NGOs aus dem Süden zu Tourismusbelangen koordinieren wird. Gleichzeitig verweist sie darauf, dass tourismuspolitische Entscheide bislang immer von den Interessen der Tourismusindustrie und den TouristInnen geleitet wurden. Diese wären auch in New York dominant vertreten gewesen, allein schon, weil die meisten BewohnerInnen aus den Ländern des Südens, die vom Tourismus betroffen seien, gar nichts von den Verhandlungen zum Tourismus auf der CSD 7 gewusst hätten oder andernfalls gar keine Möglichkeit hätten, sich eine Reise ins teure New York zu leisten. Vorrangig sei nun, die Information und Vernetzung in den Ländern des Südens zu verstärken, damit ihre Interessen künftig in politischen Prozessen besser vertreten seien.
Nach Ansicht verschiedener BeobachterInnen des Verhandlungsprozesses aus NGOs fällt das Arbeitsprogramm zum Tourismus der CSD 7 insgesamt umfassender aus, als erwartet werden konnte. Es bestehe heute allgemein eher die Gefahr, meinten übereinstimmend NGO-VertreterInnen, die schon länger im Rio-Folge-Prozess aktiv sind, dass Beschlüsse getroffen würden, die weit hinter den in Rio verabschiedeten Prinzipien zurücklägen. Bemängelt wird, dass in dieser ersten internationalen Richtlinie zu Tourismus und nachhaltiger Entwicklung Massnahmen von sehr unterschiedlichem Stellenwert etwas willkürlich nebeneinander gereiht vorfinden, so etwa die Vorführung von Videos zur Information der Passagiere auf Flügen neben sehr grundsätzlichen Forderungen zur Armutsbekämpfung in den touristischen Zielregionen. Kritisiert wird zudem von verschiedener Seite die mangelnde Bezugnahme des CSD 7-Beschlussdokumentes auf andere internationale Gremien, etwa diejenigen zur Klimakonvention, oder die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Welthandelsorganisation, welche die finanz- und handelspolitischen Rahmenbedingungen festlegen und damit die Ausgestaltung des Tourismus ganz massgeblich bestimmen.
Recht befriedigt über das Verhandlungsergebnis äussert sich Jean-François Giovannini, Vizedirektor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und Leiter der offiziellen Schweizer Delegation zur CSD 7, in einem Schreiben an den akte, wenn er auch einen stärkeren Akzent auf soziale Aspekte im Schlussdokument begrüsst hätte. Als eines der 53 Mitgliedsländer der jeweils auf drei Jahre gewählten Kommission war die Schweiz turnusgemäss nach dem Bundesamt für Umwelt (BUWAL) und dem Bundesamt für Aussenwirtschaft (BAWI) durch eine Delegation unter der Federführung der DEZA in New York vertreten. Wie aus ihrem Schlussbericht, aber auch aus den Sitzungsprotokollen von New York hervorgeht, hat sie sich ganz besonders für den Einbezug der Problematik der sexuellen Ausbeutung sowie der international gültigen Arbeitsnormen und einer Referenz auf die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) stark gemacht, die trotz teilweise erheblicher Widerstände seitens verschiedener CSD-Mitgliedsstaaten ins Schlussdokument zum Tourismus Eingang fanden. In den parallel zum Tourismus laufenden Verhandlungen über die nachhaltige Ausgestaltung von Konsum- und Produktionsmustern setzte sich die Schweiz erfolgreich für die Anwendung ökonomischer Instrumente, die ökologische Steuerreform, den Abbau umweltschädigender Subventionen sowie die Förderung freiwilliger und transparenter Öko-Labels ein – Instrumente, die auch für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus grosse Bewandtnis haben. Die spezifischen Anliegen bezüglich eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der ökologisch fragilen Region der Alpen brachte die Schweizer Delegation bereits in die vorbereitenden Sitzungen sowie mit der Vorstellung einer speziell erstellten Broschüre zum Thema „Tourism and Sustainable Mountain Development“ auf der CSD 7 ein.
Aus Umwelt- und Forschungskreisen, die sich vorab mit dem Schweizer Tourismus beschäftigen, wurden allerdings auch kritischere Stimmen laut: Die positiven, aber auch die negativen Erfahrungen im langjährigen Umgang mit Tourismus und Nachhaltigkeit in der Schweiz hätten für diesen Anlass besser fruchtbar gemacht werden müssen, um – nachhaltig – zu einer neuen Ausgestaltung des Tourismus, insbesondere in Berggebieten, beitragen zu können. Noch ist die Chance nicht vertan, bietet doch das CSD-Papier allemal genügend Ansätze für Veränderungen. Jetzt gilt es, den gutenVorsätzen in der Realität Gestalt zu verleihen, denn an heeren Worten und schönen Papieren fehlt’s im Tourismus beileibe nicht. So haben die im deutschen Forum Umwelt&Entwicklung zusammengeschlossenen NGOs anhand des Arbeitsprogramms der CSD 7 bereits erste Umsetzungsschritte ins Auge gefasst; in der Schweiz sollen im Rahmen der Alpenschutzkommission CIPRA über die nächsten Monate Eckpunkte für eine nachhaltige Tourismusstrategie ausformuliert werden./plus

Quellen: UN-Economic and Social Council: Commission on Sustainable Development, Seventh Session 19-30 April 1999, Draft Decision submitted by the Vice-Chairman, Mr Navid Hanif (Pakistan), on the basis of informal consultations: Tourism and sustainable development; Rappport sur la septième session de la Commission de Développement durable (CSD) du 19 au 30 avril 1999, par la Direction du Développement et de la Coopération (DDC-DEZA); Interview with Nina Rao during CSD 7 in New York, April 1999, by Annette Groth, Executive Secretary of the Ecumenical Coalition on Third World Tourism (ECTWT); Tourismus im Schlagschatten der Globalisierung, Manfred Pils, Naturfreunde Internationale, Mai 1999; CSD 7: Bericht zu Tourismus und nachhaltiger Entwicklung von Christina Kamp und Petra Stephan zu Handen des deutschen Forums Umwelt&Entwicklung, Mai 1999; Gespräche u.a. mit Rosmarie Bär der AG Hilfswerke und NGO-Vertreterin in der Schweizer Delegation zur CSD 7, Frans de Man der holländischen Stiftung RETOUR und künftiger Koordinator des „Northern NGO-Tourism Caucus“, K.T. Suresh von EQUATIONS; Minu Hemmati von UNED-UK und Herausgeberin der Studie „Gender & Tourism“ zur CSD 7, Dominik Siegrist der Alpenschutzkommission CIPRA und Mitbestreiter der gemeinsamen Pressekonferenz von Schweizer NGOs zur CSD 7 vom 27.3.99; siehe auch akte-kuna 2/99 und 1/99