Die Auswirkungen des Tourismus auf das Leben der Einheimischen in den Gastländern sind massiv und ein Label für fairen Tourismus ist nicht in Sicht. Der arbeitskreis tourismus & entwicklung (akte) setzt sich seit 30 Jahren für faire Bedingungen im Tourismus ein. Von terrafair sprach Stefan Principe mit akte-Geschäftsführerin Christine Plüss.

Was bedeutet für Sie Fairer Handel?
Der Faire Handel soll benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern, eventuell auch in Randregionen von Industrieländern, zu Gute kommen. Dafür werden die Handelsmechanismen so gestaltet, dass die ProduzentInnen und Arbeitnehmenden gestärkt werden, damit sie am Weltmarkt teilhaben können. Das finde ich die bestechende Überlegung am Fairen Handel. Ich finde es sehr positiv, dass es in der Schweiz so gut gelungen ist, den Fairen Handel populär zu machen. Es ist wichtig, die Leute zu informieren und zu sensibilisieren, dass sie über den Einkaufskorb etwas zum Gedanken der Gerechtigkeit beitragen können.
Dieses Prinzip soll auch im Tourismus zur Anwendung kommen. Man muss Benachteiligte, die in diesem Sektor etwas aufbauen wollen, stärken, indem man ihnen Vorteile gewährt: Faire Preise und eine Fairtrade-Prämie, Vorauszahlungen, langfristige und partnerschaftliche Beziehungen. Die Mechanismen des Fairen Handels im Tourismus anzuwenden, ist aber nicht ganz einfach.

1977 wurde der arbeitskreis gegründet. Was war der Auslöser?
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nahmen Fernreisen stark zu. Hilfswerke sahen, dass der Tourismus so wie er sich zu entwickeln begann, nicht mit den Entwicklungszielen zu vereinbaren war, die man zu erreichen versuchte. Personen aus ganz verschiedenen Richtungen – Entwicklungspolitik und –zusammenarbeit, aber auch aus kleineren Reisebüros – taten sich auf Initiative der Erklärung von Bern (EvB) zusammen. Sie erkannten, dass es eine Fachstelle braucht, die sich um den Tourismus kümmert, die Auswirkungen untersucht, Öffentlichkeitsarbeit betreibt, Bildungsarbeit in Schulen leistet und Druck auf die Veranstalter ausübt, damit diese gerechter wirtschaften. Das war die Grundidee.

Was waren zu Beginn die grössten Schwierigkeiten?
Es gab verschiedene Problemfelder. Sextourismus und frauenhandel sowie die Ausbeutung von Frauen und Kindern waren von Beginn weg grosse Themen, mit denen wir uns beschäftigten. Auch die aufkommenden Alternativreisen gaben Anlass zur Kritik: Eine Rucksackreise ist nicht unbedingt fair, wenn man pro Tag nur einen Dollar ausgibt und die Einheimischen keinen Nutzen davon haben. Dann ging es auch darum, den Beitrag des Tourismus zur Entwicklung grundsätzlich kritisch zu prüfen.

Wie entwickelte sich der arbeitskreis weiter?
Anfang der achtziger Jahre gerieten Entwicklungsländer immer tiefer in die Schuldenfalle. Ernüchterung machte sich breit, als man merkte, dass die Entwicklungshilfe fehlschlug. Tourismus, anfänglich als Hoffnungsträger der Entwicklung lanciert, stiess auf immer breitere Skepsis bei den Hilfswerken. Ende der achtziger und in den neunziger Jahren stand dann die Umwelt im Zentrum. Das war eher schwierig für uns, weil wir als entwicklungspolitische Organisation das Thema Tourismus nicht aus einer rein ökologischen Sicht angingen. Wir bewegten uns damals gegenläufig zum allgemeinen Trend. Wir gaben ein Buch über Frauen im Tourismus heraus, wir halfen die erste Kampagne gegen Kinderprostitution zu lancieren, der Kampf gegen Kinderarbeit und ausbeuterische Arbeitsbedingungen im Tourismus war unser Schwerpunkt.

Und heute?
Mit den Millenniumszielen rückte das Thema „Tourismus und Armut“ wieder menr in den Mittelpunkt der Debatten. In jüngster Zeit sind aber Klimawandel und Flugverkehr die topthemen in den Medien.

Spüren sie seit der intensiv geführten Klimadiskussion mehr Interesse am Thema? Verläuft nicht alles wieder im Sand, sobald dieses Thema von den Medien fallen gelassen wird?
Die verschiedensten Auswirkungen vom Tourismus auf Arbeit, Umwelt, Kultur und Menschenrechte sind Fragen, die immer wieder aufs Neue aufgegriffen werden müssen. Im Moment ist es für uns eher einfacher als auch schon, auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Der Faire Handel macht Fortschritte und man erwartet heute allgemein von grossen Unternehmen, dass sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Das erleichtert unsere Arbeit.

Was halten Sie vom Klimaticket von Myclimate und Atmosfair?
Wenn wir das Klima schützen wollen, führt kein Weg daran vorbei, dass wir weniger fliegen. Wenn man dann fliegt, sollte man wenigstens den Schadstoffausstoss kompensieren, zum Beispi8el mit einem Klimaticket. Das ist das Mindeste. Die Kompensation mit einem Klimaticket als isolierte Massnahme ist aber ungenügend, eine Art Ablasshandel. Deshalb sollen Organisationen wie myclimate und atmosfair neben dem Klimaticketverkauf und den Kompensationsprojekten im Süden auch Sensibilisierungsarbeit leisten.

Wird akte von den Tourismusgiganten überhaupt ernst genommen?
In gewissen Bereichen schon. Die Branche hat vor ungefähr 15 Jahren eingesehen, dass es in ihrem Interesse ist, im Bereich Umwelt Massnahmen zu ergreifen. Heute engagieren sich auch immer mehr Unternehmen gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus. Andere Forderungen, die wir seit Jahren stellen, wie faire Arbeitsbedingungen, werden aber noch kaum aufgenommen.

Wie arbeitet akte denn mit der Branche zusammen?
Wir werden von den Umweltabteilungen oder vom Verantwortlichen für „Corporate Social Responsibility“ (CSR) der Reiseveranstalter beigezogen, um mit ihnen Massnahmen zu entwickeln. Auch kleinere Reiseveranstalter gelangen mit Anfragen für Beratung an uns.

Wird es in Zukunft ein Label für die Tourismusbranche geben?
Bei einer ersten Machbarkeitsstudie dazu zeigte sich, dass es eine grosse Herausforderung ist, die Fairtrade-Prinzipien und –Verfahren im komplexen Dienstleistungsbereich Tourismus zum Tragen zu bringen. Immer öfters schmücken sich jedoch Tourismusinitiativen mit dem trendigen Attribut „fair“. Umso wichtiger ist es nun, dass die Bemühungen um klare Kriterien, Standardsetting und Zertifizierung im Rahmen des international anerkannten Dachverbandes der Fair Trade-Organisationen (FLO) vorangetrieben werden. ich sehe die Möglichkeit, dass ein länderspezifisches Label wie in Südafrika das Gütesiegel von Fair Trade in Tourism South Africa (FTTSA) auch in anderen Ländern oder Regionen entwickelt werden könnte. Noch offen ist, wie Reiseveranstalter in den Fairen Handel eingebunden werden können. Wir fordern derweil, dass die FTTSA-Angebote in die Kataloge der Veranstalter aufgenommen und erklärt werden, damit die KonsumentInnen eine neue griffigere Wahl haben.

Gibt es Untersuchungen, welchen Einfluss der Tourismus auf die Kultur eines Ferienlandes hat?
Es gibt praktisch unendlich viele Studien zum Tourismus und die Ergebnisse sind ebenso unterschiedlich, immer abhängig davon, wie man den Einfluss des Tourismus auf Kulturen misst und bewertet. Wir denken, dass der Tourismus sehr wohl zur Entwicklung eines Landes beitragen kann, aber es ist kein Königsweg der Entwicklung. Die Hoffnungen, die der Tourismus weckt, sind weit grösser als das, was er wirklich bringen kann. Belegen kann man das mit ganz vielen Beispielen.

Was hat sich im Tourismus am stärksten gewandelt und wie geht es weiter?
Die Ausmasse haben sich am stärksten verändert. Es ist schier unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit der Tourismus wächst. Die Arbeit wird uns also nicht ausgehen und Ziele haben wir viele. Wir möchten mit den neuen Mitteln der Kommunikation die Reisenden besser erreichen. Das Potential für „faire“ Reisen ist vorhanden, es muss genutzt werden. Wenn es uns gelänge, dadurch mehr Druck auf die Veranstalter auszuüben, wie dies der „Clean Clothes Campaign“ unter der Federführung der Erklärung von Bern (EvB) im Textilhandel gelungen ist, wäre das ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig wollen wir den Dialog mit der Reisebranche weiter führen, Forderungen stellen, uns aber auch zusammensetzen, wenn unsere Fachkompetenz gefragt wird, Soziale Fragen und die Menschenrechte müssen höher gewertet werden als –wirtschaft und Welthandel. Dem ist heute nicht so. Die politische Arbeit ist deshalb weiterhin wichtig. Auch wollen wir die Grundlagen des Fairen Handels in Zusammenarbeit mit FLO weiter vorantreiben. Unser Hauptgewicht liegt aber ganz klar bei der KonsumentInneninformation und der Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen in den Tourismusländern, zum Beispiel in Kerala/Südindien oder Brasilien und Südafrika. Wir pflegen den Austausch, damit wir das, was wir fordern, immer wieder mit konkreten Beispielen belegen können.

Sind faire Reisen heute schon möglich?
Ja, das ist heute schon möglich. Wir reden allerdings nie vom fairen Tourismus, um nicht die Illusion zu verbreiten, dass es den heute schon gäbe., Aber jeder Reisende kann sich an unsere fünf Faustregeln halten: Man soll sich Zeit nehmen, Respekt vor den Lebensgrundlagen der Bevölkerung haben, faire Preise bezahlen, darauf achten, dass die Einheimischen daraus Nutzen tragen und für einen fairen Austausch sorgen. Beim Buchen kann man selber die www.fairunterwegs.org Weichen stellen mit der Wahl von umwelt- und sozialverträglicheren Angeboten.

Quelle: Erstmals erschienen interrafair