
Tourismus und Immobilienboom – Fallstudien aus Kerala und Tamil Nadu/Indien
Mararikulam ist ein Fischerdorf im Distrikt Alleppey im südindischen Bundesstaat Kerala. Der Tourismusboom hat dort einen Run auf Grundstücke ausgelöst und eine Marktsituation geschaffen, die zum Wegzug der Fischer führt. Ihnen werden hohe Preise angeboten, wenn sie ihr Land in Küstennähe der Tourismusbranche überlassen. Doch wer das Angebot angenommen hat und ins Landesinnere gezogen ist, wird sich keine bessere Existenz aufbauen können, denn auch dort sind die Preise aufgrund der zunehmenden Anfrage in die Höhe geschnellt. Die weggezogenen Fischer fühlen sich fremd in der neuen Gegend, die von ihnen eine Abkehr von ihren jahrhundertealten Lebensweisen und Annehmlichkeiten verlangt. Dies gilt besonders für Frauen, Kinder und ältere Personen. Bei den ärmeren Küstenbewohnern, welche schon unter den Unwägbarkeiten der Klimaschwankungen, den Folgen des Tsunami und dem unregelmässigen Einkommen leiden, wird Geld als Anreiz und zur Gehirnwäsche genutzt, damit sie ihr Land verkaufen. Die Betreiber der Ferienanlagen, die dort entstanden sind, hindern die lokale Bevölkerung daran, die Küste vor ihrem Grundstück zu betreten, denn sie wollen den Strand exklusiv für ihre Feriengäste. Traditionell ist die Küste öffentliches Land für alle, von den Leuten genutzt als Anlagestelle für ihre Fischerboote, zum Schlafen, als Treffpunkt, zur Vorbereitung ihrer Arbeit, zur Instandhaltung ihrer Fischernetze, zum Trocknen der Fische usw. Wenn einmal die Ferienanlagen an den Ort ziehen, liegen die Fischer mit den Tourismusanbietern um die Küste im Streit, was zu grossen Unruhen zwischen den Parteien führen wird.
Kein Schutz für traditionelle Rechte
Es gibt keine gesetzlichen Grundlagen oder Regierungsentscheide, welche die Fragen rund um das Küstengebiet und dessen Besitz regeln. Zwar existieren Vorkehrungen zum Schutze von Leuten, die unfreiwillig wegen eines Projekts wegziehen müssen. Aber diese Art des freiwilligen, vom Markt gesteuerten Wegzugs und seiner Folgen sind nie angegangen worden. Es braucht Land für Tourismusentwicklung – aber auf wessen Kosten? Von der Regierung ist wenig zu erwarten, ist sie doch Hauptaktionärin bei Tourism Resorts Kerala Ltd, einem Public Private Partnership Unternehmen, welches für den Betrieb der Küstengebiete für die Tourismusindustrie zuständig ist. Die Zentralregierung steht vor der Verabschiedung der so genannten Coastal Management Zone Notification (zu Deutsch etwa: Küstengebiets-Managementplan). Diese ersetzt die bisherige Coastal Regulation Zone Notification (Küstengebietsreglement), die das fragile Ökosystem der Küste vor nicht nachhaltiger Entwicklung schützen sollte. Die Tourismusbranche hat dafür lobbyiert, mit dem neuen Managementplan freie Hand für die Tourismusentwicklung an der Küste zu erhalten, die traditionellen Rechte der Küstenbewohner über die Küste und ihre Ressourcen werden in der Vorlage des neuen Managementplans hingegen nicht geschützt. Mitten in diesem Konflikt wirbt das Tourismusdepartement von Kerala, die offizielle Regierungsbehörde, für den Bundesstaat Kerala als Destination für verantwortungsvollen Tourismus. Und Mararikulam mit seiner Ferienanlage, welche die ganze Entwicklung initiierte, diente als Fallstudie für die Internationale Konferenz zum verantwortungsvollen Tourismus, welche das Tourismusdepartement von Kerala letztes Jahr organisiert hat. Dieselbe Ferienanlage hat öffentliches Land in Anspruch genommen, nämlich die Küstenseite der Ferienanlage, die den Küstenbewohnern über Jahrhunderte als Lebensgrundlage, Erholungsgebiet, Landbau, Unterhalt usw. diente. Der Aufruhr der Lokalbevölkerung veranlasste das Steuerdepartement der Regierung in Kerala dazu, eine Gruppe von Sonderbeauftragten zu schicken, um das öffentliche Land zurückzufordern. Trotzdem benutzen die Leute der Ferienanlage das Land weiter und hindern die Fischer an dessen Nutzung. Mit Mararikulam wurde ein Trend gesetzt, der sich entlang der Küste wiederholte, während die Regierung und ihre Ämter in der fragwürdigen Rolle der Zuschauer verharrten.
Chothavilai: Mit dem Tsunami kam der Tourismuboom
Chothavilai liegt im Kanyakumari Distrikt des südindischen Bundesstaates Tamil Nadu. Der wunderschöne Strand von Chothavilai liegt nur etwa sieben Kilometer vom berühmten Inland- und Pilgertourismusort Kanyakumari entfernt. Chothavilai wurde erst vor etwa sechs, sieben Jahren bekannt und begann zu wachsen. Einige Politiker, welche dort Land besitzen, setzten sich dafür ein, dass eine Strasse gebaut und Strandtourismus entwickelt wurde. Diese Strasse verletzt die Coastal Regulation Zone Notification (Küstenzonenreglement) von 1992, die zum Schutz der natürlichen Umwelt der Küste erlassen wurde. Der Bau der Strasse zerstörte die Sanddünen. Die Entwicklung der Infrastruktur führte zu höheren Verlusten während des Tsunami von 2004.
Der Tsunami brachte viele Konflikte und Änderungen an der Küste mit sich. Die plötzliche Entwicklung von Infrastrukturen, die wachsende Aufmerksamkeit des Tourismusdepartements von Tamil Nadu für Chothavilai und die Programme im Nachgang zum Tsunami liessen die Landpreise vor Ort in die Höhe schnellen. Die Immobilienmakler kaufen riesige Landflächen in diesem Gebiet. So verlieren die Fischer des Ortes ihren direkten Zugang zur Küste und damit zu ihrer Lebensgrundlage. Die Nähe zur berühmten Tourismusdestination Kanyakumari verschärft die Situation. Aktuell fördert die Politik eine nicht nachhaltige Tourismusentwicklung. Die bestehenden Regulierungen zum Schutz der Lebensgrundlagen und der Ressourcen der traditionellen Fischergemeinden werden ausser Kraft gesetzt (z.B. das Reglement der Umweltverträglichkeitsprüfungen von 2006 und andere Umweltgesetze).
Die Regierung argumentiert, die Gemeinden würden bessere Preise erhalten, und das sei eine gute Gelegenheit für sie zu profitieren. Aber sorgfältige Analysen zeigen, dass es darum geht, die traditionellen Gemeinden und besonders die Ärmeren systematisch von der Küste zu entfernen.
Mehr Informationen: KABANI-the other direction, www.kabani.org
Übersetzung: Nina Sahdeva, arbeitskreis tourismus & entwicklung, Basel
Bilder: Jürgen Hammelehle, Würzburg; Legende: Bild oben: Kovalam Beach im Jahre 2007; Bild unten: Kovalam Beach im Jahre 1982