Tourismus und Nachhaltige Entwicklung
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung begrüsst, dass im Rahmen der Vorbereitungen der kommenden Konferenz der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD 7) vom April 1999 die Fragen der Nachhaltigkeit im Tourismus breiter zur Diskussion gebracht werden.
Tourismus zählt unbestritten zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen der Welt, der dank seinem konstant hohen Wachstum über die letzten Jahrzehnte rund um den Globus als Hoffnungsträger aktiv gefördert wird und bereits heute als der grösste Arbeitgeber der Welt gilt. Die Zahl der Auslandsreisen hat sich seit 1971 mehr als verdreifacht, von 179 Millionen auf 625 Millionen weltweit im vergangenen Jahr, und diese Auslandsreisen haben 1998 insgesamt 444 Milliarden US Dollar Einnahmen gebracht. Bis zum Jahr 2010, so prognostiziert die in Madrid ansässige Welttourismusorganisation (WTO), sollen die internationalen Ankünfte die Milliardengrenze erreichen und die Erträge daraus sich annähernd vervierfachen.
Tourismus mit den Grundsätzen der Erklärung von Rio in Einklang zu bringen und die Tourismusentwicklung unter die Leitsätze der Agenda 21 zu stellen – dies stellt heute eine grosse Herausforderung und neue Aufgabe für die Verantwortlichen aus Politik, Behörden, Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft dar. Ziel einer verantwortungsvollen Tourismuspolitik von der lokalen bis auf die internationale Ebene muss sein, Tourismus so nachhaltig und gerecht auszugestalten, dass nicht nur die Ressourcen für seine Entfaltung, sondern die Lebensgrundlagen der in den Zielgebieten ansässigen Menschen erhalten werden. Nicht nur Reisende sollen künftig Ferien machen können, sondern in erster Linie sollen die künftigen Generationen in den heutigen Gastländern, welche die Tourismuserschliessungen mitzutragen haben, eine würdige Existenz leben können.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung unterschreibt das umfassende Positionspapier zur Vorlage der CSD 7: «Tourismus und nachhaltige Entwicklung» der im Forum Umwelt & Entwicklung zusammengeschlossenen deutschen Nicht-Regierungsorganisationen, dessen Erarbeitung wir über die letzten Monate mitverfolgen konnten (http://www.oneworldweb.de/forum).
Aus unserer Beschäftigung mit dem Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht heraus möchten wir drei Themenbereiche besonders hervorheben, die als Eckpunkte einer politischen Agenda und eines Aktionsprogrammes für die Umsetzung von nachhaltigeren Formen des Reisens und des Tourismus erachtet werden müssen:
1. Augenmerk auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
Das rasante Wachstum des Tourismus ist sicher auf die stetig steigende Nachfrage von immer mobileren Reisenden zurückzuführen. Die hohen Wachstumsraten sind aber auch das Resultat einer gezielten Förderung des Sektors mit Geldern aus öffentlicher und privater Hand – die Kapitalinvestitionen im Tourismus machen mit 800 Milliarden US Dollar rund 11,8 Prozent der jährlich weltweit getätigten Kapitalanlagen aus, sowie mit Investitionsanreizen für kapitalkräftige Anleger und einem sehr weitgehenden Abbau von Handelshemnissen auf internationaler und nationaler Ebene für den gesamten Bereich. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Tourismusförderung im Rahmen der von den internationalen Gläubigern bzw. vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderten Strukturanpassungen sowie die Liberalisierungen im Rahmen der Dienstleistungsabkommen (GATS) lassen den Entwicklungsländern oft wenig Spielraum für eine ausgewogene Entwicklung des Tourismus, welche die Interessen der gastgebenden Bevölkerung respektiert. Die starke Abhängigkeit vieler Länder vom Tourismus, die stetig steigenden Kosten zur Erhaltung der Attraktivität und die grosszügige Öffnung des Marktes für ausländische Investoren machen es für die Gastländer schwer, dauerhaft am Tourismus zu verdienen.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung fordert deshalb die CSD und die verschiedenen Stakeholders des CSD 7 auf, ihren Einfluss auf die wichtigsten internationalen finanz- und handelspolitischen Institutionen, Weltbank, IWF und Welthandelsorganisation geltend zu machen, damit den Forderungen nach einer nachhaltigen Entwicklung des Tourismus künftig auch auf höchster Ebene bei sämtlichen Finanz- und Handelsentscheiden gebührend Rechnung getragen wird.
2. Augenmerk auf Arbeitsbedingungen
Über die Beschäftigung im Tourismus können im Prinzip breitere Bevölkerungsschichten vom Ertrag aus dem Tourismus profitieren. Doch lassen, wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wiederholt festgestellt hat, die Arbeitsbedingungen im Tourismus heute vielerorts zu wünschen übrig: lange Arbeitstage, unsichere, saisonale Anstellungen, niedrige Löhne, wenig gewerkschaftliche Organisation und Kollektivverträge, Verstösse gegen Arbeitsgesetze, mangelnde Ausbildung und Qualifizierungsmöglichkeiten.
Da macht auch die Schweiz keine Ausnahme. Die Lohnansätze im Gastgewerbe siedeln sich nach der Unterzeichnung des neuen Gesamtarbeitsvertrages von 1998 im Branchenvergleich an der unteren Grenze an. Eine Untersuchung der Caritas Schweiz zeigt, dass auffallend viele Angestellte aus dem Schweizer Gastgewerbe, auch wenn sie voll erwerbstätig sind, kein existenzsicherndes Gehalt beziehen und mit ihrem Verdienst unter der Armutsgrenze bleiben, das heisst zu den «Working Poor» gezählt werden. Bezeichnend für den touristischen Arbeitsmarkt ist – wie in anderen Billiglohnbranchen – der überdurchschnittlich hohe Anteil an Frauen, der weltweit zwar stark variieren kann, gemäss Erhebungen der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) in Europa bei annähernd 60 Prozent liegt.
Gemäss vorsichtigen Schätzungen der ILO machen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren 10 bis 15 Prozent des touristischen Arbeitsmarktes aus; das sind mindestens 13 bis 19 Millionen junge Erwerbstätige. Sie arbeiten, wie eine neue Studie des arbeitskreises tourismus & entwicklung ermittelt, teilweise unter extremsten Bedingungen und sind verschiedensten Formen der Ausbeutung, nicht zuletzt der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung fordert deshalb die CSD und die verschiedenen Stakeholders des CSD 7 auf, einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung von ausbeuterischer Arbeit und auf die Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen mit qualifizierter Ausbildung im Tourismus zu legen. Insbesondere soll die Ausgestaltung des Tourismus immer auch im Einklang mit den sogenannten Core-Conventions, den grundlegenden Konventionen der ILO erfolgen (Übereinkommen Nr.87 über Vereinigungsfreiheit; Nr.98 über Vereinigungsrecht und Kollektivverhandlungen; Nr.29 über Zwangsarbeit; Nr.105 über die Abschaffung von Zwangsarbeit; Nr.100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte; Nr.111 über die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf; Nr.138 über Kinderarbeit sowie die neue Konvention der ILO gegen die extremsten Formen der Kinderarbeit).
3. Augenmerk auf die Informationspolitik für Reisende
Reisende müssen besser und umfassender informiert werden. Reiseangebote sollen so gekennzeichnet werden, dass KonsumentInnen beim Kauf eine griffige Entscheidungshilfe an die Hand bekommen, damit sie eine umweltgerechte und sozialverantwortliche Wahl treffen können. Produktedeklarationen müssen von einer unabhängigen Instanz kontrolliert und von gezielter Sensibilisierungsarbeit begleitet werden. Die Attraktivität von fairen und nachhaltigen Formen der Urlaubs- und Freizeitgestaltung soll erhöht werden.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung fordert die CSD und die verschiedenen Stakeholders des CSD 7 auf, die Anforderungen einer nachhaltigen Tourismuspolitik auch auf Nachfrageseite, das heisst auf Seite der Reisenden und der KonsumentInnen generell, konsequent und unverzüglich umzusetzen.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung würde es sehr begrüssen, wenn die Schweizer Delegation zur CSD 7 diese Eckpunkte in ihre Position mitaufnehmen könnte. Zudem möchten wir die Schweizer Delegation auffordern, die Problematik der Arbeitsbedingungen, insbesondere der Kinderarbeit Tourismus, in einer Präsentation (Side event) vorzubringen.
Basel, im Februar 1999, Christine Plüss