"Der Überdruss der Einheimischen wächst, die Wut und die Aggression sind da. Wenn jetzt Hotels in die Luft fliegen, wenn Touristen zu Schaden kommen – so war das zu erwarten." – Nein, das sagt nicht etwa ein Augenzeuge der jüngsten Volksaufstände in Tunesien oder Ägypten. Es sind die eindringlichen Worte der hawaiischen Soziologieprofessorin Haunani-Kay Trask aus ihrer Rede vor versammelter Tourismusprominenz im Gründungsjahr des Travel Inside.
Die Tourismuswelt reibt sich die Augen
1986 stellten Fachleute wie Haunani-Kay Trask aus Tourismusländern rund um den Globus erstmals auf einer vielbeachteten internationalen Konferenz im deutschen Bad Boll unmissverständlich ihre Forderungen an die Verantwortlichen der Tourismuswirtschaft und -politik: Die Interessen der Einheimischen sind bei sämtlichen touristischen Infrastruktur-Einrichtungen in den Vordergrund zu rücken. Der Tourismus ist eng mit direkt produktiven Sektoren zu verknüpfen, der Landwirtschaft, der Fischerei und dem Gewerbe. Wo immer durch den Tourismus natürliche Ressourcen beansprucht werden, sind diese angemessen abzugelten. Die Durchsetzung des Verursacher-Prinzips soll auf allen Ebenen unnötigen Verschleiss verhindern. Die Verantwortlichen in den Tourismusländern, den Unternehmen, der Entwicklungszusammenarbeit und die Reisenden selbst sind gefordert, Tourismus im Interesse der Einheimischen, ihrer Rechte und Lebensgrundlagen zu gestalten.
Tourismusindustrie und Fachpresse rieben sich verwundert die Augen ob dem "Aufstand der Bereisten". Unter diesem Titel brachte etwa Ueli Mäder – damals als erster Sekretär des arbeitskreises tourismus & entwicklung Mitinitiator der Bad Boll-Konferenz, heute renommierter Soziologieprofessor und Buchautor – in seinen Berichten die Stimmen der von Tourismusentwicklungen Betroffenen griffig auf den Punkt. Ihre Forderungen haben seither nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil.
Ende März 2011 bilanziert Travel Inside: "Die politischen Unruhen in Tunesien und Ägypten, Kriegsaktivitäten in Libyen und verschiedene, teils folgenschwere Naturkatastrophen wirken sich auf das Reiseverhalten der Konsumenten aus." Lautstark beklagt die Branche den Einbruch der Reiselust. Gerade erst hatte man sich von Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 erholt und hoffte – erfolgsverwöhnt – auf ein schnelles "back to normal" mit möglichst zweistelligen Zuwachsraten. Denn gemessen wird der Erfolg der Unternehmen an ihrem Wachstum – unbesehen, worauf dieses Wachstum beruht und wer dessen Kosten tragen muss. Jetzt reibt sich die Branche einmal mehr die Augen: Ausgerechnet in ihren Hauptmärkten der Wintersaison, Tunesien und Ägypten, fordern Volksaufstände Demokratie ein. Dass in diesen Ländern die Menschenrechte seit Jahren auch im Namen der Tourismusentwicklung mit den Füssen getreten wurden, wird offenbar ausgeblendet. Ebenso die Tatsache, dass die Sintfluten in Neuseeland oder jüngst wieder in Thailand Folgen des Klimawandels sind, der vom Tourismus kräftig mitverursacht wird.
Der steinige Weg zur nachhaltigen Entwicklung im Tourismus
Ende der 80er Jahre, als Travel Inside noch in den Kinderschuhen steckte, berief der damalige SSR als Pionier der Branche Hansjörg Ruf zum Umweltbeauftragten. Kurz darauf ernannte die TUI Wolf Michael Iwand zum Umweltbeauftragten des Konzerns. Wir stritten uns über viele Jahre redlich mit ihm um die Anliegen der Einheimischen, den Schutz ihrer Rechte und Lebensgrundlagen. Im Vordergrund stand aber damals der Umweltschutz, hatte man doch in fortschrittlichen Kreisen der Branche eben erkannt, dass es die attraktiven Urlaubslandschaften als Kapital für die künftige Entwicklung der Branche zu erhalten galt.
Hotelplan baute in den 1990er Jahren seine Umweltmassnahmen auf und führte im neuen Jahrtausend erstmals in der Schweiz den Verhaltenskodex der Branche zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus ein. Der von der Kinderschutzorganisation ECPAT mit Unterstützung der UN-Welttourismusorganisation entwickelte Kodex ist mittlerweile von annährend 1’000 Unternehmen im Tourismus weltweit unterzeichnet. "Tourism Child-Protection Code" zum Schutz der Kinder im Tourismus ist heute ein "must" für alle Reiseveranstalter. Das unterstreicht auch der Schweizerische Reisebüro-Verband mit seiner Ratifizierung. Vorsitzender der internationalen Organisation "Tourism Child-Protection Code" ist heute bezeichnenderweise der Leiter für Corporate Responsibility von Kuoni. In den letzten Jahren hat Kuoni in der Schweiz mit einer vorbildlichen Corporate Responsibility-Policy für den gesamten Konzern die Vorreiterrolle für eine umfassendere unternehmerische Verantwortung im Tourismus eingenommen.
Darüber hinaus tut sich beim ehemaligen Branchenpionier Schweiz kläglich wenig: Hier optional das Angebot eines Klimatickets zur Kompensation des CO2-Ausstosses auf Flügen, das von der Kundschaft kaum wahrgenommen wird. Da die Unterstützung eines Waisenhauses oder Schildkrötenprojektes im Zielland, die vornehmlich der Imagepflege des Veranstalters dient. Mit solch beliebigen freiwilligen Massnahmen kommen die Tour Operators keineswegs den heutigen Anforderungen der unternehmerischen Verantwortung nach.
Für Reisen mit Zukunft!
Wie Tourismusunternehmen aus anderen Ländern vorangehen und was "best practice" ist, zeigte sich auf der letzten ITB Berlin, wo die Reisemesse im dritten aufeinanderfolgenden Jahr einen ganztägigen Kongress zu "Corporate Social Responsibilty" (CSR) veranstaltete. Glaubwürdig ausgewiesene umwelt- und sozialverträgliche Reiseangebote sind im Aufwind.
In der Schweiz würden, so belegt eine neue Umfrage der Fachhochschule Luzern, rund 22 Prozent der Reiselustigen das Thema der Nachhaltigkeit bei ihrem Buchungsentscheid massgeblich berücksichtigen. Jetzt müssten sie das Angebot im Reisebüro nur noch finden – transparent deklariert und zu erschwinglichen Preisen. Die Kundschaft zeigt sich noch zögerlich. Kein Wunder, geben doch die gängigen Ausschreibungen kaum oder gar keinen Aufschluss über ihre Nachhaltigkeit. Ausser ein paar ausgewählte Angebote im Hochpreissegment. Es kann aber nicht sein, dass sozial faire und ökologisch verträgliche Ferien nur im Luxusreisebereich erhältlich sind, rechnet sich doch Umweltschutz und Fairness gegenüber Beschäftigten und Einheimischen am Zielort längst auch für die nachhaltige Entwicklung der Unternehmen aller Preisklassen. "Die Unternehmen müssen die Vorreiterrolle einnehmen, Nachhaltigkeit ist Langzeitökonomie", hielt Professor Hansruedi Müller der Universität Bern am CSR-Tag auf der ITB in aller Deutlichkeit fest.
Da ist auch Travel Inside als wichtigste Schweizer Fachzeitschrift der Branche gefordert, mit entsprechender Berichterstattung – zum Beispiel über die spannenden Auseinandersetzungen und Erkenntnisse des CSR-Tages auf der ITB – die Schweizer Reisebranche zu informieren und zum nachhaltigen Wirtschaften aufzufordern. Damit der Tourismus und mit ihm letztlich auch die Fachpresse überhaupt Zukunft haben.
Der Beitrag von Christine Plüss erscheint in gekürzter Form heute auch in der Jubiläumsausgabe des Travel Inside