
Trip Advisor, unser hässlicher Spiegel
Das ist der einfache Grund, warum Restaurantführer so beliebt sind. Aber sie haben Konkurrenz bekommen, und die härteste Konkurrenz erwächst ihnen aus dem Internet. Etwa mit dem marktbeherrschende Portal Tripadvisor, dessen Bewertungen und Empfehlungen stets als erste auftauchen, wenn ich den Begriff "Restaurant" mit einer Stadt kombiniere und in die Google-Suchmaske eingebe.
Tripadvisor ist ein Produkt der sogenannten Schwarmintelligenz. Das Portal bietet seinen Nutzern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen, die sie in fremden Ländern gemacht haben, mit anderen Nutzern zu teilen. Wer also irgendwo auf Urlaub war, in einem Hotel abgestiegen ist und in der hoteleigenen Pizzeria eine Calzone mit Meeresfrüchten gegessen hat, gilt dem Tripadvisor als Experte und darf sowohl sein Hotelzimmer als auch die Pizza, an deren Namen man bereits ihre Scheusslichkeit ablesen kann, auf Fotos ins Netz stellen und womöglich mit dem Maximum an fünf Punkten bewerten. Diese Bewertung eines offensichtlich Ahnungslosen zahlt dann in die Statistik des betreffenden Ortes ein, verbessert den Rang des Hotels im Hotelranking und führt dazu, dass man bei seiner Suche nach einer annehmbaren Mahlzeit auf den ansprechenden Titel "Die beste Pizza meines Lebens" stösst.
Auf Tripadvisor dürfen alle alles. Und: Sie tun es.
Die Benutzung von Tripadvisor ist gratis. Das hat das Portal so populär gemacht. Man bekommt über jeden Winkel der Welt Informationen, was für ein Angebot. Nur: Was sind diese Informationen wert? Die Tatsache, dass viele Anbieter selbst für super Kritiken auf Tripadvisor sorgen, kann man ja vielleicht noch hinnehmen. Schlicht deprimierend jedoch ist, was offensichtlich viele Menschen für empfehlenswert oder wenigstens mitteilenswert halten. Um es auf einen Nenner zu bringen: Billig sollte es sein, die Portionen müssen gross sein, und selbst am anderen Ende der Welt steht am besten etwas auf dem Tisch, was man von zu Hause kennt.
Als ich zuletzt in Saigon mangels anderer Anhaltspunkte wissen wollte, welche Orte Tripadvisor für empfehlenswert hält, bekam ich folgende Liste serviert: zwei französische Restaurants vor einem Pizzalokal, eine amerikanische Fleischbrockenhütte vor einem marokkanischen und noch einem italienischen Restaurant. Das erste wirklich interessante vietnamesische Lokal befand sich auf Platz zehn, das grossartige "Com Nieu Saigon" rangiert abgeschlagen auf Platz 136.
In Zürich wird das durchaus anspruchsvolle "Spice im Rigiblick" zwar auf Platz eins gelobt, doch mit der Einschränkung, dass es "nicht günstig", "sehr teuer" oder "sehr, sehr teuer" sei. Okay, wir sind gewarnt, und wenn wir es etwas einfacher wollen, finden wir unter den Top 10 auch "Rolli’s Steakhouse Oerlikon", wo wir uns als Angebot "Fleisch Fleisch Fleisch" vorzustellen haben – und das ist keine Warnung.
Tripadvisor verrät mehr über die Hobbyrezensenten als das gastronomische Angebot.
Und wenn man in die Texte der Hobbykritiker hineinliest, dann wünscht man sich regelrecht den arroganten Sound professioneller Rezensenten zurück, deren Prosa wenigstens Aufschlüsse über die Beschaffenheit des Essens zulässt und nicht nur Urlaubsanekdoten mit Gemecker über den Preis eines Gedecks präsentiert oder die Tatsache, dass man nicht den Tisch bekommen hat, den man gern gehabt hätte
Soll nicht heissen, dass die Lektüre völlig sinnlos wäre: Auf Tripadvisor bekommen wir einen guten Eindruck davon, mit welch kleinlichen und übellaunigen Themen sich die Betreiber von Restaurants täglich herumschlagen müssen, um ihre Gäste zufriedenzustellen – uns. Denn Tripadvisor hält niemand anderem den Spiegel vor als uns selbst.