Das milde Klima, 320 Sonnentage, lange Strände, das Licht – die Insel Djerba ist das Lieblingsziel der Deutschen in Tunesien. Doch die TouristInnen bleiben weg auf Djerba, ebenso in den Küstenorten Hammamet und Sousse. Kamen 2010 noch 4’580’631 Deutsche nach Tunesien, waren es 2016 gerade einmal 129’085. Das Land darbt, die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ist hoch. Die Krise im Tourismus, dem zweitwichtigsten Wirtschaftsfaktor vor der ebenso dahinsiechenden Phosphatindustrie, verschärft die Situation, denn eine Arbeit an den Stränden Tunesiens war für viele ArbeitsmigrantInnen aus dem vernachlässigten Landesinneren eine Perspektive.
Die Anschläge am Strand von Sousse im Juni 2015 und im Bardo-Museum von Tunis im März 2015 haben dem internationalen Tourismus schwer geschadet. Ihre Brutalität hat sich in den Köpfen festgesetzt. Jetzt patrouilliert eine Polizeigarde mit zähnefletschender Dogge am Strand. Das tunesische Innenministerium hat die Tourismuspolizei erheblich verstärkt sowie mobile Sicherungsposten eingerichtet. Der islamistische Terror gegen touristische Anlagen ist nicht nur weltweit sichtbar, er richtet sich auch gegen einen hedonistischen, freizügigen Lebensstil in den Touristenorten des Landes. Denn es tobt ein Kulturkampf im Land, zwischen einem konservativen, traditionellen, religiösen Gesellschaftsverständnis der mitregierenden islamistischen Partei Ennadha und einer modernen, aufgeklärten, säkularen Gesellschaft. Er wird von Seiten der IslamistInnen erbittert geführt, denn die kulturelle Hegemonie liegt in Tunesien bis jetzt bei einer säkularen Mehrheit und aktiven Zivilgesellschaft. Ein Garant dafür ist die Stellung der tunesischen Frau, die schon seit den 1950er-Jahren gleichgestellt ist.
Die Jugendarbeitslosigkeit lag in Tunesien am Jahresanfang 2016 bei 40 Prozent. No future zu haben – so gewalttätig sich das auf die Einzelnen auswirkt – ist aber kein Asylgrund in Europa. Trotzdem sollen nach einer Studie des tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES) etwa 45 Prozent aller jungen TunesierInnen bereit sein, das Land zu verlassen. Legal oder illegal.

Die jungen Männer sind verunsichert

Im heutigen, demokratisch verfassten Tunesien gibt es rechtliche und demokratische Freiheiten und viele Verheissungen. Die Realität ist jedoch ernüchternd: Nur ein Teil der Jugendlichen kann sich die Freiheit leisten. Ein anderer, meist männlicher Teil ohne festes Einkommen vegetiert in Kaffeehäusern, abhängig von der Familie und damit entmündigt. Unter den AbsolventInnen von Fach- und Hochschulen hat jeder Zweite keine feste Stelle. Die vierzig Prozent arbeitslosen jungen Männer mit universitärer Ausbildung kommen meistens aus der unteren Mittelschicht. Ihr sozialer Aufstieg funktioniert trotz Ausbildung nicht. Sie studieren, um arbeitslos zu werden, denn "es gibt eine Inkompatibilität zwischen dem Arbeitsmarkt und der Universität", sagt der tunesische Politologe Hamza Meddeb in einem Interview mit dem Onlineportal qantara.de.
Tunesiens junge Männer sind frustriert, weil sie nach den Sternen griffen und dann erst einmal im Restpatriarchat landeten. Die alten Männer beherrschen weiter die Politik. Tabus, Normen, Unterdrückungen, Ungleichheiten in der Familie und der Gesellschaft bestehen weiter. Die Aufarbeitung der Gewalt, Willkür und Unterdrückung unter Diktator Ben Ali fängt gerade erst an. Eine "Wahrheitskommission" hat mit tausenden Opfern der Diktatur gesprochen und Dokumente ausgewertet. Die öffentlichen Anhörungen verfolgt das ganze Land – live im Fernsehen. Und auch die Umgestaltung der Institutionen – Gerichte, Polizei, Ämter – hat kaum begonnen.
Das Ende des Patriarchen brachte erst Hoffnung und dann Enttäuschung, aber auch Verunsicherung und neue Anforderungen an alle. Die erfolgreiche Revolution erfährt nun die Mühen der Ebene: Während die Frauen oftmals mehr Frustrationen aushalten, haben junge Männer, denen diese Frauen nun auf die Füsse treten, für ihre Perspektivlosigkeit kein klares Hassobjekt mehr. Aber gleichzeitig sehnen sie sich nach alter Männerherrlichkeit. "Wir sind eine schizophrene Gesellschaft", sagt die tunesische Sozialwissenschaftlerin Faouzia Charfi. "Wir werden an vielen Schulen modern erzogen und sollen uns zu Hause wieder völlig unterordnen. Wir sind offen, demokratisch, frei, müssen uns aber mit vielen, auch religiösen Tabus herumschlagen." Angriff erscheint da einigen als die beste Verteidigung: Mit dem Dschihad und islamistischen Ideologien rächt sich die ruinierte Seele auf die männliche Art.

Nach Schätzung des tunesischen Innenministeriums kämpfen 3’000 junge Männer, teilweise auch junge Frauen, in Syrien und im Irak, nach UN-Angaben sollen es bis 5’000 KämpferInnen aus Tunesien sein. Es ist die grösste Gruppe unter den ausländischen KämpferInnen. Mindestens 500 von ihnen sollen inzwischen zurückgekehrt sein. Klar ist: An den Grenzen Tunesiens zu Libyen und Algerien kursieren unter anderem deutsche Waffen aus den Arsenalen Gaddafis, und konkurrierende islamistische Gruppen morden, im Wettkampf um die grösste Aufmerksamkeit, um den ‹coolsten› Anschlag.

Radikalisierung durch den politischen Islam

Die islamistische Ennadah-Partei, die das Land nach der Revolution 2011 zwei Jahre regierte, stand im Verdacht, sehr tolerant gegenüber dem islamistischen Terror zu sein, auch wenn sie sich nach aussen moderat gab. Ganz im Sinne der Demokratie entstanden nach der Revolution 2011 unzählige Associations (Vereinigungen), viele davon mit religiöser Einfärbung, vor allem in den vernachlässigten Regionen im Inneren des Landes und in den ärmeren Stadtvierteln von Tunis. Sie wurden mit Geldern aus dem Nahen Osten unterstützt. So konnte sich über das ganze Land ein Netz islamistischer Zellen spannen, deren Knotenpunkt die Moscheen sind. Vor allem dort werden heute die jungen DschihadistInnen mit Geld und anderen Verlockungen geködert. Während der Regierung der islamistischen Partei nach der Revolution von 2011 eroberten SalafistInnen ungestört die Moscheen. Sie betrieben Sozialarbeit, nahmen sich der Jugendlichen an, indoktrinierten sie. Mit dem Dschihad winkt ihnen Geld und eine Aufgabe.
Die Moscheen sind ein Auffangbecken für perspektivlose junge Männer, die im Namen der Religion eine Art Geschlechter- und Klassenkampf führen: gegen die bürgerlichen Eliten, gegen die unverschleierten Frauen, die ungläubigen Intellektuellen, die aufgeklärte Mittelschicht – gegen fast das ganze Land.  

Lesen Sie den spannenden Beitrag im Magazin "Keine Freiheit im Paradies – Tourismus & Migration" (Nr. 361, Juli/August 2017)     
Edith Kresta ist Ressortleiterin bei der taz in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Reisen, Interkulturelles, Spanien und der Maghreb.

iz3wiz3w steht für das Informationszentrum 3. Welt in Freiburg, einem unabhängigen Verein, der sich in der Bildungsarbeit zu Süd-Nord-Themen engagiert. iz3w versteht sich keineswegs als "neutrale" Quelle für Informationen und Analysen zum Weltgeschehen. Vielmehr wird die Ordnung einer Welt kritisiert, die nicht die beste aller denkbaren ist, als Ausgangspunkt für Ideen, die über das Bestehende weit hinaus weisen.   

Die jungen Männer sind verunsichert

Im heutigen, demokratisch verfassten Tunesien gibt es rechtliche und demokratische Freiheiten und viele Verheissungen. Die Realität ist jedoch ernüchternd: Nur ein Teil der Jugendlichen kann sich die Freiheit leisten. Ein anderer, meist männlicher Teil ohne festes Einkommen vegetiert in Kaffeehäusern, abhängig von der Familie und damit entmündigt. Unter den AbsolventInnen von Fach- und Hochschulen hat jeder Zweite keine feste Stelle. Die vierzig Prozent arbeitslosen jungen Männer mit universitärer Ausbildung kommen meistens aus der unteren Mittelschicht. Ihr sozialer Aufstieg funktioniert trotz Ausbildung nicht. Sie studieren, um arbeitslos zu werden, denn "es gibt eine Inkompatibilität zwischen dem Arbeitsmarkt und der Universität", sagt der tunesische Politologe Hamza Meddeb in einem Interview mit dem Onlineportal qantara.de.
Tunesiens junge Männer sind frustriert, weil sie nach den Sternen griffen und dann erst einmal im Restpatriarchat landeten. Die alten Männer beherrschen weiter die Politik. Tabus, Normen, Unterdrückungen, Ungleichheiten in der Familie und der Gesellschaft bestehen weiter. Die Aufarbeitung der Gewalt, Willkür und Unterdrückung unter Diktator Ben Ali fängt gerade erst an. Eine "Wahrheitskommission" hat mit tausenden Opfern der Diktatur gesprochen und Dokumente ausgewertet. Die öffentlichen Anhörungen verfolgt das ganze Land – live im Fernsehen. Und auch die Umgestaltung der Institutionen – Gerichte, Polizei, Ämter – hat kaum begonnen.
Das Ende des Patriarchen brachte erst Hoffnung und dann Enttäuschung, aber auch Verunsicherung und neue Anforderungen an alle. Die erfolgreiche Revolution erfährt nun die Mühen der Ebene: Während die Frauen oftmals mehr Frustrationen aushalten, haben junge Männer, denen diese Frauen nun auf die Füsse treten, für ihre Perspektivlosigkeit kein klares Hassobjekt mehr. Aber gleichzeitig sehnen sie sich nach alter Männerherrlichkeit. "Wir sind eine schizophrene Gesellschaft", sagt die tunesische Sozialwissenschaftlerin Faouzia Charfi. "Wir werden an vielen Schulen modern erzogen und sollen uns zu Hause wieder völlig unterordnen. Wir sind offen, demokratisch, frei, müssen uns aber mit vielen, auch religiösen Tabus herumschlagen." Angriff erscheint da einigen als die beste Verteidigung: Mit dem Dschihad und islamistischen Ideologien rächt sich die ruinierte Seele auf die männliche Art.

Nach Schätzung des tunesischen Innenministeriums kämpfen 3’000 junge Männer, teilweise auch junge Frauen, in Syrien und im Irak, nach UN-Angaben sollen es bis 5’000 KämpferInnen aus Tunesien sein. Es ist die grösste Gruppe unter den ausländischen KämpferInnen. Mindestens 500 von ihnen sollen inzwischen zurückgekehrt sein. Klar ist: An den Grenzen Tunesiens zu Libyen und Algerien kursieren unter anderem deutsche Waffen aus den Arsenalen Gaddafis, und konkurrierende islamistische Gruppen morden, im Wettkampf um die grösste Aufmerksamkeit, um den ‹coolsten› Anschlag.

Radikalisierung durch den politischen Islam

Die islamistische Ennadah-Partei, die das Land nach der Revolution 2011 zwei Jahre regierte, stand im Verdacht, sehr tolerant gegenüber dem islamistischen Terror zu sein, auch wenn sie sich nach aussen moderat gab. Ganz im Sinne der Demokratie entstanden nach der Revolution 2011 unzählige Associations (Vereinigungen), viele davon mit religiöser Einfärbung, vor allem in den vernachlässigten Regionen im Inneren des Landes und in den ärmeren Stadtvierteln von Tunis. Sie wurden mit Geldern aus dem Nahen Osten unterstützt. So konnte sich über das ganze Land ein Netz islamistischer Zellen spannen, deren Knotenpunkt die Moscheen sind. Vor allem dort werden heute die jungen DschihadistInnen mit Geld und anderen Verlockungen geködert. Während der Regierung der islamistischen Partei nach der Revolution von 2011 eroberten SalafistInnen ungestört die Moscheen. Sie betrieben Sozialarbeit, nahmen sich der Jugendlichen an, indoktrinierten sie. Mit dem Dschihad winkt ihnen Geld und eine Aufgabe.
Die Moscheen sind ein Auffangbecken für perspektivlose junge Männer, die im Namen der Religion eine Art Geschlechter- und Klassenkampf führen: gegen die bürgerlichen Eliten, gegen die unverschleierten Frauen, die ungläubigen Intellektuellen, die aufgeklärte Mittelschicht – gegen fast das ganze Land.  

Lesen Sie den spannenden Beitrag im Magazin "Keine Freiheit im Paradies – Tourismus & Migration" (Nr. 361, Juli/August 2017)     
Edith Kresta ist Ressortleiterin bei der taz in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Reisen, Interkulturelles, Spanien und der Maghreb.

iz3wiz3w steht für das Informationszentrum 3. Welt in Freiburg, einem unabhängigen Verein, der sich in der Bildungsarbeit zu Süd-Nord-Themen engagiert. iz3w versteht sich keineswegs als "neutrale" Quelle für Informationen und Analysen zum Weltgeschehen. Vielmehr wird die Ordnung einer Welt kritisiert, die nicht die beste aller denkbaren ist, als Ausgangspunkt für Ideen, die über das Bestehende weit hinaus weisen.