Basel, 15.05.2011, akte/ Eine Wand mit der Aufschrift in Druckbuchstaben "Interdit de toucher". Davor eine Ansammlung von Sperrgut, neben einem Anhänger mit Rohren. Das ist einer von 70 Seitenblicken, die Ueli Stilli in seinen 40 Jahren des Reisens durch verschiedene Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika festgehalten hat. Weshalb sollte man den kaputten Stuhl, das Brett, ursprünglich wohl eine Schranktür, das Stück Gartenzaun oder die Reste des Chassis nicht anfassen dürfen? Wem gehört wohl der Anhänger? – Der Fotograf, Ueli Stilli, lässt die Betrachterin mit ihren Fragen erst einmal alleine. Wer die Auflösung sucht, muss weit nach hinten blättern. Da finden sich die Fotolegenden gesammelt auf drei Seiten, mit Ort, Zusammenhängen, hier und da einer kleinen Erklärung. Zum oben genannten Bild steht: Savè, Benin, im Hof einer seit Jahren stillgelegten Tabakfabrik.
Stilli begann als junger Lehrer für seinen Geografieunterricht Menschen und ihre Umwelt zu fotografieren, später, für seine Tätigkeit bei "Swisscontact", brauchte er die Aufnahmen, um die Entwicklungsprojekte und ihre Trägerinnen und Träger zu dokumentieren. Er versucht, sein Hauptaugenmerk nicht auf den offensichtlichen Mangel und die Missstände zu richten. Ihn interessiert vielmehr das "undramatische Alltagsleben, in dem die Menschen Akteure und nicht Opfer sind", wie er im Vorwort schreibt: "Jedes Foto ist ein Augenblick in einer Geschichte, die wir nicht kennen, die wir uns aber vielleicht vorzustellen versuchen, wenn wir das Bild anschauen. So wird ein Bild, das sein Geheimnis gleichzeitig zeigt und wahrt, zum Auslöser eigener Bilder, die ein Betrachter sich macht."
Die Fotos sind ein Beleg für Stillis künstlerisches Talent. Sie sind nicht nach Ländern oder Themen gruppiert. Mal sind es ausdrucksstarke Porträts, mal Stillleben oder Landschaften. Sie folgen einander nach einer formal-ästhetischen Logik. Das ist angenehm für das Auge und schafft den von Stilli beabsichtigten Raum für die eigene Annäherung und neue Sinneseindrücke: So scheint man beim Bild der Rezeptionistin in Ouagadougou, die weit im Stuhl zurückgelehnt mit dem roten Hörer am Ohr ins Telefongespräch vertieft ist, geradezu die sie umgebende Hitze zu spüren.
Bilder von Menschen und Situationen im Süden schreien uns meistens Botschaften entgegen: "Schaut, wie schlecht es uns geht", vermitteln oft die Bilder von Entwicklungsorganisationen. Schaut, welch unberührtes Paradies es hier noch gibt, möchte uns die touristische Werbung glauben machen. Katastrophenbilder kommen in den Nachrichten. Über Bildsprachen schreibt die Kulturjournalistin (NZZ am Sonntag) Nadine Olonetzky. Ueli Stillis Bilder kämen im Gegensatz dazu eben nicht mit dem Pathos daher, die einzige Wahrheit über einen aussergewöhnlichen Augenblick verbreiten zu wollen. "Als Zaungast mit Kamera, bescheiden, aber offen, eher im Hintergrund tätig, aber wach für die Stimmung des Moments, hat Stilli Bilder gesammelt, die Facetten des Lebens zeigen, keine Stereotypen wiederholen."
Für Ueli Stilli als ehemaligen Mitarbeiter von Swisscontact, der Entwicklungsorganisation der Schweizer Wirtschaft,  bietet die Übersicht über die Entwicklungszusammenarbeit im Wandel der Zeit von Klaus M. Leisinger, Professor an der Universität Basel, Präsident und Geschäftsführer der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung und langjähriger Berater verschiedener nationaler und internationaler Organisationen, die passende Abrundung.
Ueli Stilli: Paradise Hotel. Fotografien. Christoph Merian Verlag, Basel 2011, 136 Seiten, über 70 Farbabbildungen, in Leinen gebunden, Deutsch/Englisch,  CHF 38.– / Euro 26,–  ;ISBN 978-3-85616-526-0