Tourismusforscher Kurt Luger hat sich mit der Overtourismus-Frage wissenschaftlich auseinandergesetzt. Wohlgemerkt schon vor der großen Aufregung in den vergangenen Wochen. Sein Fazit ist eindeutig: "Das Verständnis der Einheimischen ist ausgereizt."

Teil der Studie ist eine Umfrage unter 400 SN-Lesern. Dass der Tourismus in der Stadt die Schmerzgrenzen überschreite, sagen 72 Prozent der Befragten aus der Stadt Salzburg und aus den Umlandgemeinden. 15 Prozent ist es immer zu viel, 57 Prozent zumindest zu den Saisonzeiten.

Zwei Drittel der Interviewten meiden mehr oder weniger oft die Altstadt. Während 17 Prozent sogar häufig einen Bogen um das Zentrum machen, weichen 49 Prozent zu gewissen Zeiten aus. 

Zwei Faktoren werden an Tagen mit vielen Touristen als besonders störend empfunden: 51 Prozent fühlen sich räumlich beengt, 38 Prozent können das Bummeln nicht ungestört ausleben. Zu aggressiven Übergriffen, wie dem Angriff auf eine Fremdenführerin vor wenigen Wochen, führten andere Dinge, sagt Luger. "Das sind eher Kleinigkeiten. Etwa wenn Einheimische mit dem Rad unterwegs sind und eine Gruppe von Touristen die ganze Gasse blockiert."

Immerhin 41 Prozent finden keine störenden Faktoren, wenn sie in hochfrequenten Zeiten in die Stadt kommen ("Das gehört zur Stadt dazu").

Von einer weitreichenden Verweigerung der Altstadt lässt sich derzeit noch nicht sprechen. Über 50 Prozent der Befragten sind zumindest ein Mal pro Woche im Stadtzentrum. Nur 15 Prozent aus Stadt und Umland kommen seltener als monatlich dorthin. Die wichtigsten Motive für einen Besuch: bummeln oder spazieren gehen (66%), Café oder Restaurant besuchen (54%), kulturelle Veranstaltungen (46%), Freunde treffen (44%).

Ein besonderes Ärgernis im Zusammenhang mit touristisch starken Tagen ist der Verkehr. Den Individualverkehr sehen drei Prozent der Befragten positiv und 74 Prozent negativ. Luger: "Das ist ein Fiasko." Dementsprechend kommen Bewohner der Stadt zu 64 Prozent mit dem Fahrrad ins Zentrum, zu 40 Prozent mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und nur zu 15 Prozent mit dem privaten Pkw (Mehrfachnennungen möglich, Anm.). Besucher aus den Umlandgemeinden kommen zu 66 Prozent mit dem Pkw.

Sehr deutlich fällt die Befürwortung einer autofreien Innenstadt (ausgenommen Lieferanten, Hotelzufahrten) aus. 71 Prozent sind dafür, nur 25 Prozent dagegen. Ausgeglichen ist die Stimmungslage, was die Erweiterung der Mönchsberggarage betrifft: In der Stadt sind 44 Prozent dafür und 43 Prozent dagegen. Die Befragten aus den Umlandgemeinden sind hingegen mit deutlicher Mehrheit von 58 Prozent für einen Ausbau.

Ein Reizthema sind auch die vielen Reisebusse in der Innenstadt. 87 Prozent sprechen sich dafür aus, die Reisebus-Terminals an den Stadtrand zu verlegen. Die Zahl der Tagestouristen beschränken wollen 57 Prozent. Eine Reduzierung der Märkte und Feste in der Altstadt halten hingegen nur wenige für eine geeignete Maßnahme. Lediglich sieben Prozent sind dafür.

Kurt Luger sieht aktuell nicht die Gefahr eines Aufstands seitens der Einheimischen. "Aber wenn jetzt nichts passiert, dann haben wir in ein paar Jahren eine echte Krise." 

«Das Weltkulturerbe ist das Grandioseste, was wir haben»

Der Status als Weltkulturerbe bringt Salzburg jährlich 300 Millionen Euro ein. Das hat Kurt Luger jüngst erhoben. Am stiefmütterlichen Umgang mit dem Prädikat ändere das nichts, sagt der langjährige Uni-Professor und UNESCO-Lehrstuhlinhaber für Kulturelles Erbe und Tourismus.

Salzburg sei weltweit ein ganz besonderer Platz – das müsse man den Touristen noch viel gezielter vermitteln. Selbst geführte Gruppen würden zum Teil wenig erfahren: "Ich habe mit Studenten Gäste nach einer Stadtführung gefragt, was sie gerade gesehen haben. Der Großteil wusste es nicht." Öffentlich ausgewiesen sei das Weltkulturerbe in der ganzen Stadt nur ein einziges Mal, auf dem Mozartplatz. "Wer die Stadt einfach so besucht, bekommt vom Welterbe gar nichts mit."

Der Anspruch müsse sein, den Besuchern Geschichte und Besonderheit der Altstadt viel gezielter zu vermitteln. Welterbe bedeute Qualität, das müsse das Ansinnen der Tourismusbranche sein. Als eine konkrete Maßnahme schlägt er die Einrichtung eines Welterbe-Zentrums vor: "zum Beispiel unter dem Dach des Salzburg Museums." So könne man den Bildungsauftrag der UNESCO umsetzen. Dieser werde derzeit weitgehend ignoriert.

Im Rahmen einer Umfrage (Details siehe Infokasten) wurde die Einstellung der Bevölkerung zum Welterbe erfragt. 35 Prozent wussten das Jahr der Ernennung (1997), 94 Prozent finden, dass die Stadt von der Auszeichnung profitiert.

Als wichtig für den Denkmalschutz stufen 84 Prozent das Welterbe ein, rund 80 Prozent finden, dass es ein Streitpunkt bei Neubauten ist. Im Falle eines Verlustes des Status rechnen nur 33 Prozent mit einem Rückgang bei den Besucherzahlen. Die Gründe für die Auszeichnung – von den zahlreichen Bauwerken aus Barock und Mittelalter bis zu den großen Künstlern um Mozart – wurden weitgehend richtig erkannt, rund 30 Prozent tippten fälschlicherweise auch auf "Stille Nacht" oder "Sound of Music" als Hauptgründe.

Letztlich würden Bürger wie auch die Politik den Welterbe-Status als nettes Anhängsel sehen, sagt Luger. Inhalt der öffentlichen Debatte sei es vor allem dann, wenn es um Bauprojekte in der Altstadt geht. Das störe ihn enorm. "Das Welterbe ist kein Hemmschuh und kein Hindernis für kreative Architekten, es ist das Grandioseste, was wir haben." Viele Städte würden froh sein, wenn sie den Modernisierungswahn rückgängig machen könnten. Gut zu bauen, sei auch in der geschützten Zone möglich, das Hotel Stein und das Sternbräu seien Beispiele.

Kurt Luger hofft, dass die Stadtpolitik die Studie zum Anlass nimmt, sich einen Management-Plan in Sachen Welterbe zurechtzulegen. "Bewahrender Fortschritt" – so müsse das Credo für die weitere Altstadtentwicklung lauten.