Geplant war nur ein  kleiner Eindruck von einem  Flüchtlingslager – einem Bereich der Geschichte der PalästinenserInnen, der sonst nicht zu den Aufgaben der MenschenrechtsbeobachterInnen gehört.  „Doch dann hat es uns halt voll erwischt“ erzählt der Beitrag vom 7. April im Blog der  MenschenrechtsbeobachterInnen aus Palästina/Israel auf fairunterwegs.org
Bedrückend und bedrängend eng ist es, als wir mit Mohammed und Mustafa zur Hausbesichtigung aufbrechen. Die Gasse ist kein halber Meter breit doch mehr als 100 Meter lang. Man/frau kann sich nicht kreuzen, kein  Sonnenstrahl wird je dieses Halbdunkel erhellen. Und obwohl es schon lange trocken ist, tropft es noch immer von den 2- bis 4-stöckigen Bauten und ist muffig kalt.
Dann betreten wir das ‘Haus’: eine Mutter mit drei Kindern wohnt hier: Im Wohnzimmer ein kleiner Laden, wo hauptsächlich Süssigkeiten verkauft werden, womit die Frau vielleicht etwas verdient, zwei kleinste Schlafzimmer und eine erbärmliche Küche. So etwa stelle ich mir das Wohnen in einem Slum vor. Und dies hier besteht seit langen 60 Jahren, dabei ist jeder Tag in diesem Loch ein Tag zuviel.

Das Flüchtlingslager ‘Balata’ ist 1951 als eines der ersten durch die UNWRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) eingerichtet worden. (Balata ist das grösste Flüchtlingslager im Westjordanland; es liegt zwischen Nablus und dem Huwara-Checkpoint, Anm.d.Red.). Es sind am Anfang vor allem PalästinenserInnen aus Haifa gewesen: Dort wohlhabende, gut ausgebildete Bürger sind hier plötzlich armselig und arbeitslos notdürftig in Zelten untergebracht worden für zehn lange Jahre. Anschliessend, in den 60er Jahren, wurden die ersten Häuser gebaut: In einem Zimmer von drei auf drei Metern wurden ganze Familien zusammengepfercht. 7-8000 Personen fanden damals hier Unterkunft.
Heute wohnen in einem einzigen Haus von 120 Quadratmetern zum Teil bis zu 85 Personen. Das Balata-Flüchtlingslager ist eines der kleinsten: Es steht auf nur mal einem Quadratkilometer. Und doch ist es eines der grössten: 25 000 Personen wohnen heute dort, dazu gibt es drei Moscheen, drei Schulen und ganz vielen Gemeinschaftshäuser. Da sind einem die Nachbarn viel zu nahe, man hört und sieht alles – täglich brechen wegen dieser erzwungenen Nähe handfeste Konflikte aus. Doch die Nähe schweisst auch zusammen: Balata ist stark, war und ist führend im Kampf gegen die Besatzung. Darum wird das Flüchtlingslager auch überdurchschnittlich oft von der israelischen Armee heimgesucht. Aus Angst vor Heckenschützen hat die israelische Armee bei ihren Einsätzen oft auf die Strasse verzichtet und ist von Wohn-Schlafzimmer zu Wohn-Schlafzimmer vorgerückt, indem sie einfach die Mauern durchbrochen hat. Häuserzüge von mehreren 100 Metern Länge sind so von aussen unbeschädigt, innen jedoch weitgehend zerstört worden. Kein Wunder, dass hier über 99 Prozent der Kinder an psychischen Störungen leidet. Und die Erwachsenen auch: Sie haben sich am Anfang clever eingerichtet. Viele konnten früher in Israel arbeiten, durch all die Restriktionen heute haben nur noch etwa drei Prozent der BewohnerInnen eine Arbeit. Eine immense Arbeitslosigkeit!

Arbeitslos ist auch Mahmoud geworden, der mir dies alles berichtet und uns einen ersten Einblick gibt. Aber nicht im Balata-Lager. Dort ist er aufgewachsen und dann für zehn Jahre in die USA ausgewandert. So wie viele andere auch: 50-60000 Balata Einwohner sind aus dem aus allen Nähten platzenden Flüchtlingslager weiter geflohen oder weiter gezogen. Mahmoud ist es in den USA gut ergangen. Bis zum 9. September – da wurde ihm gekündigt. Er kehrte nach Balata zurück und arbeitet seither in einem Projekt, das Kindern kreativ helfen will, ihre Traumata zu verarbeiten. Eindrücklich, was yafacult.org alles leistet.
Das ist auch bei der ‘Yazour Charitable Society’ so, die wir anschliessend besuchen. Yazour ist ein palästinensisches Dorf, das 1948 schon von den Israeli erobert und später zerstört wurde. Der Name soll verhindern, dass das Dorf vergessen geht und erinnert auch an die UNO-Resolution 194, in der das Recht auf Rückkehr oder Vergütung für palästinensische Flüchtlinge bindend festgelegt worden ist.
Die Organisation betreibt ein medizinisches Ambulatorium – beim Eintreten sitzen  vor allem Frauen im Wartezimmer – und ein ganzheitliches Sozialhilfeprogramm. Im ersten Stock gehen wir an einer kleinen Schulklasse vorbei, Halbwüchsige lernen in lockerer doch intensiver Stimmung gerade Französisch.

Also doch Hoffnung? Auch Mahmoud hat davon geredet: Beide Völker sind es doch schon lange satt, dieses zermürbende, einander fertig machende Leben zu leben, und wollen ein friedliches Auskommen. Irgendeinmal muss es doch geschehen, ein neuer Anfang aus diesem unendlichen Gewirr in Israel und Palästina. Und auch wenn alles noch umgekehrt aussieht – dass es nämlich immer noch schlechter wird: Irgendwann muss es wenden, irgendetwas Besseres muss einmal kommen. Ganz vage tönt das. Und doch ist es keine billige Vertröstung. Sondern voller Hoffnung. Hoffnung die den Mut gibt, dran zu bleiben bei jedem einzelnen Kind und seinen seelischen Verletzungen.

Seit November 2008 berichten Freiwillige aus dem ökumenischen Begleitprogramm EAPPI laufend von ihren Erfahrungen als MenschenrechtsbeobachterInnen in Palästina/Israel imBlog auf fairunterwegs.org. Anfang April konnten von den geplanten vier SchweizerInnen nur zwei einreisen. Den anderen beiden wurde die Einreise verweigert.