Ungebrochene Verhäuselung der Landschaft
Es war einmal ein Bauer, der verkaufte seinen Grund und Boden und ging mit dem Erlös von 2 Mio Fr. auf die Bank, um das Geld gewinnbringend anzulegen. Dort sagte man ihm, Obligationen brächten sehr wenig Zins, Aktien seien risikoreich und der Goldpreis schwanke sehr. Es sei am besten, er würde das Geld in den Boden investieren.
Dieser Witz zeigt, dass die Investition in den Boden die Kapitalanlage schlechthin ist. Wer Eigentum an Boden besitzt, der hat auch Macht (Faust). Wer Boden besass, konnte über die Nutzung befehlen und damit an der Arbeit Anderer verdienen. Der Faktor Geld war im Mittelalter nichts anderes als ein Tauschmittel für Arbeit. Geldausleihe und Zinsen waren offiziell verboten. Es galt die Devise, wie es Thomas von Aquin vertrat, dass ein Jeder sich nur soviel Geld anreichern dürfte, wie er auch Arbeit verrichten konnte ; seine Ressourcen, wie der nutzbare Boden, waren sein Kapital. Geld war eigentlich eine gegenüber dem Kapital fast unwesentliche Grösse.
Diese Zeiten sind vorbei. Längstens hat sich der Geldmarkt vom Arbeitsmarkt abgespalten, ökonomisch wie auch sozial gesehen. Wenn nun die Geldanlage in den eigentlichen Finanzmarkt (Börse) nicht mehr lukrativ genug ist, wird der Boden als Parkierungsfläche für unbenutzbares Geld hoch attraktiv. Dabei spielt für den Kaufpreis für Liegenschaften oder bebaubare Parzellen nicht so sehr die Grösse des Angebotes, als vielmehr der Status des jeweiligen Ortes eine Rolle. Um die Geldanreicherung zum Kapital zu machen, braucht es daher Besitz, von dem man wiederum durch Zinsen und Veräusserung Profit erzielen kann. Dieser Drang nach Besitz nimmt heutzutage deshalb derart abartige Formen an, weil das meiste Geld heutzutage nicht mehr ausschliesslich mit Arbeit, sondern vielmehr mit Besitz verdient werden kann.
Einfamilienbau: Optische Kapitalbindung
Lässt sich Geld nicht mehr in Boden umgiessen, so verliert es aber unweigerlich an Wert. Die Raumplanung hätte die Aufgabe gehabt, das Angebot an Bauzonen so einzugrenzen, dass die Landschaft und das Kulturland geschont blieben.
Die Raumplanung konnte bislang und sollte wohl auch von Anfang an nie diese Aufgabe wirkungsvoll erfüllen. Das Einfamilienhaus als Primär- oder Zweitwohnsitz wurde zu einer materialistischen Perfektion, die optimale Kapitalbildung und –bindung, sozialen Status und auch finanzielle (Erschliessungskosten bei der Gemeinde, Hypothekarzinssystem) und steuerliche Vorteile (oft tiefer Eigenmietwert) miteinander verbindet.
Es ist daher kein Zufall, dass der Bodenrechtsartikel in der Verfassung 1969 gleichzeitig mit dem Schutz des Eigentums aufgenommen wurde. Man wollte daher zwar, dass der Staat in den Bodenmarkt eingreifen kann, doch gleichzeitig sollte das Eigentumsrecht umfassend geschützt werden.
Massive Verstösse gegen das Raumplanungsgesetz
Zahlreich sind die Studien, die zur Raumplanung kürzlich erschienen sind. Selbst die Avenir Suisse kommt in ihrem Kantonsmonitoring zur Raumplanung zu einem klaren Fazit: "Das wohl bedeutendste Vollzugsdefizit betrifft die Dimensionierung der Bauzone. Viele Kantone und unzählige Gemeinden verstossen teilweise massiv gegen die 15-Jahres-Regel des RPG. Wie gezeigt wurde, gibt es zudem in kaum einem Kanton überzeugende Ansätze zum Umgang mit überdimensionierten Bauzonen. Stattdessen wird sogar häufig noch zusätzliches Bauland ausgeschieden. Auf Gemeindeebene sind die Vollzugsdefizite teilweise so eklatant, dass die Grenze zur Illegalität überschritten wird – allerdings häufig, ohne dass dies Sanktionen zur Folge hätte." Bei gleichbleibendem Siedlungswachstum wie heute würde die Schweiz in 380 Jahren überbaut sein!
Tourismusgebiete: Wohnpreise für Einheimische werden unerschwinglich
1978 führte Jost Krippendorf mit dem Titel "Tourismus im Jahre 2010" eine Delphi-Umfrage über die zukünftige Entwicklung des Tourismus in der Schweiz durch. Darin rechneten 70% der Befragten, dass bis dahin die Zahl von 300’000 Zweitwohnungen (1975 gab es etwa 180’000) erreicht würde. In Tat und Wahrheit stehen wir heute bereits bei über 450’000! Jährlich kommen schätzungsweise rund 9000 Zweitwohnungen durch Neubau oder Umwandlung von Erstwohnungen oder Hotels hinzu. In vielen Tourismusgegenden wurden und werden nach wie vor gewaltige Kapitalanlagen in Form von Zweitwohnungen gebunden. Diese stehen oft monatelang leer und belasten das Landschafts- und Ortsbild. Zudem entstehen soziale Spannungen aufgrund der nicht mehr erschwinglichen Wohnungspreise für Einheimische. Der fortschreitende Zweitwohnungsbau in den Tourismusgebieten (aber auch in den Städten) geht einher mit einer massiven Ausdehnung der Bauzonen. So finden sich gemäss Raumentwicklungsbericht des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE, 2005) pro Einwohner mehr als doppelt so viele Bauzonenreserven in touristischen Gemeinden, verglichen mit dem schweizerischen Mittelwert. Das bedeutet, dass die Kantone seit Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes (1980) Zonenplanungen (nicht nur von touristischen Gemeinden) genehmigten, in denen die Kapazität der Bauzonen den Bedarf der heimischen Bevölkerung bei weitem übertrifft.
Griffige Raumplanung zum Schutz der noch unverbauten Landschaften
Grundsätzlich müssten für eine wirkungsvolle Beschränkung des Zweitwohnungsbaus zwei Ziele berücksichtigt werden: Erstens muss das Tempo der Erstellung von Zweitwohnungen mittels jährlicher Kontingente gebremst werden. Zweitens ist die flächendeckende Auffüllung der heute überdimensionierten Bauzonen mit Zweitwohnungen zu verhindern. Das Bundesgericht hat 2009 in ausführlicher Weise zu einem Zweitwohnungsreglement Stellung genommen (Crans-Montana) und die bundesrechtliche Grundlage für den Erlass hoher Erstwohnanteilsquoten (70-100%) und jährlicher Kontingente als klar gegeben erachtet. Im Zusammenhang mit der Volksinitiative von Franz Weber „Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen“ (gefordert wird darin ein genereller Zweitwohnungsplafond von 20% je Gemeinde) hätten daher die nun als verfassungsmässig bezeichneten Zweitwohnungskontingente und Erstwohnanteilsquoten als verpflichtende Massnahmen ins Bundesgesetz über die Raumplanung aufgenommen werden müssten. Es kam aber bekanntlich anders. Das Parlament scheute sich, den Kantonen Vorschriften über die Zweitwohnungen zu machen. Nun wird die Weber-Initiative in der Abstimmung durchaus Chancen haben.
Immerhin hat der Kanton GR als erster ein solches Kontingentssystem für betroffene Gemeinden erlassen. Die Zeit ist für solche Massnahmen reif, zumal die Zweitwohnungs- und Landschaftsinitiative und damit eine immer breitere Bevölkerungsschicht endlich griffige Raumplanungsmassnahmen für den Schutz unserer noch unverbauten Landschaften, aber auch für den Tourismus und die Existenzsicherung unser Landwirtschaft einfordern.
Kein Aufschrei der "stummen Einheimischen"?
Jost Krippendorf prägte den Begriff des stummen Einheimischen, der am Anfang "alles tut und akzeptiert, was von auswärtigen Tourismuspromotoren und meist auch von ihrer eigenen Regierung (…) verlangt wird. (…) Den Tourismus zu fördern sei für die Ortschaft und für die Region lebenswichtig. Von allfälligen negativen Auswirkungen spricht niemand" (Krippendorf, Die Ferienmenschen 1984). Auch heute ist kein Aufschrei zu hören, als die CVP im Dezember 2010 Wohnzonen für Einheimische in den Tourismusorten fordert, quasi in Umkehrung zu den Ferienhauszonen von früher. Die praktisch vollständige Vereinnahmung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens in vielen Orten durch den spekulativen Zweiwohnungsbau und Wohnungserwerb verdrängte die "stummen Einheimischen", die sich abseits der Dorfzentren in gehettoähnlichen Einheimischenquartieren zusammenfinden sollen, um nicht zu sehr die Ferienidylle zu stören. Kein Aufschrei, oder doch? Immerhin regt sich da und dort punktuell ein Widerstand, so im Oberengadin, wo man die Baulobby mit einer eigenen Initiative in die Knie zwang, was in Grindelwald bislang noch nicht gelang. "La beauté du reste" schrieb Bernard Crettaz 1992 und meinte die Zerstörung des Authentischen hinter der Maske der Verhübschung einer Chalet-Schweiz. Wann reissen wir diese Maske nieder?
________________________________________________________________________
Raimund Rodewald ist seit 1990 zuerst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 1992 als Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) tätig. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge zu Landschaftsfragen. Rodewald ist zudem in Lehre und Forschung tätig, zuletzt als Forschungsbeauftragter an der Universität Lausanne und seit 2006 als Gastdozent für "Landschaftsästhetik" an der Universität Basel.