
Unser Wasser – für wie lange noch?
In Geheimverhandlungen werden in Genf gerade der Service public und die Demokratie abgeschafft. An manchen Tagen fahren vor der australischen UN-Botschaft in Genf rudelweise Limousinen vor – und schnell wieder weg. So geht das schon seit bald drei Jahren. Klammheimlich verhandeln hier Spitzenbeamte und DiplomatInnen aus 51 Ländern ein Abkommen, das unser Leben auf den Kopf stellen könnte. Es läuft unter dem Kürzel TISA. Sein Ziel ist es, den Service public zu privatisieren. Also zu zerstören. Weltweit. Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist mit dabei. Die Verhandlungen sind so geheim, dass bis vor ein paar Wochen nicht einmal die Parlamente der Länder wussten, was ihre Unterhändler da treiben. Gerne hätten die Amerikaner die Sache völlig im Dunkeln abgewickelt. In einem Verhandlungspapier, das die Enthüllungsplattform Wikileaks am 19.Juni veröffentlicht hat, fordern die USA, TISA müsse nach dem Abschluss für fünf Jahre vor den Bürgern versteckt werden. Das Dokument, schreiben sie, sei "in einem sicheren, abgeschlossenen Raum oder Container" aufzubewahren.
Keine öffentliche Diskussion
Dass die Amerikaner jede öffentliche Diskussion über TISA verhindern wollen, verwundert nicht. Für die Arbeitenden ist das Abkommen verheerend. Kennen sie es nicht, können sie sich auch nicht wehren. TISA steht für "Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen". Das tönt harmlos. Doch unterschreibt die Schweiz, können die Unternehmen künftig ganze Heere von globalen Wanderarbeitern anheuern, ohne Lohn- oder Arbeitsschutz. Weiter: Weder Parlament noch Volk dürften mit TISA einer Privatisierung der Wasserversorgung, der Spitäler, der Schulen, der Polizei, der sozialen Sicherheit, von SBB und Post etwas entgegenhalten. Und es wäre der Politik auch verboten, den entfesselten Grossbanken UBS und CS irgendwelche Vorschriften zu machen.
Ambitionen vorantreiben
Vieles davon ist längst beschlossen. Denn in Genf verhandelt nur, wer verspricht, die Deregulierung des Service public "sehr ambitioniert vorantreiben" zu wollen. In ihren Papieren nennen sich die Unterhändler, auch die beteiligten Seco-Leute, "die besten Freunde von Dienstleistungen".
Besser würden sie sich die "besten Feinde des Service public und Freunde der internationalen Konzerne" nennen. TISA verspricht den Unternehmen Hunderte von Milliarden Dollar neuer Profite. Den Menschen aber mehr Unsicherheit: Zugang zu lebenswichtigen Diensten hätte dann nur noch, wer dafür bezahlen kann. Teuer bezahlen.
Das Geheimprojekt TISA wurde von Robert Vastine vom Unternehmensverband US Coordination of Service Industries (CSI) ausgeheckt. Der Lobbyist baute, zusammen mit dem European Services Forum (ESF), eine "globale Koalition", Das ESF allein ist ein Zusammenschluss von etwa 70 Banken (wie Goldman Sachs), Versicherungen (wie der Zürich-Versicherung), Konzernen und grossen Unternehmerverbänden. Sie haben in Brüssel 4500 Lobbyisten im Dienst.
Dass Konzerne mächtig sind, wussten wir. Mit Abkommen wie TISA betonieren sie ihre Macht über Demokratie und Politik auch juristisch: Ihr Diktat soll offizielle Weltverfassung werden. Staaten, Politik, Bürgerinnen und Bürger werden entmachtet. Würde das Schweizer Stimmvolk etwa beschliessen, die UBS an die Kandare zu nehmen, wäre dies ein verbotener Akt. Ein Bruch der geheimen Verfassung TISA.
Doch warum organisiert ausgerechnet die Politik ihre eigene Unterwerfung unter das Kommando der Aktionäre? Warum arbeiten Leute wie Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann an der Abschaffung der Demokratie? Zuständig für die TISA-Verhandlungen ist der Botschafter Christian Etter, Mitglied der Geschäftsleitung des Seco unter der privatisierungswütigen Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch. Etter stellt sich auf den Standpunkt, dass Freihandel der Wirtschaft nützlich sei. Baut man Zölle ab, wächst die Wirtschaft. Nur ist das schon lange nicht mehr das Thema.
Deregulierung: Der Widerstand wächst
Was niemand weiss, aber alle gerne wüssten: Welche Konzessionen hat die Schweiz in den TISA- Verhandlungen schon gemacht? Botschafter Christian Etter wiegelt ab: "Es ist kein einziger Text verabschiedet." Und: "Wir verhandeln souverän. Gewisse Dinge sind nicht verhandelbar, etwa das Postmonopol für Briefe unter 15 Gramm." Jedes Land habe zu Beginn solche Ausschlusslisten gemacht.
Doch Etter müsste wissen: Diese Listen sind wenig wert, wenn es um den Abschluss des Vertrages geht. Und erst recht danach. Von Deals wie TISA geht ein starker Druck zur völligen Deregulierung aus. Der blosse Abbau von Zollschranken und Freihandel war früher. Inzwischen begrüssen die Konzerne solche Abkommen, um den Schutz der Arbeitenden auszuhebeln.
Zur Selbstbedienung ohnehin: Im gleichzeitig verhandelten TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA ist ein „Investitionsschutz“ eingebaut, der auch in den geheimen Texten von Tisa stehen soll, wie ein Diplomat versichert. Investitionsschutz bedeutet: Schmälern staatliche Regeln wie Umweltschutzvorschriften oder die Rücknahme von Privatisierungen die Profite, müssen die Staaten diese ersetzen.
Aussteigen
Seco-Mann Etter verspricht, dass TISA irgendwann ins Parlament komme. Eine bessere Idee hat die entwicklungspolitische Organisation Alliance Sud: "Die Schweiz soll sofort aus den Verhandlungen aussteigen". Alliance Sud gehörte zu den ersten, die in der Schweiz über TISA aufklärten. Inzwischen regt sich Widerstand. Im Nationalrat. In den Gewerkschaften, etwa beim SGB und der Internationale der Öffentlichen Dienste PSI.