Der russischstämmige Sergei Parekha (39) hat ursprünglich Informatik und Wirtschaft studiert und nach der Ausbildung ein paar Jahre als Verkäufer von Computern gearbeitet. 1999 heuerte er im Helvetas-Büro in Bishkek, der Hauptstadt Kirgistans, an. Die Schweizer Entwicklungsorganisation engagierte sich damals mit einem Projekt, das Familien und Gemeinden dabei unterstützte, Infrastruktur und Dienstleistungen für Touristen aufzubauen. Als Mitglied des Projektteams lernte Sergei viel über das Reisebusiness. 2001 wechselte er zu einer kirgisischen Reiseagentur, wo er inzwischen Mitinhaber ist. Das Interview entstand während einer zweiwöchigen Biketour mit dem Schweizer Spezialisten "Bike Adventure Tours". Sergei begleitete die Tour. Seine Frau Tatiana (36), die während der Tour kochte, arbeitet ebenfalls im Tourismus und zudem als Fotografin. Von ihr stammen die meisten Bilder in diesem Bericht.  

Sergei, du arbeitest seit 14 Jahren im Tourismus. Was hat sich in dieser Zeit alles verändert?

Die Anzahl der Touristen hat stark zugenommen. Waren es um die Jahrtausendwende noch rund 60’000 Ankünfte pro Jahr, sind es heute mehr als drei Millionen. Vor allem die Besucherzahlen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sind stark gestiegen. Die meisten Touristen kommen aus Kasachstan und Russland.

Das ist ein extremes Wachstum, wie erklärt sich das?

2012 wurde die Visumpflicht für Bürger von 44 Ländern aufgehoben. Die Einreise wurde so vereinfacht. Zudem ist Kirgistan ein für zentralasiatische Verhältnisse ruhiges und stabiles Land. Die letzten Unruhen liegen schon vier Jahre zurück. Damals wurde Staatspräsident Kurmanbek Bakijew gestürzt, und es gab eine Übergangsregierung. Touristen waren nie gefährdet.

Wie hat sich die Infrastruktur in den vergangenen Jahren verändert?

Es gibt heute viel mehr Hotels und andere Übernachtungsmöglichkeiten wie Jurtencamps oder Homestays. Früher gab es fast keine Konkurrenz, und so liess auch die Qualität  zu wünschen übrig. Heute müssen die Anbieter im Wettbewerb bestehen. Das gilt auch für Reiseagenturen, die Touren anbieten.

Warum kommen die Leute nach Kirgistan?

Unsere direkten Nachbarn kommen hauptsächlich zum Baden. Kirgistan ist ein Binnenstaat, hat aber trotzdem ein "Meer": den Issyk-Kul-See. Er ist mit einer Tiefe von 692 Metern einer der tiefsten Seen der Erde und ist 6236 Quadratkilometer gross.

Und warum kommen die Gäste aus Westeuropa? 

Die Berge! Kirgistan wird auch oft als die Schweiz Zentralasiens bezeichnet. Unsere Alpen sind der Tian Shan. Der Name bedeutet: Berge, die

bis zum Himmel reichen. Und das tun sie wirklich. Unsere Bergwelt ist noch abwechslungsreicher als eure. Wir haben nicht nur Bergwälder, Gebirgsseen und Schneeberge, sondern auch Steppen und sogar Wüsten. Das erklärt sich mitunter durch die grosse Höhendifferenz. Der tiefste Punkt liegt auf rund 400 Metern, der höchste ist der Pik Pobeda mit 7’439 Metern. Er ist der nördlichste Siebentausender der Erde. Zudem haben wir den zweitlängsten Gletscher ausserhalb der Arktisgebiete.

Bevor du im Tourismus gearbeitet hast, warst du bei Helvetas tätig und hast dort geholfen, diesen sogenannten Community Based Tourism (CBT) aufzubauen. Was steckt hinter der Idee?

Ein finanzieller Zustupf für die lokalen Familien und ein unverfälschtes Erlebnis für die ausländischen Gäste. Die Jurtencamps sind keine Touristenshow, die Halbnomaden leben im Sommer wirklich so. Helvetas hatte zuvor bereits in Nepal Erfahrungen mit Projekten im Lokaltourismus gesammelt. Eine gute Sache. Inzwischen hat sich die Hilfsorganisation zurückgezogen, und CBT ist eine eigenständige Organisation. Im vergangenen Jahr machten 288 Familien mit: Sie haben insgesamt rund 14 000 Touristen empfangen und 300 000 Franken Umsatz erwirtschaftet. In letzter Zeit soll es zwar einige Pannen mit Buchungen gegeben haben, wahrscheinlich schlechtes Management in den städtischen Büros. Aber nichtsdestotrotz: Fragt man auf dem Land nach CBT, selbst wenn man kein Russisch, geschweige den Kirgisisch spricht, hat man meist bald ein Dach über dem Kopf.

Du warst als Projektmitglied daran beteiligt, die Familien zu schulen. Was waren die Inhalte dieser Workshops?

Wir haben ihnen die Basics im Umgang mit Touristen beigebracht. Dass die Gäste saubere Betten erwarten, Toiletten, Duschen und einen Ort, um sich die Hände mit Seife zu waschen. Auch die Gastronomie haben wir angeschaut. Viele kirgisische Gerichte, vor allem in den Bergen, sind sehr schwer und fleischlastig. Also haben wir den Leuten gezeigt, wie sie ihre Rezepte mit mehr Gemüse etwas leichter machen können. Heute kann man hierzulande sogar als Vegetarier überleben.
Aber wir haben nicht nur die Gastfamilien geschult, sondern auch andere Personen, die mit den Touristen in Kontakt kommen. Etwa die Fahrer.

Die Fahrer? Was musste man denen denn noch beibringen?

Was die Gäste in einem Reisebus erwarten: Wasser, Servietten und einen Erste-Hilfe-Koffer. Aber auch, dass sie pünktlich sein und sich an die Verkehrsregeln halten sollten. Leider fahren einige meiner Landsleute sehr rücksichtslos.

Es ist nett, dass sich die Kirgisen unseren speziellen Bedürfnissen und Befindlichkeiten anpassen. Sollten wir als Gäste auch einige unserer Verhaltensweisen überdenken?

Du solltest die Schuhe ausziehen, wenn du ein Haus betrittst. Dabei geht es nicht um den Staub, den du ins Haus bringen könntest. Das Ausziehen der Schuhe ist ein Zeichen von Respekt. Und wer Fotos von Menschen machen will, sollte diese um Erlaubnis bitten. Wir empfehlen auch, den bettelnden Kindern nichts zu geben.

Die Kinder betteln nur dort, wo sie zuvor von Touristen beschenkt wurden. Rund 20 Prozent der Bevölkerung muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Betteln beziehungsweise Beschenken ist aber keine Lösung. Es macht die Leute abhängig und unselbstständig.

80 Prozent der Kirgisen sind Muslime. Was gibt es in Sachen Kleidung zu beachten?

Eigentlich nichts Spezielles, höchstens wenn du eine Moschee betreten willst. Dann empfiehlt sich, als Frau nicht gerade ein T-Shirt mit Spaghettiträgern zu tragen. Wir leben einen sehr moderaten Islam. Bei der Landbevölkerung ist er zum Teil mit Elementen von Naturreligionen durchmischt. Sie beten nicht nur zu Allah, sondern auch an Kraftorten wie Quellen, Bergen oder Bäumen. Auch Elemente des Buddhismus fliessen zum Teil ein. Zudem sieht man wenige Frauen, die einen Schleier tragen. Ich selber bin russisch-orthodox getauft, aber nicht praktizierend.
Rund acht Prozent der Bevölkerung sind russischstämmig, 15 Prozent usbekisch, und bei etwas mehr als 70 Prozent handelt es sich um Kirgisen. Gibt es Spannungen zwischen diesen verschiedenen Ethnien?
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben viele Russen und Usbeken das Land verlassen. Aus Angst vor Repressionen. Es gab auch Zwist um Land- und Wasserrechte. 2010 flammte der Konflikt zwischen Usbeken und Kirgisen erneut auf. Die Jahre nach der Unabhängigkeit waren für viele sehr schwer, das machte die Leute unzufrieden und streitlustig.  

Heute ist Kirgistan eine parlamentarische Demokratie – die einzige in Zentralasien.

Das stimmt. Unsere direkten Nachbarn sind eher autokratisch: In Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan haben die Präsidenten zu viel Macht, und laut internationalen Wahlbeobachtern sind die Wahlen jeweils manipuliert. Und dann ist da noch China.
Kirgistan belegt im Korruptionsindex von Transparency International Platz 136 von 175 Staaten. Das heisst, es gibt nur 39 Ländern, die noch korrupter sind.
Korruption ist ein Problem, das alle postsowjetischen Staaten haben. Bei unseren Nachbarn ist es noch schlimmer. Aber die Regierung arbeitet daran, so gibt es etwa eine Hotline, um Korruption zu melden.

Kann man Kirgistan eigentlich auch gut auf eigene Faust entdecken?

Die meisten Westeuropäer kommen organisiert. Touristen aus den postsowjetischen Staaten reisen hingegen oft alleine umher. Das hat sicher mit den Sprachkenntnissen zu tun. Aber auch wer kein Russisch spricht, geht nicht verloren. Es braucht einfach etwas mehr Zeit und Geduld, um ans Ziel zu gelangen. In Kirgistan gibt es noch viele schöne abgelegene Gebiete zu entdecken, die nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.   

bis zum Himmel reichen. Und das tun sie wirklich. Unsere Bergwelt ist noch abwechslungsreicher als eure. Wir haben nicht nur Bergwälder, Gebirgsseen und Schneeberge, sondern auch Steppen und sogar Wüsten. Das erklärt sich mitunter durch die grosse Höhendifferenz. Der tiefste Punkt liegt auf rund 400 Metern, der höchste ist der Pik Pobeda mit 7’439 Metern. Er ist der nördlichste Siebentausender der Erde. Zudem haben wir den zweitlängsten Gletscher ausserhalb der Arktisgebiete.

Bevor du im Tourismus gearbeitet hast, warst du bei Helvetas tätig und hast dort geholfen, diesen sogenannten Community Based Tourism (CBT) aufzubauen. Was steckt hinter der Idee?

Ein finanzieller Zustupf für die lokalen Familien und ein unverfälschtes Erlebnis für die ausländischen Gäste. Die Jurtencamps sind keine Touristenshow, die Halbnomaden leben im Sommer wirklich so. Helvetas hatte zuvor bereits in Nepal Erfahrungen mit Projekten im Lokaltourismus gesammelt. Eine gute Sache. Inzwischen hat sich die Hilfsorganisation zurückgezogen, und CBT ist eine eigenständige Organisation. Im vergangenen Jahr machten 288 Familien mit: Sie haben insgesamt rund 14 000 Touristen empfangen und 300 000 Franken Umsatz erwirtschaftet. In letzter Zeit soll es zwar einige Pannen mit Buchungen gegeben haben, wahrscheinlich schlechtes Management in den städtischen Büros. Aber nichtsdestotrotz: Fragt man auf dem Land nach CBT, selbst wenn man kein Russisch, geschweige den Kirgisisch spricht, hat man meist bald ein Dach über dem Kopf.

Du warst als Projektmitglied daran beteiligt, die Familien zu schulen. Was waren die Inhalte dieser Workshops?

Wir haben ihnen die Basics im Umgang mit Touristen beigebracht. Dass die Gäste saubere Betten erwarten, Toiletten, Duschen und einen Ort, um sich die Hände mit Seife zu waschen. Auch die Gastronomie haben wir angeschaut. Viele kirgisische Gerichte, vor allem in den Bergen, sind sehr schwer und fleischlastig. Also haben wir den Leuten gezeigt, wie sie ihre Rezepte mit mehr Gemüse etwas leichter machen können. Heute kann man hierzulande sogar als Vegetarier überleben.
Aber wir haben nicht nur die Gastfamilien geschult, sondern auch andere Personen, die mit den Touristen in Kontakt kommen. Etwa die Fahrer.

Die Fahrer? Was musste man denen denn noch beibringen?

Was die Gäste in einem Reisebus erwarten: Wasser, Servietten und einen Erste-Hilfe-Koffer. Aber auch, dass sie pünktlich sein und sich an die Verkehrsregeln halten sollten. Leider fahren einige meiner Landsleute sehr rücksichtslos.

Es ist nett, dass sich die Kirgisen unseren speziellen Bedürfnissen und Befindlichkeiten anpassen. Sollten wir als Gäste auch einige unserer Verhaltensweisen überdenken?

Du solltest die Schuhe ausziehen, wenn du ein Haus betrittst. Dabei geht es nicht um den Staub, den du ins Haus bringen könntest. Das Ausziehen der Schuhe ist ein Zeichen von Respekt. Und wer Fotos von Menschen machen will, sollte diese um Erlaubnis bitten. Wir empfehlen auch, den bettelnden Kindern nichts zu geben.

Die Kinder betteln nur dort, wo sie zuvor von Touristen beschenkt wurden. Rund 20 Prozent der Bevölkerung muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Betteln beziehungsweise Beschenken ist aber keine Lösung. Es macht die Leute abhängig und unselbstständig.

80 Prozent der Kirgisen sind Muslime. Was gibt es in Sachen Kleidung zu beachten?

Eigentlich nichts Spezielles, höchstens wenn du eine Moschee betreten willst. Dann empfiehlt sich, als Frau nicht gerade ein T-Shirt mit Spaghettiträgern zu tragen. Wir leben einen sehr moderaten Islam. Bei der Landbevölkerung ist er zum Teil mit Elementen von Naturreligionen durchmischt. Sie beten nicht nur zu Allah, sondern auch an Kraftorten wie Quellen, Bergen oder Bäumen. Auch Elemente des Buddhismus fliessen zum Teil ein. Zudem sieht man wenige Frauen, die einen Schleier tragen. Ich selber bin russisch-orthodox getauft, aber nicht praktizierend.
Rund acht Prozent der Bevölkerung sind russischstämmig, 15 Prozent usbekisch, und bei etwas mehr als 70 Prozent handelt es sich um Kirgisen. Gibt es Spannungen zwischen diesen verschiedenen Ethnien?
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben viele Russen und Usbeken das Land verlassen. Aus Angst vor Repressionen. Es gab auch Zwist um Land- und Wasserrechte. 2010 flammte der Konflikt zwischen Usbeken und Kirgisen erneut auf. Die Jahre nach der Unabhängigkeit waren für viele sehr schwer, das machte die Leute unzufrieden und streitlustig.  

Heute ist Kirgistan eine parlamentarische Demokratie – die einzige in Zentralasien.

Das stimmt. Unsere direkten Nachbarn sind eher autokratisch: In Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan haben die Präsidenten zu viel Macht, und laut internationalen Wahlbeobachtern sind die Wahlen jeweils manipuliert. Und dann ist da noch China.
Kirgistan belegt im Korruptionsindex von Transparency International Platz 136 von 175 Staaten. Das heisst, es gibt nur 39 Ländern, die noch korrupter sind.
Korruption ist ein Problem, das alle postsowjetischen Staaten haben. Bei unseren Nachbarn ist es noch schlimmer. Aber die Regierung arbeitet daran, so gibt es etwa eine Hotline, um Korruption zu melden.

Kann man Kirgistan eigentlich auch gut auf eigene Faust entdecken?

Die meisten Westeuropäer kommen organisiert. Touristen aus den postsowjetischen Staaten reisen hingegen oft alleine umher. Das hat sicher mit den Sprachkenntnissen zu tun. Aber auch wer kein Russisch spricht, geht nicht verloren. Es braucht einfach etwas mehr Zeit und Geduld, um ans Ziel zu gelangen. In Kirgistan gibt es noch viele schöne abgelegene Gebiete zu entdecken, die nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.