Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs müssen an einem Strick ziehen
Miges Baumann, wie gehen Unternehmen mit ihrer Verantwortung um?
Miges Baumann: Es gibt im Westen wohl kaum ein Unternehmen, das sich nicht mit seiner Verantwortung auseinandersetzt. Die Grundlage dafür sind die zehn Prinzipien, die im "Global Compact" zwischen der UNO und den Unternehmen vereinbart worden sind. In diesem Pakt geht es um Minimalstandards, die freiwillig eingehalten werden sollen, deren Verletzung aber nicht sanktioniert werden kann.
In verschiedenen Bereichen hat sich die Industrie bereits selbst zu darüber hinaus gehenden Standards verpflichtet. Ein Beispiel dafür ist die Business Social Compliance Initiative (BSCI). Diese verpflichtet die Mitglieder zur Verbesserung der sozialen Standards in weltweiten Lieferketten. Problematisch dabei ist, dass weder Gewerkschaften noch NGOs oder die Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung dieser Standards beteiligt sind. So ist nicht klar, wer die Audits (d.h. die Kontrollen zur Einhaltung der Standards) durchführt, wie das geschieht oder was passieren soll, wenn ein Mitglied die Standards nicht einhält.
Genügen freiwillige Initiativen? Bräuchte es nicht Gesetze, um die Einhaltung von Mindeststandards zu kontrollieren?
Es braucht gesetzliche Grundlagen zur Einhaltung der Menschenrechte im nationalen Recht. Wenn diese nicht respektiert werden, muss Abhilfe geschaffen werden. John Ruggie, der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte und transnationale Unternehmen, hat einen Rahmen zur Verantwortung der Unternehmen erarbeitet. Diese Absichtserklärung wurde von der EU und auch von der Schweiz unterzeichnet. Gegenwärtig beginnt die Umsetzung dieses Rahmens; sie steht noch sehr am Anfang.
Bei öffentlichen Beschaffungsaufträgen, die von Bund, Kantonen oder Gemeinden erteilt werden, will Brot für alle bestimmte Mindestkriterien durchsetzen. Da der Auftraggeber selbst nicht die Möglichkeit hat, die Einhaltung von Standards zu prüfen, müssen die Auftragnehmer bei entsprechenden Initiativen mitmachen.
Was unternehmen Initiativen wie die Fair Wear Foundation?
Bei Initiativen zu Fairem Handel steht immer die Frage im Raum, wie die Standards festgelegt werden und die Einhaltung kontrolliert werden kann. Bei der FWF arbeiten Gewerkschaften, NGOs und die Wirtschaft zusammen. Die Standards werden gemeinsam erarbeitet und ihre Einhaltung nicht nur auf Management-Ebene, sondern auf allen Ebenen der Unternehmen überprüft. Auch Beschäftigte werden befragt und können Missstände rapportieren. So können Widersprüche zwischen den Aussagen des Managements und den Angestellten aufgedeckt werden. Das nützt im Endeffekt auch den Firmen, die bei uns verkaufen. Sie erhalten so mehr Sicherheit.
Wie zugänglich sind Unternehmen für die Arbeit der Fair Wear Foundation?
Die Unternehmen sind froh um die Unterstützung. Sie erhalten Beratung und stehen im Austausch mit anderen Firmen. Viele Textilmarken produzieren in denselben Fabriken. Wenn nun Textilhersteller dank FWF gemeinsam auf die Fabriken zugehen, haben sie viel mehr Einfluss. Die Fabrik profitiert ebenfalls, weil der Kodex der FWF auch vorsieht, dass kurzfristige Änderungen bei den Entwürfen und Lieferungen vermieden werden – so werden Aufträge für die Fabriken besser planbar und die Auftragslage insgesamt weniger schwankend. So nimmt der Druck auf die Fabriken ab.
Was unternimmt Brot für alle in diesem Bereich?
Wir arbeiten seit langer Zeit mit den Unternehmen zusammen und machen auf Missstände aufmerksam. Angefangen hat es in den 1980er-Jahren mit den Ananaskonserven von Del Monte, die Migros verkauft hat. Durch die Anstrengungen von Brot für alle ist es gelungen, die Arbeitsbedingungen in den Del Monte-Fabriken durch eine Sozialklause in den Lieferverträgen der Migros zu verbessern.
In der Zwischenzeit hat Brot für alle gemeinsam mit anderen Partnern verschiedene Initiativen gegründet: Max Havelaar, STEP (ein Label in der Teppichproduktion, das heute Max Havelaar angeschlossen ist), Terrespoir und Claro. Für Bekleidung haben wir die Clean Clothes Campaign lanciert, die ähnlich wie die heutige Fair Wear Foundation aufgebaut war. Da die Problematik aber international ist, wurden die Aktivitäten von Brot für alle im Jahr 2007 in die FWF integriert. Ich selbst sitze als NGO-Vertreter im Stiftungsrat der Fair Wear Foundation.
Wie setzt sich Brot für alle in Zukunft dafür ein, dass Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen?
Es ist sehr aufwändig, entsprechende Initiativen zu lancieren. Damit die Fair Wear Foundation heute so erfolgreich sein kann, war jahrelange Aufbauarbeit nötig. Der Aufwand, um beispielsweise in der IT-Branche eine ähnliche Initiative zu lancieren, kann von einer einzelnen Organisation kaum geleistet werden. So steht für uns die Sensibilisierung im Vordergrund. Dazu gehört auch, unsaubere Praktiken aufzudecken und zu veröffentlichen – ein aktuelles Beispiel ist unsere Studie zu den Geschäftspraktiken des Rohstoffhändlers Glencore im Frühling dieses Jahres.
Wir versuchen aber bei aller Kritik immer auch, Alternativen aufzuzeigen und den Unternehmen etwas anzubieten. Wir setzen uns dafür ein, dass der Rahmen von John Ruggie respektiert und implementiert wird. So können wir Erfahrungen sammeln, gerade auch in Ländern, wo solche Initiativen neu und noch unbekannt sind. Diese Erfahrungen können anschliessend in verschiedenen Branchen und Lieferketten adaptiert werden.
Aus der Schweiz sind unter anderem Transa, Switcher und Mammut Mitglieder der FWF. Im Juni ist die Schweizerische Post beigetreten. Sie will 300‘000 Bekleidungsstücke ihrer Beschäftigten im Einklang mit dem FWF-Verhaltenskodex produzieren lassen. Die vollständige Liste der Schweizer Mitglieder der Fair Wear Foundation gibt es hier.
Dieses Interview wurde im September-Newsletter von Brot für alle publiziert. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Brot für alle ist eine Trägerorganisation von arbeitskreis tourismus & entwicklung.