Gelebte Jugendpartizipation. So könnte imagine, das Jugendprojekt von terre des hommes schweiz, in nur zwei Worten umschrieben werden. Seit 14 Jahren organisieren Jugendliche in Eigenregie für andere Jugendliche Festivals, Workshops und Anlässe, die sich intensiv mit den Themen Ausgrenzung, Gewalt, Diskriminierung und Rassismus auseinandersetzen. In der Schweiz, besonders in der Region Basel, fasste das Projekt schnell Fuss. Es ging nicht lange, da wuchs bei den Mitgliedern des imagine-Teams der Wunsch nach einem Austausch über die Grenzen hinweg mit Jugendlichen aus dem Süden. "Der Gedanke war, dass man nicht gegen Rassismus und Vorurteile kämpfen kann, ohne selbst Neues und Unbekanntes zu erfahren", sagt Caroline Buss vom Organisationskomitee von imagine international. Im Wissen, dass Ausgrenzung, Gewalt und Rassismus globale Themen sind, lancierten terre des hommes schweiz und imagine darum im Jahr 2004 das Projekt imagine international. Damit wollten sie auch die Jugendpartizipation länder- und kulturübergreifend stärken.

Stetig gewachsen

Im folgenden Jahr fand in Brasilien in Zusammenarbeit mit einer Partnerorganisation die Festivalpremiere von imagine international statt. Der Anlass überzeugte und machte Mut, das Projekt auszuweiten und weitere Partnerländer dazu zu holen. So führten die ersten Kontakte 2005 nach Kolumbien, wo erstmals 2007 das Festival stattfand. Noch im gleichen Jahr reisten Jugendliche von imagine für terre des hommes schweiz ans World Social Forum in Nairobi, wo sie junge Kenianer trafen, die sich gleich für das Projekt interessierten und gerne ein imagine Kenia aufbauen wollten. So kam es, dass dort drei Jahre später die lokale Festivalpremiere jugendliche Kenianerinnen und Kenianer begeisterte. Heute, zehn Jahre nach dem ersten imagine international, engagieren sich Jugendliche und junge Erwachsene in der Schweiz, Südafrika, Kenia und Kolumbien im Projekt imagine. Gruppen von jeweils zwanzig bis fünfzig jungen Menschen treffen sich regelmässig um zu diskutieren, Workshops zu konzipieren und Anlässe zu organisieren. Sie sensibilisieren die Jugendlichen ihrer Länder zu Diskriminierung, Ausgrenzung, Mitbestimmung und Diversität. Welche thematischen Schwerpunkte sie für ihr Engagement jeweils wählen, hängt aber von ihren Bedürfnissen und Lebensumständen ab. So verschieden die vier Länder und die Lebensbedingungen auf den drei verschiedenen Kontinenten sein mögen, so verbindet die Jugendlichen doch etwas sehr Wichtiges: Ihr Engagement, die eigene Gesellschaft mitgestalten zu wollen, und der Wunsch, bestehende Stigmatisierungsmechanismen zu durchbrechen. Die Jugendlichen, die sich bei imagine und imagine international engagieren, profitieren alle vom kulturellen Austausch. Sie lernen die Lebensrealitäten der jeweils anderen kennen und entwickeln Verständnis für globales Handeln und Solidarität. Durch die gemeinsamen Ziele unterstützen sich die Jugendlichen gegenseitig und machen sich Mut.

Vernetzung und Austausch

Nachdem sich anfänglich die Nord-Süd-Kommunikation stark entwickelte, wird nun zunehmend auch die Süd-Süd-Kommunikation wichtiger. Die Jugendlichen aus Kolumbien, Südafrika und Kenia vernetzen sich durch das Internet und regelmässige Treffen untereinander. Im vergangenen Dezember reiste zusätzlich zur Schweizer Delegation eine Gruppe aus Südafrika ans Festival nach Kenia, um persönliche Kontakte zu knüpfen und Möglichkeiten zur engeren Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu erarbeiten. Um den Austausch zwischen den Jugendlichen aller vier Länder auch durchs Jahr hindurch zu intensivieren, lancieren sie im kommenden Monat eine interne Internetplattform. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit, kulturelle, individuelle, sowie projektbezogene Erfahrungen noch direkter miteinander zu teilen und das Projekt weiterzutragen – in Richtung eines weiteren erfolgreichen Jahrzehnts.

Kolumbien: unsichtbare Grenzen überwinden

xj. Die Jugendlichen in der Millionenmetropole Medellín, wo imagine Kolumbien seine Basis hat, sind noch immer stark von den Folgen der Drogenkriege betroffen. Arbeitslosigkeit, Armut und Gewalt sind ständig präsent. Die Stadt ist quasi von unsichtbaren Grenzen durchzogen, meist Strassen oder Kreuzungen am Ende des Hoheitsgebiets einer Drogenbande. Ein versehentliches Übertreten dieser Grenzen kann den Tod bedeuten. Die Banden nehmen zudem bestimmte Plätze oder Pärke in Beschlag, weshalb diese von der Bevölkerung gemieden werden. Ein Kernthema von imagine Kolumbien ist deshalb ihr Recht an der Stadt und dem Territorium sowie das Recht auf ein gutes Leben. So besetzen sie genau diese Orte neu, indem sie dort zusammen mit anderen Gruppen öffentliche Events veranstalten. Sie laden die lokalen Jugendlichen dazu ein, sich über das eigene Quartier und die dortigen Akteure bewusst zu werden und ermutigen sie, sich für die eigenen Rechte stark zu machen. Für die kolumbianischen Jugendlichen hängt das Recht am Territorium und dessen Mitgestaltung eng mit der Frage nach dem Vivir Bien zusammen: Was macht ein gutes Leben aus? Welche gemeinsamen Bedürfnisse haben wir dies- und jenseits der (unsichtbaren) Grenzen? Und wie können wir den individuellen Bedürfnissen gerecht werden? Diesen und ähnlichen Fragen geht imagine Kolumbien regelmässig auch mit Jugendlichen aus anderen Projekten in Medellín nach. Dabei entstanden Videoclips, in denen sie wichtige Erkenntnisse aus dieser Zusammenarbeit verarbeiten und an die Öffentlichkeit bringen. Das Feedback aus den Workshops, Weiterbildungen, Events und Festivals bestärkt die Gruppe: imagine ist durch seine Vernetzung und seine Leitthemen zum Dreh- und Angelpunkt für den jugendlichen Dialog in der Region geworden.

Kenia: Auf alle Seiten das Gespräch suchen

cb. Das Festival in Embu, Kenia, lockt jedes Jahr mehrere tausend Personen an. Die grösste Wirkung erzielt imagine Kenia jedoch in den Workshops. Gleich von Anfang an organisierten die Jugendlichen Workshops und bauten diese jedes Jahr weiter aus, mit jeweils einem bestimmten Schwerpunktthema. So veranstalteten sie 2013 zum Beispiel Workshops, Foren und Podiumsdiskussionen zu den Themen öffentliche Mitbestimmung und politische Partizipation. Dazu luden sie gezielt die politischen Handlungsträger ihrer Stadt ein, damit diese der Bevölkerung Rede und Antwort stehen. Letztes Jahr entwickelte imagine Kenia das Thema an vielen Workshops mit den Jugendlichen aus Embu unter dem Motto Don’t be left out – get involved (Bleib nicht draussen – beteilige dich) weiter: Was ist öffentliche Mitbestimmung? Wann ist etwas öffentlich? Und wie können Einzelne mitbestimmen? Ihr Fazit daraus: Jede und jeder ist Teil der Öffentlichkeit und hat das Recht, dass die Meinungen gehört und die Bedürfnisse respektiert werden. Viele kenianische Jugendliche wünschen sich mehr aktive Mitbestimmung an der Gestaltung des öffentlichen Lebens und mehr Transparenz in der Politik – eine Bedingung für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit in Kenia. Ein besonderer Erfolg von imagine Kenia ist aber auch, dass durch die von ihnen organisierten Plattformen konkrete Forderungen der Jugendlichen umgesetzt werden. So wird beispielsweise aktuell ein Musikstudio aufgebaut, das der lokalen Musikszene mehr Unterstützung bietet. Damit wurde ein Anliegen realisiert, das am Festival 2011 deutlich geworden war: Damals hatte das Team von imagine Kenia das Publikum mit dem Motto Dream out loud (Träume laut) dazu aufgefordert, seine Wünsche zu äussern und nieder zu schreiben.