Basel, 14.08.2014, akte/ Mehr als ein Jahrzehnt ist es her, seit Costas Christ voller Enthusiasmus als Freiwilliger antrat, um unter der glühenden Sonne Kenias ein Klassenzimmer aus dem Boden zu stampfen. In seinem Artikel "The giver’s conundrum" im National Geographic Traveler erinnert Christ sich lebhaft an den eklatanten Widerspruch zwischen den hehren Absichten der US-amerikanischen Gruppe aus 15 Freiwilligen und ihren eigentlichen Fähigkeiten. Hätten sich damals keine sechs Dörflerinnen ihrer erbarmt und ihnen geholfen, sie hätten nichts zustande bekommen.
Zehn Jahre später ist Selbstironie und Bewunderung aus Christs Bemerkung zu lesen, wenn er sagt, die "sechs barfüssigen Frauen" hätten in einer Stunde mehr geleistet als die gesamte Gruppe Freiwilliger in einem halben Tag. "Wir taten unser Bestes, um zu helfen und sie taten ihr Bestes, uns dabei zum Erfolg zu führen."
Heute ist Freiwilligenarbeit auf Reisen gang und gäbe, der sogenannte Voluntourismus gilt als besonders schnell wachsender Sektor der globalisierten Tourismusindustrie. Einer Studie von CMIGreen von 2009 zufolge zeigen 59 Prozent der Befragten Interesse, auf einer ihrer nächsten Reisen einen Freiwilligeneinsatz zu leisten. Noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend abflachen wird – im Gegenteil: die Möglichkeiten und Angebote explodieren förmlich.
In Anbetracht dieser Situation ist Christs drängende Frage wohl berechtigt: Wer profitiert wirklich von dieser Welle des gutgemeinten Aktivismus? Sind es vor allem die Vermittlungsorganisationen, die Profit aus den wohlmeinenden Touristen schlagen? Und bleibt dabei die Bevölkerung, der die Hilfe eigentlich gelten sollte, auf der Strecke?
Daniela Papi, führende Voluntourismus-Kritikerin, fordert deshalb mehr Verantwortungsbewusstsein von den involvierten Stellen. Sie bezweifelt, dass durch Freiwilligeneinsätze von Touristen den Bedürftigen tatsächlich geholfen werden könne. Mit dieser Haltung stehe sie nicht allein, so Christ: Schon 2010 belegte eine Studie der britischen Zeitschrift "Vulnerable Children and Youth Studies", dass besonders Waisenhausprojekte mit unausgebildeten und kurzfristig verpflichteten Freiwilligen potentiell ausbeuterisch sind. Keine Regulierung und Kontrolle schütze die Kinder in diesen Projekten vor potentiell negativen Einflüssen wie beispielweise dem psychologischen Schaden, den sie durch das stetige Wechseln der Bezugspersonen erleiden können.
Costas Christ, der einst hilflose Voluntourist, hat in der Zwischenzeit einen verantwortungsvollen Posten beim Peace Corps übernommen. Und selbst dort kämpfe man bis heute mit der Frage, wer denn nun tatsächlich von einem Freiwilligeneinsatz mehr profitiere: die Freiwilligen oder die Empfänger. "Projekte können fehlschlagen", gibt Christ zu und stellt konsterniert fest: "Ironischerweise kommt das Bestreben, anderen helfen zu wollen, am Ende doch vor allem dem Helfenden zugute." Christ selbst hat beim Peace Corps Dutzende von Einsätzen organisiert. Christ ist überzeugt, dass kulturelle Unterschiede und die extreme Divergenz zwischen Privilegierten und weniger Privilegierten insbesondere Projekte im sozialen Bereich problematisch machen. Umweltorientierte Projekte hätten es einfacher; wenn die Zusammenarbeit mit der Lokalbevölkerung stimme und das Projekt klar definierte Ziele verfolge, könne es durchaus erfolgreich sein.
Seiner Meinung nach läge es in der Verantwortung der Voluntourismus-Industrie, die Energie der Freiwilligen in der bestmöglichen Form nutzbar zu machen. Es sei aber auch die Verantwortung der Freiwilligen, die richtige Wahl zu treffen. Dass bisher keine klaren Richtlinien für Voluntourismus existieren, sei ein zentrales Problem.
Und so empfiehlt Christ angehenden Freiwilligen zunächst, ihre Motivation ehrlich zu hinterfragen und die Vermittlungsorganisationen gut auszuhorchen. Wie viel vom Reisepreis geht direkt ins Projekt? Könnte die vorgesehene Arbeit auch von lokalen Menschen verrichtet werden? Auch eine gründliche Recherche zum jeweiligen Projektpartner vor Ort sei angeraten, so Christ.
Schliesslich gibt Christ noch freimütig zu: Der Bau des Klassenraums in Kenia wurde letztlich von der Dorfbevölkerung fertig gestellt, nachdem die Voluntouristen bereits weitergereist waren. Fünf Jahre später ist Christ noch einmal zurückgekehrt. Und immerhin: Heute unterrichte in eben diesem Schulzimmer ein enthusiastischer Lehrer eine Menge Kinder, berichtet er.