Basel, 19.05.2011, akte/ Freiwilligentourismus oder Neudeutsch Voluntourismus ist im Trend. Auch in der Schweiz nehmen die Profis eine steigende Nachfrage für Angebote wahr, die Reisen mit Einsätzen in gemeinnützigen Projekten verbinden – auch wenn hierzulande noch keine Studien darüber vorliegen. Voluntourismus kann zu einem vertieften Verständnis der Menschen und ihrer Lebensbedingungen in einem Land des Südens beitragen. Schlecht geplante Einsätze enttäuschen aber nicht nur die Voluntouristen, sie können auch gravierende Schäden anrichten. "Freiwilliger Helfer verging sich an zwei Knaben", lautete eine Schlagzeile im Tagesanzeiger vom vergangenen März. Berichtet wurde von einem Schweizer Freiwilligen, der bei seinem siebenwöchigen Einsatz im Waisenhaus in Indien zwei 12- und 13-jährige Knaben missbrauchte (Vgl. auch den Beitrag "Freiwilligentourismus in Waisenhäusern – zum Schaden der Kinder").
Freiwilligeneinsätze von Schweizer Hilfswerken unterliegen in der Schweiz den Vorgaben von Unité und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Der Freiwilligentourismus ist hingegen ein völlig unregulierter Markt. Es reisen viele Jugendliche in ihren langen Ferien oder im Zwischenjahr, aber auch Personen mittleren Alters, die eine Karrierepause einlegen, oder SeniorInnen, die ihr Fachwissen in einem Einsatz weitergeben möchten. Doch der Grat zwischen beidseits bereichernden Erfahrungen und unschöner kommerzieller Ausbeutung von Unterstützten und Unterstützern ist schmal. Nicht nur Praktiker wie Paul Miedema* machen sich Gedanken, welche Richtlinien eingehalten werden sollten, damit der Einsatz in den Ferien zu einer Bereicherung für die Menschen vor Ort und für die Freiwilligen wird. Auch die englische tourismuskritische Organisation Tourism Concern untersuchte den Voluntourismus-Bereich bereits 2007 und formulierte sieben Fragen, die Freiwillige klären sollen, um den richtigen Einsatzplatz zu finden. Die Zertifizierungsorganisation Fair Trade in Tourism South Africa FTTSA hat Fair Trade-Standards für Voluntourismus-Angebote definiert.
Es zeigt sich klar: Die Entwicklung und der Vertrieb von Voluntourismus-Projekten sind mit ganze neuen – der Tourismusbranche fremden – Verantwortungen und Anforderungen verbunden. Ein seriöser Anbieter von Voluntourismus muss sowohl über das touristische Handwerk wie über einiges Know-how zur Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Umweltprojekten verfügen. Das Bewusstsein dafür fehlt aber noch weitgehend in der Branche. Im Austausch mit seinen Partnern und basierend auf seiner eigenen Expertise hat der arbeitskreis tourismus & entwicklung daher für den Voluntourismus erste Grundsätze festgehalten, deren Einhaltung Voraussetzung dafür sind, dass Freiwilligeneinsätze den Einsatzleistenden und dem Projekt auch wirklich bringen, was sie versprechen.

Faire Zusammenarbeit von der Basis bis zum Veranstalter

Fachleute der Entwicklungszusammenarbeit wissen, dass Projekte am nachhaltigsten sind, wenn sie von den Betroffenen selbst ausgehen und von ihnen getragen werden. Es ist wichtig zu vermeiden, dass Freiwilligeneinsätze die Leute vor Ort ihrer Eigenverantwortung berauben und sie zu passiven Hilfsempfängern degradieren. Oder gar den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen. Damit ein Voluntourismus-Einsatz dem Projekt von Nutzen sein kann, müssen die mit dem Projekt zusammenarbeitenden Partner – vielleicht eine Entwicklungshilfeorganisation oder eine Kirche – in einem guten Austausch mit den im Projekt involvierten Personen an der Basis stehen. Deren Bedürfnisse müssen laufend erhoben werden. Die lokalen Organisationen arbeiten vielleicht mit einer international tätigen Organisation zusammen. Und diese wiederum wäre dann die richtige und qualifizierte Partnerin eines Reiseveranstalters, der das Freiwilligentourismusangebot auf den Markt bringt und als erster mit dem Freiwilligen Kontakt hat. 
Der seriöse Veranstalter von Voluntourismus-Reisen muss klare Kriterien dafür haben, mit welchen Organisationen er arbeitet: Transparenz, partizipativer Ansatz, eine Öffentlichkeitsarbeit, welche die Menschenwürde der Projektpartner wahrt, gute Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Organisationen und Behörden, ein guter Ruf, Erfolgskontrolle usw..  Er arbeitet langfristig mit diesen Partnern zusammen. Einmalige Einsätze sind problematisch, weil die Wirkung oft verpufft oder kaum abzuschätzen ist. Der Reiseveranstalter legt offen, wie viel vom Preis für die Voluntourismus-Reise wohin fliesst und insbesondere, wie viel vom Preis dem Projekt direkt zugute kommt. Die Wirkung der Freiwilligenarbeit wird mit den Projektverantwortlichen laufend evaluiert.

An jedem Einsatzort die richtigen Freiwilligen

Es gibt Einsatzmöglichkeiten in verschiedenen Bereichen: Bildung (z.B. Assistenz oder Lehrtätigkeit), Soziales (z.B. Hilfe auf dem Bau, Arbeit im Krankenhaus), Umwelt (Mitarbeit bei Naturschutz- und Forschungsprojekten wie Aufklärungsarbeit, Anpflanzungen, Bestandesaufnahmen oder Instandhaltungsarbeiten) oder Tierschutz (Mitarbeit in Natur- und Nationalparks, z.B. Tierfütterung, Anlagenreinigung, Datenbankpflege, Studien). Je nach Einsatz sind andere Qualifikationen gefragt. Der Reiseveranstalter muss mit seinen Partnern die sorgfältige Auswahl der Freiwilligen regeln. Für die Arbeit mit Menschen im Allgemeinen, besonders aber mit verletzlichen und gefährdeten Personen (zum Beispiel Traumatisierte, Waisen, Kranke oder Behinderte) sind besondere persönliche oder fachliche Qualifikationen Voraussetzung. Der Leumund und die Motivation der Freiwilligen müssen seriös geprüft werden. Bei der Arbeit mit Kindern ist grundsätzlich zu beachten, dass eine Abfolge von Kurzeinsätzen das Bindungsverhalten und die Bindungsfähigkeit der Kinder nachhaltig negativ beeinflusst. Deshalb sind Einsätze in Kinderheimen für Kurzeinsätze im Rahmen eines Urlaubs ungeeignet. Auch beim Bau eines Schulhauses oder Brunnens braucht es entweder einen Profi vor Ort, der die Freiwilligen genau instruieren kann, oder aber Freiwillige mit Fachwissen, das sie während des Einsatzes dem Projekt zur Verfügung stellen. Wichtig ist es, mit den im Projekt involvierten Personen genau abzusprechen, welche Qualifikationen von den Voluntouristen erwartet werden und was den Voluntouristen an Unterkünften, Verpflegung und Betreuung geboten werden kann.

Betreuung 

Zur Betreuung gehört die Einsatzvorbesprechung. Die Freiwilligen müssen sich beim Veranstalter umfassend über das infrage kommende Projekt informieren können. Für die Freiwilligen muss klar ersichtlich sein, wie viele Stunden Einsatz pro Tag erwartet werden. Aber auch, welcher Art genau diese Arbeit ist. Geht es beim Einsatz in der Schule in Tansania ums Unterrichten oder ums Kochen, um den Bau einer Aussenmauer oder um die Adressverwaltung? Vor Ort muss der Einsatz gut geplant sein, die Mitarbeitenden des Projekts müssen wissen wer kommt, über Ankunfts- und Abreisedatum informiert sein, das für den Einsatz notwendige Material muss organisiert werden. 
Während des Einsatzes hilft die sorgfältige Betreuung, Missverständnisse zwischen den Einheimischen und den Freiwilligen zu vermeiden. Diese Aufgabe sollte jemand übernehmen, der das Projekt und die darin involvierten Personen gut kennt, sich aber auch in die Bedürfnisse der Freiwilligen hineindenken kann. Ausserdem muss vor Ort jemand die Freiwilligen nochmals über die technischen und organisatorischen Aspekte ihres Einsatzes instruieren können. 
Nach dem Einsatz braucht es eine Einsatznachbesprechung. Was hat der Freiwillige erlebt, was hat ihm der Einsatz gebracht, was hat er dem Projekt gebracht, was war gut oder schlecht. Vielleicht erwartet der Freiwillige auch eine Bestätigung oder gar ein Zeugnis für seinen Einsatz. Viele Freiwillige leisten Einsätze, weil das im Lebenslauf einen guten Eindruck macht. Engagierte und vom Projekt überzeugte Einsatzleistende können, zurück in der Heimat, zu Botschaftern des Projekts werden. Gut ist es daher, wenn eine Möglichkeit geschaffen wird, dass die Ehemaligen weiter über das Projekt informiert bleiben und erfahren, wie es sich weiter entwickelt. Auch die Rückmeldung derer, die mit den Freiwilligen zusammengearbeitet haben, ist ein wichtiger Teil dieser Auswertung.

Auch beim Voluntourismus umwelt- und sozialverantwortlich reisen

Von Reiseangeboten mit Projektbesuchen in Entwicklungs- und Umweltprojekten über Kurzeinsätze von Freiwilligen in Hilfswerkprojekten bis zu kommerziellen Voluntourismus-Ferienangeboten gibt es heute alles. Generell wird unter Voluntourismus eine unbezahlte Arbeit in unterschiedlichem Umfang in der Urlaubszeit verstanden, für die der Freiwillige Beiträge an die Organisation zahlt, die ihn empfängt. Aber die Übergänge zwischen den verschiedenen Verbindungsformen von Reisen und Helfen sind fliessend. So unterschiedlich die Beziehungen zu den Partnern vor Ort gestaltet sein mögen, für alle diese Reiseangebote gilt gleichermassen, dass sie, um überhaupt glaubhaft zu sein, nach klaren Kriterien umweltgerecht und sozialverantwortlich gestaltet sein müssen. Diese Kriterien müssen von den Reiseveranstaltern wie auch deren prominenten Partnern wie Helvetas, Coop, myclimate, Beobachter Natur etc. der Reisekundschaft gegenüber transparent ausgewiesen werden.

Freiwillige: kritisch Nachfragen lohnt sich

Wer einen Voluntourismus-Einsatz machen möchte, sollte sich fragen, in welchem Verhältnis Einsatz und Ferien im üblichen Sinn zueinander stehen sollen. Die Motivation von Freiwilligen ist sehr unterschiedlich. Bei den einen überwiegen eher altruistische Motive: Sie wollen helfen, "etwas zurückgeben". Andere setzen auf ihre persönliche Entwicklung oder ihre Bewusstseinserweiterung, auf kulturellen Austausch und Bildung von Netzwerken oder suchen einfach den Spassfaktor. Nach der Klärung der Wünsche braucht es eine gründliche Recherche, bei der die Angebote anhand der oben beschriebenen Kriterien ausgewählt werden. Dabei sollten Freiwillige nicht davor zurückschrecken, auch heikle Fragen anzusprechen (wie viel Geld fliesst wohin, wer bestimmt, was im Projekt läuft usw.). Eine gute persönliche Vorbereitung auf die Reise ist immer angesagt, Tipps dazu bietet das fairunterwegs-Reiseportal.
Einsatzleistende sind Gäste im Projekt und nicht die ExpertInnen. Fällt während des Einsatzes etwas Negatives auf oder besteht Verdacht auf Missstände und Korruption, sollen die Einsatzleistenden dies niemals direkt mit den Projektmitarbeitenden verhandeln, sondern dem Reiseveranstalter melden. Generell ist eine gute Rückmeldung hilfreich, das Projekt und die Einsätze von Freiwilligen laufend zu optimieren.
Quellen: Freiwilliger Helfer verging sich an zwei Knaben, Tages-Anzeiger, 26.03.2011; Hilfseinsatz: Freiwilliger missbrauchte Waisenkinder, 20 Minuten, 25.03.2011; Volunteer Tourism. Power Point-Präsentation von Barbara Taufer/Christoph Wydler, (Wiss. Mitarbeiterin/Dozent des Instituts für Tourismuswirtschaft der Hochschule Luzern) 26.05.2011; Eine attraktive Nische? Focus/hotel revue 03.06.2010; The ethical volunteering guide. Seven questions to help you pic an ethical international volunteering placement, Tourism Concern 2009; Voluntourism: Einschätzungen aus Deutschland und Südafrika. Diplomarbeit von Nicola Schiekel, veröffentlicht bei Tourism Watch, Juni 2009, Eigene Recherchen und Abklärungen.