In der grossen Bandbreite von Freiwilligeneinsätzen – von mehrjährigen Einsätzen von Fachleuten im Rahmen der personellen Entwicklungszusammenarbeit zu mehrmonatigen Übersee-Praktika angehender Berufsleute – stellt der Voluntourismus eine relativ neue Form dar: Die Kombination von Urlaub mit einem kurzen freiwilligen Arbeitseinsatz am Urlaubsort. Zwar gab es schon länger und meist ganz in der Nähe die Möglichkeiten zum Landdienst, der "Bergheuet", der Weinlese oder der Aufforstung von Bergwäldern – doch bei Voluntourismusangeboten geht es eher zum Baumwollpflücken nach Kirgistan oder ähnlich weit entfernte Orte.
Das Interesse an solchen Kürzesteinsätzen ist enorm, wie in der aktuell erschienenen Studie "Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus" von Brot für die Welt, Ecpat Deutschland und dem arbeitskreis tourismus & entwicklung zu lesen ist. Allein in Deutschland waren es 2011 schätzungsweise 20’000 VoluntouristInnen, noch grösser ist das Interesse im angelsächsischen Raum oder in Skandinavien. Das ist durchaus positiv zu werten: Es bietet die Chance, die vielen an neuen Erfahrungen und Begegnungen mit Einheimischen Interessierten für Entwicklungszusammenhänge zu sensibilisieren.
Doch in den Ländern, wo VoluntouristInnen zuhauf anreisen, mehren sich die Sorgen. Denn mit der Kommerzialisierung des Voluntourismus hat der Nachfrageboom zu einem Wildwuchs an völlig unzulänglichen Angeboten geführt. Dabei ist eine klare Verlagerung vom Fokus auf den Interessen der Projektbeteiligten hin zum Fokus auf die Interessen der Voluntourismus-Veranstalter und der Reisenden festzustellen. Es scheint sich hauptsächlich noch um die Frage zu drehen, wie das übliche Sightseeing-, Adventure- und Entspannungsprogramm günstig mit einem "sinnvollen" Kurzeinsatz verbunden werden kann. Dabei geben die Vermittlungsorganisationen und Voluntourismus-Anbieter in den Quellländern den Tarif durch. Sie verlangen von den lokalen Gemeinschaften, dass sie jederzeit die VoluntouristInnen unterbringen können, und garnieren den Löwenanteil des von den VoluntouristInnen bezahlten Preises ab.

"Uns fehlt es gewiss nicht an Arbeitskräften!"

Damit das Geschäft gut läuft, sollten Voluntourismus-Einsätze möglichst optimal das Gefühl der Reisenden bedienen, etwas Gutes zu tun und zu helfen: Ein kolossales Missverständnis des Helfens und ein problematischer Rückgriff auf koloniale Denkmuster, die von einem allgemeingültigen Entwicklungsbegriff ausgehen und uns weismachen, dass "weniger entwickelte" Regionen unsere Hilfe brauchen. Ganz selbstverständlich wird angenommen, dass jede "Hilfe" der Menschen aus industrialisierten reichen Entsendeländern effektiv etwas bringt, ganz nach dem Motto der Siebzigerjahre: "Jeder Tourist ist ein Entwicklungshelfer."
"Wenn es etwas gibt, das uns gewiss nicht fehlt, sind es Arbeitskräfte", kommentiert der Gründer der südafrikanischen Calabash Foundation, Paul Miedema. "Was wir brauchen, sind Fachkompetenzen, abgestimmt auf die Ressourcen und aktuellen Bedürfnisse des Projekts." Die VoluntouristInnen sollten sich bewusst sein, wie wenig ihr Einsatz bewirke. In der Regel brauche das Projekt ihre Hilfe nicht. Das Hauptmotiv der VoluntouristInnen sollte sein, etwas über die Gemeinschaft, ihre Kultur und die Entwicklungszusammenhänge zu lernen.  
Miedema kritisiert, dass beim Mainstream-Geschäft mit VoluntouristInnen sowohl die Freiwilligen wie die Lokalbevölkerung ausgenutzt würden und die kurzfristigen Interessen der Voluntourismus-Anbieter langfristige lokale Entwicklungsstrategien unterliefen. Das zeigt sich auch in den Befunden der Studie zum Auswahlverfahren für Freiwillige, die in Projekte mit Kindern, Jugendlichen oder Sozialprojekte mit Frauen von Dorfgemeinschaften eingesetzt werden sollen: Nur die Hälfte der befragten kommerziellen Anbieter verlangt ein polizeiliches Führungszeugnis, nur drei von 44 Anbietern führen ein Bewerbungsgespräch und nur gerade 16 Prozent erkundigen sich nach Arbeitserfahrung. Das ist skandalös und kann von enttäuschten Einsatzleistenden über frustrierte Projektmitarbeitende bis hin zu ausgebeuteten Kindern alles zur Folge haben. Grundsätzlich findet Miedema: "Nicht alle Einsatzwilligen sind auch für Einsätze geeignet", und fragt: "Wie kommt es, dass sich Freiwillige in so genannten Entwicklungsländern zu Tätigkeiten berufen fühlen, die sie in ihrer Heimat niemals ausüben würden oder dürften?"
Auch bei Projekten ohne Kinder sind kritische Rückfragen nötig: Sind die Elefanten, die im Elefantenheim in Thailand von Freiwilligen gepflegt werden, tatsächlich ein wichtiger Beitrag für das Leben der lokalen Gemeinschaft und zur Erhaltung der Artenvielfalt – oder doch eher eine Touristenattraktion, für die der Wille der Tiere früh und brutal gebrochen wurde? Was ist mit den Jungtieren der Big-5, die im südliche Afrika von Freiwilligen in Auffangstationen gehegt werden: Kommen sie nach ihrer Aufzucht einfach ins Gehege für Gatter-Jagden, wo sie bequeme Beute für vermögende Freizeitjäger sind?

Forderungen an Voluntourismus-Anbieter

Ein Einsatz mit Schwerpunkt Kinder, Jugendliche oder generell Sozialarbeit muss von einer gewissen Dauer sein und braucht die kundige Begleitung von lokalen Projektverantwortlichen. Lokale Angestellte sollen vom Austausch mit fremden BesucherInnen profitieren können, sie dürfen aber keineswegs in Konkurrenz gestellt oder gar dem Risiko ausgesetzt werden, wegen den Freiwilligen ihre Stelle zu verlieren.
Es kann Sinn machen, dass Kinder, Jugendliche, Frauen in einem Dorf mit ausländischen BesucherInnen in Kontakt kommen, sich austauschen und dabei zum Beispiel ihre Englischkenntnisse oder ihre Computerskills verbessern – dafür gibt es offenbar viele Anfragen aus Reiseländern. Dann muss ein Freiwilligeneinsatz aber auch entsprechend niederschwellig als Gelegenheit zum Austauschen und Von-einander-Lernen ausgeschrieben werden, nicht vollmundig als Betreuung von Kindern in Heimen, Englischunterricht in Schulen, Projekt zur Förderung von Frauen oder lokalen Gemeinschaften.
Ein echter Austausch heisst mehr als einfach hingehen, mit Personen aus der Lokalbevölkerung ein paar Momente zu teilen und wieder zurückzukehren: Es würde bedeuten, diese Personen auch in unsere Heimat einzuladen, damit auch sie im Gegenzug die Lebensrealität in Europa mit allen Vor- und Nachteilen erleben können. Solche Austauschprogramme sind heute jedoch eher die Ausnahme als die Regel.
Voluntourismus-Angebote erwecken den Eindruck von Nachhaltigkeit. Entsprechend sollten sie aber auch Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit ebenso wie der Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsverantwortung beim Reisen genügen. Dazu soll der Anbieter

  • Voluntourismus-Angebote insgesamt nachhaltig gestalten, von der ökologischen und soziale Auswirkung von Anreise und Aufenthalt vor Ort bis zum Marketing – die Absicht, etwas Gutes zu tun, macht ein Angebot noch nicht automatisch nachhaltig;
  • langfristige tragfähige Partnerschaften mit lokalen Organisationen eingehen, mit Ausrichtung auf die Bedürfnisse der lokalen Projektpartner, einem partizipativem Vorgehen und Mitbestimmung betreffend der Einsätze;
  • generell längere Mindest-Aufenhaltsdauer festsetzen und Kurzeinsätzen mit Kindern vermeiden;
  • Preistransparenz sicherstellen;
  • von armutsorientiertem Marketing absehen;
  • die Auswahl, Vorbereitung, Begleitung der Freiwilligen verbessern;
  • Formen der Vor- und Nachbereitung von Einsätzen etablieren;
  • den Kinderschutz sicherstellen (Einführung einer Kinderschutz-Policy und Unterzeichnung des Kinderschutz-Kodexes);
  • das Monitoring gewährleisten – Partnerschaften laufend überprüfen und die Projektziele mit den Zielen und Motivationen der Freiwilligen abstimmen.

Eine hilfreiche Zusammenstellung weiterer wichtiger Forderungen an alle Zielgruppen ist in der Studie "Vom Freiwilligeneinsatz zum Voluntourismus" zu finden.
Heute wissen wir noch viel zu wenig darüber, ob und inwiefern Voluntourismus den Projekten und der Lokalbevölkerung wirklich nützt. Hier orten wir ein grosses Defizit. Es braucht dringend eine aus Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit finanzierte Studie, welche die Wirkung von Voluntourismus aus der Sicht der lokalen Communities und Projekte beleuchtet.